KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für August 2014, Teil 4
Elisabeth Römer
Hamburg (Weltexpresso) – Auf Platz 7 folgt Wespennest von Lee Child (original 2010: Worth Dying For). Wespennest ist schon der fünfzehnte Roman der Serie um den Ex-Militärpolizisten und Vaganten Jack Reacher und schließt unmittelbar an 61 Stunden an, das noch im Januar auf der KrimiZEIT-Bestenliste stand.
61 Stunden hatte uns schon wieder außerordentlich gefallen. Es ist uns unglaublich, wie aus der Zeit gefallen, sich dieser Ex-Militärpolizei durch die USA schläft. Ohne Ausweis, ohne Bankkonto, ohne Telefon, immer auf der Suche nach Gerechtigkeit, bzw. diese herzustellen. Ob er will oder nicht, immer wieder fällt er geradezu in die Situationen, in denen er derjenige wird, der unser Moral zum Sieg verhilft, uneigennützig und ohne jeglichen Schnörkel. Auch die ganzen privaten Geschichten und psychischen Befindlichkeiten, die derzeit in Kriminalromanen überhand nehmen, die sucht man hier vergeblich. Lee Child erzählt einfach spannende Geschichten, in der meist die Paralellgesellschaften der USA aufeinandertreffen. Faszinierend.
Das schreiben wir auch deshalb so dezidiert, weil wir diesmal etwas enttäuscht waren, zugegeben von einer sehr hohen Erwartungshaltung aus. Jack ist in Nebraska, auf der Durchreise zur Kollegin Susan Turner, trinkt er was in einer Bar, bekommt mit, wie ein Anwesender, ein Arzt, der Anruferin nicht helfen will, die starkes Nasenbluten hat, weil ihr Mann sie verprügelt hatte. Reacher zwingt den Arzt mit ihm hinzufahren und fährt mitten ins Wespennest, das die Ducans beherrschen. Der unbeherrschte Duncan nämlich ist der Ehemann der verletzten Dame, die er nicht als solche behandelt.
Aber da kennt er Reacher schlecht, der wird ihn mores lehren, was für den gemeinen und gemeingefährlichen Ehemann zur öffentlichen Blamage wird, weil er ihn im örtlichen Steakhouse stellt. Lee Child hat nicht so sehr an psychologischen Hintergründen Interesse, die ergeben sich hier von alleine, sind Allgemeinplätze, ihn interessieren als Autor die gesellschaftlichen Strukturen, die von Gewalt der Machtelite geprägt sind, die hier die Duncans heißen, aber überall anzutreffen sind, wenn andere sich erpressen lassen und untertänig bleiben. Jack Reacher wird dafür sorgen, daß dies auch in diesem Kaff in Nebraska nicht so bleibt, aber wie immer geht es auch ihm hart an die Leber.
Vom sechsten auf den achten Platz treibt es Ketzer von Leonardo Padura,, ein umfassender, auch historisch fundierter Roman, den wir all die letzten Male schon bejubelt hatten. Taxibar von Jörg Juretzka von Rotbuch steht neu auf Platz 9 und wird das nächste Mal besprochen. Neu ist auch Die Istanbul-Passage von Joseph Kanon (original 2012: Istanbul Passage), erschienen bei C.Bertelsmann, auf dem zehnten Platz.
Über den Autor weiß Tobias Gohlis mehr als wir: Joseph Kanon, geb. 1944, läßt das Jahrzehnt, in dem er zur Welt kam, nicht los. In seinen historischen Thrillern umkreist er die Neuformierung der Weltmächte vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. Diesmal hat er sich das Jahr 1945 gewählt: Istanbul war nicht nur als neutrale Stadt während des Krieges ein Tummelplatz der Händler, Verräter und Spione, auch jetzt ist es Brücke zwischen zwei Kontinenten und zwei Systemen. Liest man das und sieht die KrimiBestenListe vor sich, denkt man, da war doch was? Genau, auf Platz Eins steht mit Die Kairo Affäre von Olen Steinhauer ebenfalls ein Spionage/Geheimdienstthriller. Beide Autoren sind Amerikaner, das ist nicht zufällig, wenn wir die täglichen Nachrichten der Überwachung der Welt durch die amerikanischen Geheimdienste und technischen Dienste zum Maßstab nehmen.
Und auch von Kairo bis Istanbul ist es nicht allzuweit. Joseph Kanon hat schon einige erfolgreiche Kriminalromane vorgelegt und natürlich lebt er in New York! Ihm gelingt das, was in solchen Romanen selten gelingt. Einen völlig zu überraschen. Und das nicht nur einmal. Die größte Überraschung war jedoch, es war wie ein Schock, als sich herausstellt, daß der amerikanische Auftraggeber Tommy, als Konsulatsangestellter getarnt, eigentlich jedoch vom amerikanischen Geheimdienst G2, für unseren geheimen Geheimdienstler Leon Bauer, der in Istanbul ebenfalls als Amerikaner schon lange Geschäfte macht und nebenbei für sein Land spioniert, geradewegs der ist, der auf denjenigen schießt, den Bauer doch für die Amerikaner aus den Fängen der Russen retten sollte. Daß die Kugel ihn nicht traf und den falschen erwischte, gehört dann auch ins Stammbuch der Amerikaner.
Ein völliges Verwirrspiel hält uns in Spannung, wobei die Fäden mehr als verwoben sind. Tatsächlich wäre es nicht richtig, hier wie bei Olen Steinhauer von John le Carré zu sprechen, der ist gewissermaßen politischer, man kann aber einer Charakterisierung in Richtung Graham Greene wie bei Steinhauer sehr gut folgen – allerdings kann man das auch lassen und sagen: Joseph Kanon!
Die KrimiZEIT-Bestenliste August 2014
INFO I :
Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.
Vorgestellt wird die KrimiZeit-JahresBestenliste
- im NordwestRadio am Donnerstag, den 7. August 2014 mit Tobias Gohlis gegen 9.20 Uhr sowie später in den Sendungen der Buchpiloten nachzuhören unter http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html -
in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 7. August 2014 und unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste
Monatlich wählen neunzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt inzwischen über 1800 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.
Die Jury der KrimiZEIT-Bestenliste auf dem aktuellen Stand:
Tobias Gohlis, Kolumnist DIE ZEIT, DeKrPr*, Moderator und Jury- Sprecher der Krimiwelt
Volker Albers, Hamburger Abendblatt, DeKrPr*
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR, DeKrPr*
Gunter Blank, Sonntagszeitung Zürich
Thekla Dannenberg, Perlentaucher
Fritz Göttler, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, SWR
Hannes Hintermeier, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Lore Kleinert, Radio Bremen
Elmar Krekeler, Die Welt
Kolja Mensing, Dradio Kultur
Ulrich Noller, Deutsche Welle, WDR, DeKrPr*
Jan Christian Schmidt, www.Kaliber 38.de, DeKrPr*
Margarete v. Schwarzkopf, Freie Literaturkritikerin
Ingeborg Sperl, Der Standard - Wien
Sylvia Staude, Frankfurter Rundschau, DeKrPr*
Jochen Vogt, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, Plärrer, culturmag, Dradio Kultur, Penser Pulp bei Diaphanes, DeKrPr*
In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie in der RUBRIK BÜCHER auf dem Titel oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Das Prozedere der Platzverteilung ist ganz einfach. Dreimal darf ein Kritiker aus der Jury einen Roman benennen. Wenn das gut verteilt ist, kann ein Buch einige Monate überwintern, dann hat es nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die jeweils Ende Dezember herauskommt und die wir für 2013 ebenfalls kommentierten.
JahresBestenliste 2013
INFO II :
Am 23. Juni teilte der Jurysprecher Tobias Gohlis mit:
Hannes Hintermeier (FAZ) und Elmar Krekeler (WELT) neu in der Jury der KrimiZEIT-Bestenliste
Seit Juni 2104 verstärken Hannes Hintermeier, Redakteur im Feuilleton der F.A.Z., und Elmar Krekeler, stellvertretender Feuilletonchef der WELT-Gruppe, die Jury der KrimiZEIT-Bestenliste.
Die Jury, die monatlich die zehn besten Kriminalromane aus der Fülle der Neuerscheinungen auswählt, besteht damit aus 19 Kritikerinnen und Kritikern, die in Deutschland, Österreich und der Schweiz veröffentlichen.
Hannes Hintermeier, Jahrgang 1961, hat Anglistik und Germanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München studiert. Nach dem Staatsexamen 1988 absolvierte er die Deutsche Journalistenschule in München. 1990 bis 1996 war Hintermeier Literaturredakteur bei der AZ, dann in der Kulturredaktion der „Die Woche“ tätig. Seit 2001 ist er im Feuilleton der F.A.Z. Stellvertreter des Ressortleiters, aktuell Redakteur für „Neue Sachbücher“.
Seit Frühjahr 2014 betreut er mit weiteren Kollegen die FAZ-Krimi-Seite, die alle fünf Wochen versucht, „mit ausgewählten Beispielen der ganzen Bandbreite des Genres gerecht zu werden“.
Hannes Hintermeier über zwanzig Jahre Krimi-Erfahrung: "Am Krimi fasziniert mich die ungeheure Entwicklung, die das Genre in den letzten zwanzig Jahren weltweit gemacht hat. Der Krimi vereint einen Gegensatz, indem er gleichzeitig immer lokaler und universeller geworden ist. Ärgerlich finde ich manches buchindustrielle Kopier-Verhalten - merke: Erst wenn der letzte Serienmörder gefasst ist, werdet ihr merken, dass man
Hannibal Lecter nicht toppen kann."
Elmar Krekeler, geboren 1963, kam nach einem Studium der Musikwissenschaft 1989 als Redakteur ins Feuilleton der WELT, wo er sich zunächst der klassischen Musik widmete, bis er 1994 Literaturredakteur wurde. Von 2001 bis 2011 leitete er die „Literarische Welt“, wo er von 2005 bis 2010 mit verantwortlich für den Vorgänger KrimiWelt-Bestenliste war.
Seit 2012 schreibt er wöchentlich die Krimi-Kolumne „Krekeler killt“. Krekeler wurde 2004 mit dem Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik ausgezeichnet und ist derzeit stellvertretender Feuilletonchef der WELT-Gruppe.
Krimis umgeben ihn von Kindesbeinen an. Elmar Krekeler: „Mein Vater war ein geradezu manischer Krimi-Sammler. Wir hatten u.a. die Gesamtausgaben von Agatha Christie, Victor Gunn, Arthur W. Upfield und Edgar Wallace im Regal stehen. Meine mittlere Jugend bestand aus roten Goldmann-Krimis, die schleichend die "Fünf-Freunde"- und ???-Ära ablösten.“
Ich freue mich, dass diese beiden renommierten Literaturkritiker und Feuilletonisten die monatliche Suche der KrimiZEIT-Bestenlisten-Jury nach dem intellektuell anregenden, spannenden und literarisch reizvollen Kriminalroman unterstützen. Gute Kriminalliteratur ist für das Verständnis und die Gestaltung unserer schwer durchschaubaren Welt von existenzieller wie ästhetischer Bedeutung.