KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für Juli 2014, Teil 2
Elisabeth Römer
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Zuvor aber kommt der dritte Platz und auf den ist ebenfalls vorgeschnellt der bisherige Zehnte: TRIBUNAL von André Georgi aus dem Verlag Suhrkamp. „Elf Pfeiler waten durch einen Fluss aus Blut!“ Gemeint sind hier die 11 Pfeiler der Brücke über die Drina nahe der Stadt Višegrad, auf der 1992 die Massenhinrichtung von 3953 Moslems durch eine paramilitärische serbische Einheit, die Wölfe genannt, stattfand.
Der Chef der Einheit, Kovać, muß sich jetzt für dieses Verbrechen vor dem Kriegstribunal in Den Haag verantworten. Da seine noch in Serbien agierenden Anhänger aber dafür gesorgt haben, aussagewillige Zeugen mundtot zu machen, konnte ihm bislang die Verantwortung für die Verbrechen nicht nachgewiesen werden. Dies soll jetzt mit der Aussage seines ehemaligen Stellvertreters, Orescovič, gelingen.
Durch ein brutales Attentat unmittelbar vor dem Tribunal wird diese Hoffnung zunichte gemacht. Orescovič sowie die gesamte Begleitmannschaft werden förmlich hingerichtet, einzig die verantwortliche Topermittlerin, Jasna Brandič, überlebt. Getrieben von Selbstvorwürfen, versagt zu haben, macht sie sich alleine auf in ihre Heimat, die sie mit ihrer Familie schon vor dem Krieg verlassen hat, um ein weiteres ehemaliges Führungsmitglied der Wölfe, den womöglich letzten Zeugen aufzuspüren und vor das Tribunal zu bringen. Es erwartet sie eine Jagd auf Leben und Tod.
Georgi schreibt temporeich und spannend. Er schont den Leser nicht und beschreibt plakativ begangene Verbrechen. Daß Emotionen nur am Rande und nicht schwerpunktmäßig zugelassen werden, paßt zu diesem Erzählstil.
André Georgi, geboren 1965 in Kopenhagen, aufgewachsen in Berlin und aktuell wohnhaft in Bielefeld, ist bekannt geworden mit seinen Drehbüchern für namhafte Krimiserien, wie z.B. Tatort und Bella Block. Dieser Polithriller zum Bürgerkrieg in Jugoslawien klärt auch über viele schwer zu verstehenden Animositäten, ja tödlichen Feindschaften auf, weshalb wir ihn noch einmal in einer Einzelkritik besprechen.
Auf Platz 4 nun also ebenfalls aus dem Suhrkamp Verlag DIE SIRENEN VON BELFAST von Adrian McKinty, ein irischer Krimi. Unsere Kommentierung dazu kommt das nächste Mal. Juryvorsitzender Tobias Gohlis auf jeden Fall ist begeistert: „Der 1968 in Carrickfergus bei Belfast geborene Adrian McKinty erschließt in seinen komplexen Noir-Romanen Schauplätze seines Lebens. In der „Todestrilogie“ um den Emigranten und Flüchtling Michael Forsythe reflektiert er erzählerisch seine Jahre in New York und Denver, jetzt, während er in Melbourne weit vom Schuss lebt, arbeitet er in drei Romanen die Jahre des Nordirlandkonflikts auf. In deren Zentrum steht der „katholische Bulle“ (unter diesem Titel 2013 drei Monate auf der KrimiZEIT-Bestenliste) Sean Duffy. Im aktuellen zweiten Fall Die Sirenen von Belfast geht es um die von Revolutions-Romantik und knallharten Wirtschaftsinteressen geformten Beziehungen zwischen den USA und Irland. McKinty erzählt eine beinahe klassische Polizeiermittlung, in der auf spannende und atmosphärisch dichte Weise Revolution und Verrat, Liebe und Betrug miteinander verknüpft sind, den düsteren Hintergrund bilden im Jahr 1982 Falklandkrieg Unser neues Jury-Mitglied Elmar Krekeler bemerkt entzückt: „Eine Geisterbahnfahrt der besonderen Art ist dieses Buch. Hart und blutig. Und nur was für Erwachsene. Am Ende möchte man doch gleich wieder rein.“ (Die Welt), so Tobias Gohlis.
Auch Platz 5 ist von einer Neuen besetzt: die Wienerin Anne Goldmann legt mit Lichtschacht, wieder einmal von Argument/Adriadne, ihren dritten Kriminalroman vor. Da geht es um eine Geschichte, die man im Kopf sofort als Film von Hitchcock ablaufen läßt. Laura kommt aus der Provinz in das weltläufige Wien und sieht, wie vom Dach gegenüber eine junge Frau herunterstürzt, das war doch ein Stoß, oder war alles nur ein Schatten und ihre überhitzte Phantasie machte einen Mord daraus? Denn es fehlt die Leiche. Klingt doch gut. Mehr das nächste Mal. Fortsetzung folgt.
Die KrimiZEIT-Bestenliste Juli 2014
INFO I :
Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.
Vorgestellt wird die KrimiZeit-JahresBestenliste
- im NordwestRadio am Donnerstag, den 3.Juli 2014 mit Tobias Gohlis gegen 9.20 Uhr sowie später in den Sendungen der Buchpiloten nachzuhören unter http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html -
in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 3. Juli 2014 und unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste
Monatlich wählen neunzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt inzwischen über 1800 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.
Die Jury der KrimiZEIT-Bestenliste auf dem aktuellen Stand:
Tobias Gohlis, Kolumnist DIE ZEIT, DeKrPr*, Moderator und Jury- Sprecher der Krimiwelt
Volker Albers, Hamburger Abendblatt, DeKrPr*
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR, DeKrPr*
Gunter Blank, Sonntagszeitung Zürich
Thekla Dannenberg, Perlentaucher
Fritz Göttler, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, SWR
Hannes Hintermeier, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Lore Kleinert, Radio Bremen
Elmar Krekeler, Die Welt
Kolja Mensing, Dradio Kultur
Ulrich Noller, Deutsche Welle, WDR, DeKrPr*
Jan Christian Schmidt, www.Kaliber 38.de, DeKrPr*
Margarete v. Schwarzkopf, Freie Literaturkritikerin
Ingeborg Sperl, Der Standard - Wien
Sylvia Staude, Frankfurter Rundschau, DeKrPr*
Jochen Vogt, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, Plärrer, culturmag, Dradio Kultur, Penser Pulp bei Diaphanes, DeKrPr*
In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie in der RUBRIK BÜCHER auf dem Titel oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Das Prozedere der Platzverteilung ist ganz einfach. Dreimal darf ein Kritiker aus der Jury einen Roman benennen. Wenn das gut verteilt ist, kann ein Buch einige Monate überwintern, dann hat es nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die jeweils Ende Dezember herauskommt und die wir für 2013 ebenfalls kommentierten.
JahresBestenliste 2013
INFO II :
Am 23. Juni teilte der Jurysprecher Tobias Gohlis mit:
Hannes Hintermeier (FAZ) und Elmar Krekeler (WELT) neu in der Jury der KrimiZEIT-Bestenliste
Seit Juni 2104 verstärken Hannes Hintermeier, Redakteur im Feuilleton der F.A.Z., und Elmar Krekeler, stellvertretender Feuilletonchef der WELT-Gruppe, die Jury der KrimiZEIT-Bestenliste.
Die Jury, die monatlich die zehn besten Kriminalromane aus der Fülle der Neuerscheinungen auswählt, besteht damit aus 19 Kritikerinnen und Kritikern, die in Deutschland, Österreich und der Schweiz veröffentlichen.
Hannes Hintermeier, Jahrgang 1961, hat Anglistik und Germanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München studiert. Nach dem Staatsexamen 1988 absolvierte er die Deutsche Journalistenschule in München. 1990 bis 1996 war Hintermeier Literaturredakteur bei der AZ, dann in der Kulturredaktion der „Die Woche“ tätig. Seit 2001 ist er im Feuilleton der F.A.Z. Stellvertreter des Ressortleiters, aktuell Redakteur für „Neue Sachbücher“.
Seit Frühjahr 2014 betreut er mit weiteren Kollegen die FAZ-Krimi-Seite, die alle fünf Wochen versucht, „mit ausgewählten Beispielen der ganzen Bandbreite des Genres gerecht zu werden“.
Hannes Hintermeier über zwanzig Jahre Krimi-Erfahrung: "Am Krimi fasziniert mich die ungeheure Entwicklung, die das Genre in den letzten zwanzig Jahren weltweit gemacht hat. Der Krimi vereint einen Gegensatz, indem er gleichzeitig immer lokaler und universeller geworden ist. Ärgerlich finde ich manches buchindustrielle Kopier-Verhalten - merke: Erst wenn der letzte Serienmörder gefasst ist, werdet ihr merken, dass man
Hannibal Lecter nicht toppen kann."
Elmar Krekeler, geboren 1963, kam nach einem Studium der Musikwissenschaft 1989 als Redakteur ins Feuilleton der WELT, wo er sich zunächst der klassischen Musik widmete, bis er 1994 Literaturredakteur wurde. Von 2001 bis 2011 leitete er die „Literarische Welt“, wo er von 2005 bis 2010 mit verantwortlich für den Vorgänger KrimiWelt-Bestenliste war.
Seit 2012 schreibt er wöchentlich die Krimi-Kolumne „Krekeler killt“. Krekeler wurde 2004 mit dem Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik ausgezeichnet und ist derzeit stellvertretender Feuilletonchef der WELT-Gruppe.
Krimis umgeben ihn von Kindesbeinen an. Elmar Krekeler: „Mein Vater war ein geradezu manischer Krimi-Sammler. Wir hatten u.a. die Gesamtausgaben von Agatha Christie, Victor Gunn, Arthur W. Upfield und Edgar Wallace im Regal stehen. Meine mittlere Jugend bestand aus roten Goldmann-Krimis, die schleichend die "Fünf-Freunde"- und ???-Ära ablösten.“
Ich freue mich, dass diese beiden renommierten Literaturkritiker und Feuilletonisten die monatliche Suche der KrimiZEIT-Bestenlisten-Jury nach dem intellektuell anregenden, spannenden und literarisch reizvollen Kriminalroman unterstützen. Gute Kriminalliteratur ist für das Verständnis und die Gestaltung unserer schwer durchschaubaren Welt von existenzieller wie ästhetischer Bedeutung.