KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für August 2014, Teil 3

 

Elisabeth Römer 



Hamburg (Weltexpresso) – Adrian McKinty mit Die Sirenen von Belfast, erschienen bei Suhrkamp und auf Platz 3 vorgerückt, hatte schon mit Der katholische Bulle reüssiert. McKinty nutzt den Schauplatz Nordirland, hier konkret die Region Belfast, um alles mögliche an politischer Alltagsgeschichte genauso einzubauen wie die Gepflogenheiten, die man Iren nachsagt, wobei nur im Deutschen das Wortspiel der Iren und der Irren so schön ist – oder?



Der Autor kommt zwar von dort, studierte ordentlich in Oxford und lebte dann in New York – irgendwie leben da wohl alle Krimischriftsteller irgendwann? -, ab 2001 in Denver und zog 2008 mit Familie nach Melbourne. Der Mann kommt weit rum, denkt man sich und mit Englisch kommt man weit.



Für einen Kriminalroman, der so sehr die Landschaft, die Leute, die Sprache, den Alkohol, die Heilsarmee und den mörderischen Nordirlandkonflikt als bewegten und bewegenden Untergrund hat, muß man sich vielleicht sehr weit wegbefinden, um so nahe dran zu sein. Alte Weisheit, die sich hier wieder bewahrheitet.



Auf  Platz 4 folgt 2/14 von Nathan Larson (original 2011: The Dewey Decimal System). Mit diesem ersten Band einer Trilogie über Dewey Decimal hat Nathan Larson, bisher bekannt als Musiker und Filmkomponist, nicht nur für sich persönlich neues Terrain betreten, sagt die Jury; da wir aber diesen Raum noch nicht betreten haben, weil wir den Roman noch nicht kennen, mehr das nächste Mal.



Drohnenland von Tom Hillenbrand von Kiwi ist vom 2ten auf Platz 5 heruntergerutscht, aber noch dabei! Wir haben diesen deutschen Kriminalroman, der in Brüssel spielt und eigentlich die gesamte EU als Hintergrund hat, mit großem Interesse gelesen, weil uns dort eine technische Zukunft vor Augen kommt, die so grauslich ist, daß man die Augen gleich wieder schließen will. Das Ganze ist richtig gut gemacht, weil man sich einerseits im Heute wähnt, nur andere Methoden vorfindet, andererseits Science Fiction vorliegt, was sich aber nur auf die Technik bezieht. Der Mensch ist so unbedarft wie bisher. Drohnenland war im Juni als Nummer 5 das erste Mal auf die Liste gelangt und wir haben im Vorgängermonat schon viel darüber geschrieben. Lohnt sich sehr1



Auf Platz 6 finden Sie Der Krake auf meinem Kopf von Jim Nisbet (original 2007: The Octopus on My Head). Der 1947 geborene, heute in San Francisco lebende Jim Nisbet ist einer der interessanten, viel zu wenig bekannten Autoren mit schwärzester Schreibkunst, die den deutschen Lesern im Label Pulp Master unter hohem Risiko bekannt gemacht werden, sagt Tobias Gohlis weiter. Nisbets Story um drei mehr oder weniger den Drogen verfallene und mehr oder weniger eng mit dem Musikgeschäft verbandelte nordkalifornische Dropouts, die einem Serienkiller begegnen, kann in weiterem Sinn auch zur dystopischen Post-Nine-Eleven-Literatur gezählt werden. Alles geht unerschüttert weiter wie bisher: das miese Musikbusiness, der Immobilienschwindel, die Flucht in die Musik und das Serienkillen (wie immer mit dem Wahn, alle anderen Serienkiller zu toppen).



Naja. Wir waren – zugegeben – zuerst gelangweilt, denn die Szenerie mit Musikern, mit Drogen, mit Sex, von dem nur gefaselt wird, und bei Vollzug werden diese Bücher auch nicht besser, das gibt es derzeit in den amerikanischen Krimis einfach zu oft!! Doch unser Interesse wuchs jäh, als ein gewisser Torvald erscheint. Welche Rolle er spielt, dürfen wir hier nicht verraten. Aber mit ihm ist Jim Nisbet eine interessante Figur gelungen, die auch nach dem Ende noch lange in unserem Kopf herumspukte und spuckte auch. Denn besonders appetitlich ist dieser Torvald nicht. Das schwant ihm aber selber und das zwischen leicht und ganz Verrücktsein oszillierende Geschehen, bzw. der Personen gibt dem Roman, den wir zunehmend unwillig begannen, dann das gewisse Etwas. Absolut.



Das kann man zur Geschichte weitergeben. Worüber aber noch nicht gesprochen wurde, ist der Eindruck, den der Leser von den Örtlichkeiten erhält. Kalifornien? Ist das sonst nicht der Staat, der Staat macht. Der Vorbild für eine lockere Lebensweise ist, in der sich Vergnügen mit Leistung paart. Hier paaren sich nicht mal mehr die Menschen, denn es ist öde und leer geworden im Bundesstaat Kalifornien. Schon wieder einmal ist der Spruch „Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“ angebracht. Uns fällt auf, daß wir ihn – wechselweise auf Latein – inzwischen in jedem 2. Krimiartikel verwenden könnten.

Fortsetzung folgt.

 

Die KrimiZEIT-BestenlistSche August 2014

 

Lfd.

Nr.

Rang

Vor-monat

Titel

1

1

(1)

Olen Steinhauer: Die Kairo-Affäre

Aus dem Englischen von Rudolf Hermstein

Blessing, 496 S., 19,99 €

Kairo. Fünf Exil-Libyer verschwunden. CIA-Analytiker Aziz fürchtet, dass die USA die Arabellion kontrollieren. Ein US-Konsul wird erschossen, Witwe Sophie mit Schuld konfrontiert. Klug und skeptisch: Menschenforscher Steinhauer macht aus Spionage grandiose Literatur.

2

2

(-)

Mike Nicol: Black Heart

Aus dem Englischen von Mechthild Barth

btb, 480 S., 9,99 €

Kapstadt. Nachdem Sheemina February Mace‘ Tochter entführt und seine Frau umgebracht hat, will sie ihn und Kumpel Pylon endgültig fertigmachen. Im Finish der „Rache-Trilogie“ steht für die beiden Ex-Waffenhändler alles auf dem Spiel: Ruf, Geld, Leben, Familie. Gnadenlos gut.

3

3

(4)

Adrian McKinty: Die Sirenen von Belfast

Aus dem Englischen von Peter Torberg

Suhrkamp, 388 S., 19,95 €

Carrickfergus. Spooky, der Fund im Container: der Torso eines Finanzbeamten mit besonderen Aufgaben und spezieller Herkunft. Duffy, katholischer Bulle in protestantischer Polizei, stochert im Regen. Eine Landlady, ein Landlord und DeLorean, Bürgerkrieg. Düstere Zeiten werden da evoziert.

4

4

(-)

Nathan Larson: 2/14

Aus dem Englischen von Andrea Stumpf

Penser Pulp bei diaphanes, 256 S., 17,95 €

New York. Die Katastrophe vom 14. Februar hat die Hauptstadt der Welt plattgemacht. Dewey Decimal weiß nicht, wer er ist, aber er lebt. In Ruinen, unterm Diktat von Zwängen und auf Befehl eines durchgeknallten Staatsanwalts, als Vollstrecker im Schutt des Jetzt, ein Held ohne Zeit.

5

5

(2)

Tom Hillenbrand: Drohnenland

KiWi, 422, 9,99 €

Europa, nahe Zukunft. Wo Flachland war, ist Meer. Trotz digitaler Totalüberwachung: Europaabgeordneter Pazzi wird ermordet. Er war nicht der einzige, entdeckt Kommissar Westerhuizen. Intelligent imaginierte Science-Fiction aus der schönen neuen Überwachungswelt.

6

6

(-)

Jim Nisbet: Der Krake auf meinem Kopf

Aus dem Englischen von Ango Laina u. Angelika Müller

Pulp Master, 320 S., 14,80 €

Oakland/San Francisco. Curly, Lavinia, Ivy – menschliches Treibgut. Eine Razzia und ein Wiederbeschaffungsjob bringen die drei Musiker, Abhänger, Junkies zu einer Leiche und dem Mann, der Pfefferminz lutscht. Das abgefahrenste Stück Serialkiller-Noir seit Langem.

7

7

(-)

Lee Child: Wespennest

Aus dem Englischen von Wulf Bergner

Blanvalet, 448 S., 19,99 €

Nebraska. Jack Reacher hat den richtigen Riecher. Nasenbluten bei Frauen = Indiz für prügelnde Männer. Das duldet Reacher nicht. Aber selbst er konnte nicht ahnen, in was für ein Wespennest er gestoßen ist. Reachers Brutalität wird gerechtfertigt durch das Grausliche, das er aufdeckt.

8

8

(6)

Leonardo Padura: Ketzer

Aus dem Spanischen von Hans-Joachim Hartstein

Unionsverlag, 656 S., 24,95 €

Havanna/Amsterdam 1939, 1648, 2007. Paduras Triptychon breitet jüdische Geschichte, Rembrandts Kunst und kubanische Jugendrevolte zwischen zwei Kriminalfällen aus, vertrauter Ermittler: Mario Conde. Ohne Ketzer, die die Normen brechen, keine Freiheit: Interkontinental aktuell.

9

9

(-)

 

 

Jörg Juretzka: Taxibar

Rotbuch, 222 S., 16,95 €

Mülheim. Kryszinski hat in den Ferien ein weißes Paket vor den Bullen gerettet. Das bleibt nicht folgenlos für den friedlichen Betrieb seiner Taxibar. Alle wollen das Zeug, und er will endlich auch mal seinen Schnitt machen. Ruhrpott, hackevoll, von unten: immer reinspaziert ins Chaos!

10

10

(-)

 

Joseph Kanon: Die Istanbul-Passage

Aus dem Englischen von Elfriede Peschel

C.Bertelsmann, 480 S., 19,99 €

Istanbul 1945. Amateuragent Leon Bauer im Zwiespalt der Loyalitäten. Der Flüchtling, den er in die USA schmuggeln soll: Judenschlächter. Sein CIA-Boss: Kriegsgewinnler. Klassische Konstellation, mit Schmackes ausgemalt: Aufrechter Mann zwischen Frauen und Fronten.

 

 

 

 

INFO I :

 

Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.

 

Vorgestellt wird die KrimiZeit-JahresBestenliste

- im NordwestRadio am Donnerstag, den 7. August 2014 mit Tobias Gohlis gegen 9.20 Uhr sowie später in den Sendungen der Buchpiloten nachzuhören unter http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html -

in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 7. August 2014 und unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste

 

 

Monatlich wählen neunzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt inzwischen über 1800 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.

 

 

Die Jury der KrimiZEIT-Bestenliste auf dem aktuellen Stand:

 

Tobias Gohlis, Kolumnist DIE ZEIT, DeKrPr*, Moderator und Jury- Sprecher der Krimiwelt

Volker Albers, Hamburger Abendblatt, DeKrPr*

Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR, DeKrPr*

Gunter Blank, Sonntagszeitung Zürich

Thekla Dannenberg, Perlentaucher

Fritz Göttler, Süddeutsche Zeitung

Michaela Grom, SWR

Hannes Hintermeier, Frankfurter Allgemeine Zeitung

Lore Kleinert, Radio Bremen

Elmar Krekeler, Die Welt

Kolja Mensing, Dradio Kultur

Ulrich Noller, Deutsche Welle, WDR, DeKrPr*

Jan Christian Schmidt, www.Kaliber 38.de, DeKrPr*

Margarete v. Schwarzkopf, Freie Literaturkritikerin

Ingeborg Sperl, Der Standard - Wien

Sylvia Staude, Frankfurter Rundschau, DeKrPr*

Jochen Vogt, NRZ, WAZ

Hendrik Werner, Weser-Kurier

Thomas Wörtche, Plärrer, culturmag, Dradio Kultur, Penser Pulp bei Diaphanes, DeKrPr*

 

 

In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie in der RUBRIK BÜCHER auf dem Titel oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Das Prozedere der Platzverteilung ist ganz einfach. Dreimal darf ein Kritiker aus der Jury einen Roman benennen. Wenn das gut verteilt ist, kann ein Buch einige Monate überwintern, dann hat es nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die jeweils Ende Dezember herauskommt und die wir für 2013 ebenfalls kommentierten.

 

JahresBestenliste 2013

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/2343-leichendieb-der-brasilianerin-patricia-melo-von-tropen-bei-klett-cotta-auf-platz-1

 

 

INFO II :

 

Am 23. Juni teilte der Jurysprecher Tobias Gohlis mit:

 

Hannes Hintermeier (FAZ) und Elmar Krekeler (WELT) neu in der Jury der KrimiZEIT-Bestenliste

 

 

Seit Juni 2104 verstärken Hannes Hintermeier, Redakteur im Feuilleton der F.A.Z., und Elmar Krekeler, stellvertretender Feuilletonchef der WELT-Gruppe, die Jury der KrimiZEIT-Bestenliste.

 

Die Jury, die monatlich die zehn besten Kriminalromane aus der Fülle der Neuerscheinungen auswählt, besteht damit aus 19 Kritikerinnen und Kritikern, die in Deutschland, Österreich und der Schweiz veröffentlichen.

 

Hannes Hintermeier, Jahrgang 1961, hat Anglistik und Germanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München studiert. Nach dem Staatsexamen 1988 absolvierte er die Deutsche Journalistenschule in München. 1990 bis 1996 war Hintermeier Literaturredakteur bei der AZ, dann in der Kulturredaktion der „Die Woche“ tätig. Seit 2001 ist er im Feuilleton der F.A.Z. Stellvertreter des Ressortleiters, aktuell Redakteur für „Neue Sachbücher“.

 

Seit Frühjahr 2014 betreut er mit weiteren Kollegen die FAZ-Krimi-Seite, die alle fünf Wochen versucht, „mit ausgewählten Beispielen der ganzen Bandbreite des Genres gerecht zu werden“.

 

Hannes Hintermeier über zwanzig Jahre Krimi-Erfahrung: "Am Krimi fasziniert mich die ungeheure Entwicklung, die das Genre in den letzten zwanzig Jahren weltweit gemacht hat. Der Krimi vereint einen Gegensatz, indem er gleichzeitig immer lokaler und universeller geworden ist. Ärgerlich finde ich manches buchindustrielle Kopier-Verhalten - merke: Erst wenn der letzte Serienmörder gefasst ist, werdet ihr merken, dass man

Hannibal Lecter nicht toppen kann."

 

Elmar Krekeler, geboren 1963, kam nach einem Studium der Musikwissenschaft 1989 als Redakteur ins Feuilleton der WELT, wo er sich zunächst der klassischen Musik widmete, bis er 1994 Literaturredakteur wurde. Von 2001 bis 2011 leitete er die „Literarische Welt“, wo er von 2005 bis 2010 mit verantwortlich für den Vorgänger KrimiWelt-Bestenliste war.

Seit 2012 schreibt er wöchentlich die Krimi-Kolumne „Krekeler killt“. Krekeler wurde 2004 mit dem Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik ausgezeichnet und ist derzeit stellvertretender Feuilletonchef der WELT-Gruppe.

 

Krimis umgeben ihn von Kindesbeinen an. Elmar Krekeler: „Mein Vater war ein geradezu manischer Krimi-Sammler. Wir hatten u.a. die Gesamtausgaben von Agatha Christie, Victor Gunn, Arthur W. Upfield und Edgar Wallace im Regal stehen. Meine mittlere Jugend bestand aus roten Goldmann-Krimis, die schleichend die "Fünf-Freunde"- und ???-Ära ablösten.“

 

 

Ich freue mich, dass diese beiden renommierten Literaturkritiker und Feuilletonisten die monatliche Suche der KrimiZEIT-Bestenlisten-Jury nach dem intellektuell anregenden, spannenden und literarisch reizvollen Kriminalroman unterstützen. Gute Kriminalliteratur ist für das Verständnis und die Gestaltung unserer schwer durchschaubaren Welt von existenzieller wie ästhetischer Bedeutung.