Wenn nicht, hilft Birgit Lahann und erzählt Geschichten von vielen jüdischen Künstlern und wenigen Künstlerinnen, Literatur zum Auschwitzgedenktag, 27. Januar, Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der Anlaß für diesen Titel, ob man einen Juden kenne, ist einfach zu witzig, als daß man ihn nicht weitererzählen sollte. Barrie Kosky, damals Intendant der Komischen Oper Berlin, den jeder als kreativen Irrwisch kennen sollte, wandte sich mit dieser Frage an Passanten am Brandenburger Tor, und war entsetzt, als er immer wieder hörte: "Nein, ich nicht, no!", weshalb er hinzufügte: "Ich bin einer. Wenn Sie Fragen haben, fragen Sie mich!" Kosky, der inzwischen freischaffend als Regisseur die Opernbühnen aufmischt, kommt im Buch im abschließenden sechsten Kapital als Letzter vor: Geschichten zwischen Gips & Marmor, Brecht & Heine, Muppet-Show & Kafka.
Allein, wie Birgit Lahann über und von Kosky schreibt, lohnt das ganze Buch! Über das Angebot aus Bayreuth, dort DIE MEISTERSINGER zu inszenieren, was er spontan ablehnt, aber sich auf Katharina Wagners Vorschlag, nach einem halben Jahr zu entscheiden, einläßt, was er zu einem Buch verarbeitet, NÄCHSTER HALT BAYREUTH, wo er von seiner Großmutter erzählt, die ihm Wagner ans Herz legte, obwohl die Deutschen ihre Familie ermordet hatten. Ihm selber sei es immer so gegangen, daß sich der Ekel über Wagners Antisemitismus abgewechselt habe mit tiefer Bewunderung für seine Musik. Und daß er die Inszenierung zusagte, als ihm klar wurde, daß sich Wagner mit Hans Sachs, dem Schuhmacher und Poet, völlig identifiziere und eine narzistische Oper geschrieben habe. Koskys Großvater war mit Familie 1911 aus Weißrußland nach Australien ausgewandert und erzählte dem Jungen vom Stetl, während seine Großmutter mütterlichseits aus dem ungarischen jüdischen Großbürgertum stammte und ihn mit Musik, Malerei und anderen Künsten bekannt machte.
Nachdenklich machen seine Sätze zu Wien, wo er sich unwohl fühlte, denn die Österreicher hätten - und haben! - ihre Verbundenheit mit den Nationalsozialisten nie gesellschaftlich öffentlich aufgearbeitet. Kosky empfand die Wiener als antisemitisch, 10 Jahre nach Peymanns Inszenierung des HELDENPLATZ von Thomas Bernhard, das zuerst einen Skandal provozierte und später jubelende Zuschauer fand. Er bezieht sich auch auf Georg Kreisler, meinen geerbten Onkel, den die Wiener tatsächlich schlecht behandelten, obwohl er für unsere Zeit das morbide Wien wieder auferstehen ließ. Und dann seine Eloge auf Max Reinhardt als Großvater des heutigen Regietheaters, unter dem meine Mutter in Moliers DER EINGEBILDETE KRANKE die Louison zussammen mit Max Pallenberg auf Reinhardts Schloß Leopoldskron spielte, der wichtigste Theatermann der Zeit, der sich zwar vor den Nazis in die USA retten konnte, aber für die Theaterarbeit verloren war.
So kann das nicht weitergehen, es kann nicht über jeden so viel wiedererzählt werden aber das, was man liest, ist wirklich so einschmeichelnd interessant, daß man gleich über Manès Sperber, Marc Chagall, Joseph Roth (mein Favorit), Stefan Heym, Alfred Polgar, Ralph Giordano, Peter Zadek und sogar Elisabeth Bergner und viele andere das Gelesene weitergeben möchte. Und da das nicht geht, bleiben wir beim letzten Kapitel und lassen Wolf Biermann zu Wort kommen, dessen Mutter Emma ihm als faulen Schüler vorwarf: "Dafür ist Dein Vater in Auschwitz gestorben, daß Du eine Fünf in Mathematik hast.", was Biermann heute kommentiert: Und damit "wolle er nur mal dunkel andeuten, daß er besser als Martin Walser wisse, was eine Auschwitzkeule ist. " Die kommt natürlich in der Würdigung von Ignatz Bubis vor, der angesichts von Martin Walsers Rede mit der Auschwitzkeule in der Frankfurter Paulskirche diese verlleß. Und erst viele Jahre später tat dies Walser aufrichtig leid.
Man kann also im Buch auch spazieren gehen, weil sich einige der Ausgewählten wiederum auf andere beziehen.
Man liest gespannt, man lernt, man lacht, man wird traurig, tief traurig und wütend, wenn man an all die Schandtaten denkt, wie die Nazis unsere deutsche Kultur schwer beschädigt haben, indem sie eine wahnsinnige Judenverfolgung in Gang setzen, diese zur Ausreise zwangen, wenn Geld und Kontakte da waren, die Masse aber in den KZs vergasten. Unverzeihlich, unvergessen, eine Schande, ein Verbrechen auf ewig. Und das nicht nur wegen der einzelnen, hier aufgezeigten Personen, sondern eben auch, weil diese Nationalsozialisten deutsche Kultur verboten, verhinderten und vernichteten.
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Umschlagabbildung
Info:
Birgit Lahann, 'Kennen Sie einen Juden?' Lauter Künstler von A wie Alejchem bis Z wie Zadek, J.H.W. Dietz Verlag 2023
ISBN 978 3 8012 0649 9