mohatschZwei historische deutschsprachige Kriminalromane, Teil 1/2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Höchste Zeit, einmal unmittelbar von den historischen Kriminalromanen zu berichten, die hierzulande spätestens mit Gereon Rath, dem zehnbändigen Kriminalkommissar aus dem Berlin der späten Zwanziger und Dreißiger Jahre bis 1938 einen veritablen Auftritt hatten und haben. Ihr Autor Volker Kutscher hatte aufgegriffen, was im Berliner Umfeld schon vorgeackert wurde: den damaligen, mit neuen Methoden bekanntgewordenen ersten Mordkommissar Ernst Gennat literarisch wiederaufleben zu lassen. Meist direkt als literarische Figur oder verwandelt in Gereon Rath.

 

Festzustellen ist, daß es im englischsprachigen Raum seit langem eine richtige Schwemme – wir gehen jetzt nicht auf die Keltenkrimis oder mittelalterliche Szenerien ein - historischer Krimis gibt, die allerdings noch zu Lebzeiten vieler Leser spielen. Insbesondere die 70er und 80er Jahre sind so häufig Schauplätze, daß man eigentlich mehr darüber erfahren müßte, warum das so ist. Gleichzeitig werden diese Thriller und Krimis überhaupt nicht als historisch wahrgenommen, eben, weil so viele diese Zeiten noch erlebt haben.

 

Das ist mit den beiden folgenden Kriminalromanen, SCHILLERWIESE von Lotte Kinskofer und MOHATSCH von Mathias Scherer anders. Da liegen die Handlungen wirklich weiter zurück. In SCHILLERWIESE sind Ort und Zeit: Regensburg 1925 und in MOHATSCH, worum es gleich geht? Tja, wenn mich nicht alles täuscht, gibt es keine einzige Zeitangabe in Zahlen. Aber der Roman beginnt „‘Die spinnen die Deutschen’, murmelte Kommissar Mohatsch..“ und antwortet auf die Frage seine Frau, daß der neue Kaiser der Deutschen nichts Besseres zu tun hat, „‘als den altgedienten Bismarck einfach zu entlassen’“. Die Entlassung des Reichskanzlers Bismarck war am 5. März 1890. Und daß wir in der Zeit richtig liegen, flicht der Autor auch elegant ein, wenn er den Mohatsch in Zusammenhang bringt mit der Tragödie von Mayerling, wo am 30. Januar 1889 Kronprinz Rudolf von Österreich, einziger Sohn des Kaisers Franz Joseph und Elisabeths von Österreich, sich und die 17jährige Baroneß Mary Vetsera erschoß., was Mohatsch also dem Roman nach aufgeklärt hatte, wenn auch nicht vollständig, denn rätselhaft bleibt der Mord und Selbstmord bis heute. Für das damalige Wien hat Mohatsch eine sagenhafte Karriere hinter sich, denn er wurde schon vor 15 Jahren aus der k.und k. Gendarmarie im 4. Bezirk in das gerade neu errichtete k.k. Polizeikommissariat versetzt. Das nun liegt da, wo sich in Wien alle wichtigen Institutionen sammeln, der Inneren Stadt, dem ersten Bezirk, heute durch den Ring, diesem Architekturereignis mit Universität, Rathaus, Kunsthistorischem und Naturhistorischem Museum, Burgtheater, Oper, feinen Hotels…, alles jenseits dessen, was Mohatsch interessieren. Eigentlich möchte er längst pensioniert sein, aber er hat so ein Gen oder wie soll man seine Fähigkeit beschreiben, sei es sechster Sinn genannt, oder übersinnliche Fähigkeiten, auf jeden Fall wird als Sonderermittler vom Polizeipräsidenten persönlich in die Provinz beordert, weil es dort zu Unruhen kommt. Sofort macht sich Mohatsch per Zug auf den Weg. Erstes Ziel ist die Polizeidirektion Linz, die ihn an eine Kleinstadt im oberösterreichischen Innviertel schickt, wo die Bevölkerung nicht nur einen Aufruhr anzettelt, sondern sich anschickt einen Lynchmord zu begehen.

 

Der Anlaß ist wirklich traurig und im Kriminalroman selten. Ein totes Kind. Ein Baby. Zuerst ist es entführt worden und dann lag es tot im Bettchen. Und der Mob weiß genau, wer es war. Dieser Böhme, der dort herumstreicht. Den wollen sie stellen und umbringen. Nun erfährt Mohatsch auch, warum er kommen soll. Es war der Kaiser persönlich, der dort Unruhen befürchtet und den Mohatsch in guter Erinnerung hatte.

 

Mohatsch fährt also weiter und was er dort erlebt, ist äußert seltsam. Die Gespräche mit den Eltern, merkwürdig, seine Ansprachen an die Bevölkerung, seine Wahrnehmung, die niemand teilt. In 113 Seiten gelingt es Mathias Scherer, den Leser in eine Welt voller Unsicherheit, ohne doppelten Boden zu führen, die in Bibliotheken führt, vom plötzlichen Kindstod spricht und ein Pärchen in seine Nähe treibt, von dem er sich überwacht fühlt.

Schließlich entdeckt er die Wahrheit, schreibt den Abschlußbericht, schreibt aber gleichzeitig noch einen zweiten, der die Wahrheit verfälscht. Seinem Vorgesetzten empfiehlt er, den zweiten zu veröffentlichen, was dieser tut, so explosiv sind Mohatschs Erkenntnisse.

 

Wenn dann noch im Epilog als die gefährlichsten Massenmörder des 20. Jahrhundert Göring und Trotzki genannt werden, bewegen wir uns auf sehr unsicherem Boden. Dieses Gefühl hält noch sehr lange an.


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Umschlagabbildung


Info:
Mathias Scherer, Mohatsch, Historischer Kriminalroman, edition federleicht, 2024
ISBN 978 3 68935 008 6