kalteLiteratur zum Auschwitzgedenktag, 27. Januar, Teil 5

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wenn viele das vorher geahnt hätten, was sie sich nie hätten vorstellen können, daß sie im eigenen Land aus ihrer Wohnung vertrieben, gefangengenommen, also eingesperrt und dann in Eisenbahnzügen gen Osten transportiert, wie Massenvieh, gefoltert, hungernd, ermordet werden, sie wären geflohen, wären ins Exil gegangen, wie zwei unterschiedliche Gruppen es taten: diejenigen, die politisches Gespür hatten und diejenigen, die genug Geld hatten, um in anderen Ländern aufgenommen zu werden. Und dann gab es noch diejenigen, die in Ghettos eingesperrt , auf vielfache Weise mißhandelt wurden und das auch noch  im Namen der Wissenschaft wie hier.

DER KALTE BLICK. Letzte Bilder jüdischer Familien aus dem Ghetto Tarnów, Katalog zur Ausstellung

Diese Ausstellung wurde in Berlin erarbeitet, dort auch gezeigt, wir sahen sie in Wien im Naturhistorischen Museum und sie ist in einem Katalog festgehalten. Es geht um eine der schwierigsten Aktionen der Nationalsozialisten, die sie unter dem Siegel der Rassenkunde sogar noch wissenschaftlich verbrämt hatten. Seien es grausame Zwillingsforschung, merkwürdige Händeanalysen, die Schädel und ihre Messung in Straßburg oder wie im Ghetto Tarnów anthropometrische Fotos in Serie, wobei die jeweiligen Menschen mehrfach fotografiert wurden: von vorne, in Drittelansicht, im Profil und Kopf im Nacken, um ‚Beweise‘ für die nationalsozialistische Rassenkunde zu finden und das Ganze als wissenschaftliche Forschung auszugeben.

Interessant, daß diese Untersuchungen im Ghetto von zwei Frauen vorgenommen wurden, die sich eine Karriere in einer von Männern dominierten angeblichen Wissenschaft versprachen. Ein anderer Aspekt ist ebenfalls wichtig, denn die Fotografien nur allen offen zu zeigen, setzt die Entrechtung dieser Menschen fort., abgesehen davon, daß von den 565 untersuchten jüdischen Frauen, Männern und Kindern nur 26 den Holocaust überlebten. Für die Präsentation der Fotos wurde eine besondere Art gewählt, in dem die Bilder nach außen verdeckt in einem schwarzen Kubus gezeigt werden.

Die Quellenlage ist auch deshalb so aufschlußreich, weil mit diesen Fotos die Zusammenarbeit von angeblicher Wissenschaft mit deutschen Verwaltungsbeamten sowie dem Person des SS-Sicherheitsdienstes vor Ort nachgewiesen werden kann. Mitherausgeber Götz Aly hat beispielsweise die Kapitel „Anthropologie, Nationalismus und Rassentheorie“ und „Die Verwissenschaftlichung von Vorurteilen“, eine treffende Formulierung. Die ganzen Untersuchungen sind eingebunden in eine Rahmengeschichte „Vielfalt und ihre Vernichtung. Eine Chronologie“, die aufweist, wie überwiegend harmonisch sich das Zusammenleben römisch-katholischer und jüdischer Einwohnerinnen und Einwohnern gestaltete. Erst mit der deutschen Besetzung im September 1939, dem rigiden Antisemitismus und der Ghettobildung für Juden änderte sich das entscheidend.

Ausgangspunkt in Tarne, wie das westgalizische Tarnów auf Jiddisch hieß, 600 km von Berlin entfernt, vormals österreichisch, jetzt polnisch, war, daß die Bevölkerung mit 25 000 Juden und Jüdinnen fast die Hälfte der Bevölkerung ausmachten. 1945, zum Ende des Krieges gab es kaum mehr einen Juden. Die Ausstellung zeigte nun und der Katalog dokumentiert, in welcher eile und mit welchem Erfolg deutsche und österreichische Mörder eine lebendige Gemeinde auslöschten, wobei das ganz ‚normale‘ Männer waren, die danach nie wieder zu Mördern wurden.

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