KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für Juli 2014, Teil 1
Elisabeth Römer
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Starker Auftakt im Juli mit KAIRO-AFFÄREvon Olen Steinhauer aus dem Blessing Verlag neu auf Platz 1. Der US-Amerikaner ist bekannt dafür, daß er sich die politischen, kulturellen und geheimdienstlichen Beziehungen zwischen Ost und West zum Thema macht. Klingelt da was?
Natürlich wird er als Nachfolger John le Carrés bezeichnet, was vor allem mit den fünf zwischen 1948 und 1989 an verschiedenen Orten Europas mit jeweils einer eigenen Hauptfigur angesiedelten Romanen zusammenhängt, denen dann die Welt der Spys nach 9-11 in der „Tourist“-Trilogie folgten.
Originalton Tobias Gohlis: Mit der KAIRO-AFFÄRE begibt Steinhauer sich auf neues Terrain. „Affäre“ ist im doppelten Sinn zu verstehen: Einerseits geht es um die Affäre der Diplomatenfrau Sophie Kohl mit einem CIA-Mann in Kairo, andererseits um etliche vielfältig mit dieser privaten verwobene Geheimdienst-Affären. Verwickelt sind der ägyptische und im Hintergrund der libysche Geheimdienst, natürlich die CIA und ein idealistischer Libyer, der als Analytiker bei der CIA arbeitet. Alle diese Mächte, Kräfte, Intriganten, Mörder zerren an der Arabellion, um ihre persönlichen Angelegenheiten und die der arabischen Volksbewegungen zu instrumentalisieren, zu kontrollieren, zu manipulieren. Zu Recht erinnern sich Rezensenten an Graham Greene: Steinhauer rückt den menschlichen Faktor ins Bild, sagt also Gohlis. Was wir dazu meinen dann das nächste Mal.
Vom fünften auf den zweiten Platz vorgeschnellt ist der Deutsche Tom Hillenbrand mit DROHNENLAND vom Verlag Kiepenheuer und Witsch. Der Autor nimmt mit dem Titel nicht so sehr eine innerdeutsche Diskussion um den Erwerb von Drohnen für die Bundeswehr auf, sondern führt uns in die Zukunft, eigentlich das, was man als Science Fiction kannte, mit dem großen Unterschied, es ist alles wie hier daheim und beim Nachbarn, nur die Technologie ist eine andere, nämlich eine, die den einzelnen durchsichtig macht und zur Handlungsmasse für denjenigen aufbereitet, der digital am Drücker sitzt. Mit diesem Thema ist Tom Hillenbrand nicht alleine. Uns kommt vor, als ob sich international ein neues Genre ausbreitet, das in der Zukunft spielt, den Menschen so heimelig sein läßt, wie er heute ist, aber von denen bedroht, die technisch die Vorhand haben. Benjamin Percys ROTER MOND, erschienen bei Penhaligon und derzeit auf Platz 7 der Liste wäre dafür ein weiteres Beispiel.
DROHNENLAND ist abgebrannt, fällt einem beim Titel der Kinderreim ein. Und allein die Schilderung der Natur in dieser europäischen Zukunft läßt uns an wüstes Umgehen mit Wald und Flur bis hin zu echten Wüsten denken. Dabei regnet es dauernd, ein Ergebnis der technischen Eingriffe in die Natur. Wir befinden uns in einem durch die Europäische Union festgezurrten Europa. Alle 36 Mitgliedsstaaten haben ihre souveränen Recht abgegeben, nur England spielt wieder einmal eine Sonderrolle. Die wollen nämlich raus aus der EU. Ein Prozedere dafür ist aber in der EU-Verfassung nicht vorgesehen, weshalb erst mit erforderlicher Zweidrittelmehrheit ein Passus hineingeschrieben werden soll, der aber in den einzelnen Parteifraktionen und in den einzelnen Ländern zu unterschiedlichen Meinungen und beabsichtigtem Abstimmungsverhalten führen.
Das aber bekommen wir erst nach und nach mit, denn wie es sich für einen Kriminalroman gehört, fängt es mit dem Toten an. „Es ist die mit Abstand bestangezogene Leiche, die mir je untergekommen ist. Rahmengenähte Kalbslederschuhe, ein Mailänder Maßanzug, dessen Preis mein Monatsgehalt übersteigt, dazu ein bewußt nachlässig gebundener Steinkirk – nebst passendem Einstecktuch. Alles an ihm sitzt tadellos, außer seinem Gesicht.“, registriert der herbeigerufene Kommissar Westerhuizen als Icherzähler, der übrigens ganz gegenteilig aussieht – krank dazu. Schnell stellt sich heraus, daß es sich beim Ermordeten um einen EU-Parlamentarier handelt...
Und der Steinkirk aus dem Zitat? Das macht Spaß wie Hillenbrand sich eine Ansammlung neuer Wörter einfallen läßt, die man durch den Gebrauch in den jeweiligen Sätzen nach und nach entschlüsseln lernt. Die Drohnen sind das einzige, was wir aus Hillenbrands Zukunftswelt heute schon kennen, allerdings in perfekter Form, die erst recht Angst macht vor ihrem Einsatz und nur in Form der auf Seite 192 vorgestellten Drohne als persönlicher Butler etwas Liebreizendes hat, was man sofort gerne hätte.
Daß dem von seinen Vorgesetzten und Kollegen mißliebig beäugten Kommissar, der noch traditionell arbeitet, nämlich selbst denkt, für seinen Fall sofort ein Terry zur Verfügung steht, das erklären wir uns schnell selbst. Es handelt sich tatsächlich um einen Terrier, allerdings in technischer Form, nämlich einen Totalcomputer, mit dem man sprechen und ihm Weisungen geben kann, Fragen stellen, die er in Nullkommanichts beantworten kann. Was die Specs sind und all die reichlichen Zukunftsgegenstände und Aufklärungsmöglichkeiten, das lernen Sie auch beizeiten und einen großen Reiz des Buches macht das technische Ambiente aus, das Hillenbrand vor uns ausbreitet, wobei er eine hinreißende Phantasie entwickelt. Wobei wir dies Wort sofort zurücknehmen müssen, denn alles, worüber der Autor schreibt, können wir uns als pechschwarze Zukunft unmittelbar vorstellen.
Klar ist auch sofort, in einer solchen überwachten Welt wollen wir nicht leben. Denn genau darum geht es – und noch einen Schritt weiter. Spiegelungen kann uns Terry aufbereiten, wo wir Gegebenheiten der Vergangenheit gespiegelt erhalten, die wir für wahr halten müssen, die aber verändert werden können und wurden. Und genau hierin liegt die Aufklärungschance für unseren melancholischen eigentlich holländischen Kommissarshelden, dessen Schicksal wir mitbekommen, denn er hat nicht nur keine Frau mehr, sondern auch keine Heimat. Holland ist nicht abgebrannt, aber derart überschwemmt worden, daß kein Land mehr da ist. Auf jeder Seite finden Sie etwas Neues, was sie erschreckt, erfreut oder nachdenklich macht. Die Kommissionspräsidentin ist eine Türkin; die Union ist abhängig vom reichsten Land. Das ist Portugal, deren florierende Energiekraftwerke aber längst aufgekauft sind von Brasilien. USA? Ja, da gibt es noch so ein schwächliches Land jenseits des Ozeans.
Um was es geht? Die Leiche war ein EU-Parlamentarier. Was wie ein Einzelmord aussieht, entschlüsselt sich dem Kommissar als ein gezieltes Tötungsprogramm für bestimmte EU-Parlamentarier. Hat das mit den vorgesehen Wahlen zu tun? Das lesen sie selbst und die Aufklärung ist nur die Hälfte der Miete. Das Drumherum, wie Hillenbrand diese Welt der Zukunft schildert, ist das Aufregende an diesem Buch. Fortsetzung folgt.
Die KrimiZEIT-Bestenliste Juli 2014
INFO I :
Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.
Vorgestellt wird die KrimiZeit-JahresBestenliste
- im NordwestRadio am Donnerstag, den 3.Juli 2014 mit Tobias Gohlis gegen 9.20 Uhr sowie später in den Sendungen der Buchpiloten nachzuhören unter http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html -
in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 3. Juli 2014 und unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste
Monatlich wählen neunzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt inzwischen über 1800 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.
Die Jury der KrimiZEIT-Bestenliste auf dem aktuellen Stand:
Tobias Gohlis, Kolumnist DIE ZEIT, DeKrPr*, Moderator und Jury- Sprecher der Krimiwelt
Volker Albers, Hamburger Abendblatt, DeKrPr*
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR, DeKrPr*
Gunter Blank, Sonntagszeitung Zürich
Thekla Dannenberg, Perlentaucher
Fritz Göttler, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, SWR
Hannes Hintermeier, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Lore Kleinert, Radio Bremen
Elmar Krekeler, Die Welt
Kolja Mensing, Dradio Kultur
Ulrich Noller, Deutsche Welle, WDR, DeKrPr*
Jan Christian Schmidt, www.Kaliber 38.de, DeKrPr*
Margarete v. Schwarzkopf, Freie Literaturkritikerin
Ingeborg Sperl, Der Standard - Wien
Sylvia Staude, Frankfurter Rundschau, DeKrPr*
Jochen Vogt, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, Plärrer, culturmag, Dradio Kultur, Penser Pulp bei Diaphanes, DeKrPr*
In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie in der RUBRIK BÜCHER auf dem Titel oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Das Prozedere der Platzverteilung ist ganz einfach. Dreimal darf ein Kritiker aus der Jury einen Roman benennen. Wenn das gut verteilt ist, kann ein Buch einige Monate überwintern, dann hat es nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die jeweils Ende Dezember herauskommt und die wir für 2013 ebenfalls kommentierten.
JahresBestenliste 2013
INFO II :
Am 23. Juni teilte der Jurysprecher Tobias Gohlis mit:
Hannes Hintermeier (FAZ) und Elmar Krekeler (WELT) neu in der Jury der KrimiZEIT-Bestenliste
Seit Juni 2104 verstärken Hannes Hintermeier, Redakteur im Feuilleton der F.A.Z., und Elmar Krekeler, stellvertretender Feuilletonchef der WELT-Gruppe, die Jury der KrimiZEIT-Bestenliste.
Die Jury, die monatlich die zehn besten Kriminalromane aus der Fülle der Neuerscheinungen auswählt, besteht damit aus 19 Kritikerinnen und Kritikern, die in Deutschland, Österreich und der Schweiz veröffentlichen.
Hannes Hintermeier, Jahrgang 1961, hat Anglistik und Germanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München studiert. Nach dem Staatsexamen 1988 absolvierte er die Deutsche Journalistenschule in München. 1990 bis 1996 war Hintermeier Literaturredakteur bei der AZ, dann in der Kulturredaktion der „Die Woche“ tätig. Seit 2001 ist er im Feuilleton der F.A.Z. Stellvertreter des Ressortleiters, aktuell Redakteur für „Neue Sachbücher“.
Seit Frühjahr 2014 betreut er mit weiteren Kollegen die FAZ-Krimi-Seite, die alle fünf Wochen versucht, „mit ausgewählten Beispielen der ganzen Bandbreite des Genres gerecht zu werden“.
Hannes Hintermeier über zwanzig Jahre Krimi-Erfahrung: "Am Krimi fasziniert mich die ungeheure Entwicklung, die das Genre in den letzten zwanzig Jahren weltweit gemacht hat. Der Krimi vereint einen Gegensatz, indem er gleichzeitig immer lokaler und universeller geworden ist. Ärgerlich finde ich manches buchindustrielle Kopier-Verhalten - merke: Erst wenn der letzte Serienmörder gefasst ist, werdet ihr merken, dass man
Hannibal Lecter nicht toppen kann."
Elmar Krekeler, geboren 1963, kam nach einem Studium der Musikwissenschaft 1989 als Redakteur ins Feuilleton der WELT, wo er sich zunächst der klassischen Musik widmete, bis er 1994 Literaturredakteur wurde. Von 2001 bis 2011 leitete er die „Literarische Welt“, wo er von 2005 bis 2010 mit verantwortlich für den Vorgänger KrimiWelt-Bestenliste war.
Seit 2012 schreibt er wöchentlich die Krimi-Kolumne „Krekeler killt“. Krekeler wurde 2004 mit dem Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik ausgezeichnet und ist derzeit stellvertretender Feuilletonchef der WELT-Gruppe.
Krimis umgeben ihn von Kindesbeinen an. Elmar Krekeler: „Mein Vater war ein geradezu manischer Krimi-Sammler. Wir hatten u.a. die Gesamtausgaben von Agatha Christie, Victor Gunn, Arthur W. Upfield und Edgar Wallace im Regal stehen. Meine mittlere Jugend bestand aus roten Goldmann-Krimis, die schleichend die "Fünf-Freunde"- und ???-Ära ablösten.“
Ich freue mich, dass diese beiden renommierten Literaturkritiker und Feuilletonisten die monatliche Suche der KrimiZEIT-Bestenlisten-Jury nach dem intellektuell anregenden, spannenden und literarisch reizvollen Kriminalroman unterstützen. Gute Kriminalliteratur ist für das Verständnis und die Gestaltung unserer schwer durchschaubaren Welt von existenzieller wie ästhetischer Bedeutung.