Klaus Lang „Wilhelm Furtwängler und seine Entnazifizierung“

 

Kirsten Liese

 

Berlin (Weltexpresso) - Es befindet sich im Berliner Landesarchiv, enthält 104 maschinenschriftliche Seiten und ist öffentlich zugänglich: Das wörtliche Protokoll zu der Hauptverhandlung von Wilhelm Furtwänglers Entnazifizierung am 17. Dezember 1946 in der Berliner Schlüterstraße 45.

 

Der Musikjournalist Klaus Lang, der es 2008 zufällig entdeckte, erkannte sofort die große Bedeutung dieses bislang seltsam unbeachteten, spektakulären Dokuments. Denn es zeigt einen anderen Furtwängler als den, über den schon soviel geschrieben und gemutmaßt wurde: Keinen Lügner, der sich - wie der Sänger Dietrich Fischer-Dieskau in seinem Buch „Jupiter und ich“ behauptet- angeblich überheblich und ungeschickt zu rechtfertigen versuchte. Auch keinen Reumütigen, der sich beschimpfen lassen muss und schuldbewusst nach Verhandlungsende zusammenbricht wie in dem Theaterstück „Taking Sides“.

 

Sondern einen Aufrechten, der in Deutschland während der Naziherrschaft blieb, um allen Menschen, die nicht an diesen Verbrecherstaat glaubten, zu helfen. Das Protokoll zu Furtwänglers Entnazifizierung ist keine gewöhnliche Schrift in nüchternem Amtsdeutsch. Es dokumentiert vielmehr in Dialogform den exakten Schlagabtausch zwischen den Vorsitzenden, Furtwängler und Zeugen, besitzt zudem dramatisches Spannungspotenzial und damit Qualitäten eines Theaterstücks.

 

Insofern war es für Klaus Lang sehr nahe liegend, aus der Vorlage ein Kammerspiel zu machen, gewissermaßen ein Gegenstück zu Harwoods Drama "Taking Sides". Er hat sich an den originalen Wortlaut aller Beteiligten gehalten und die Aussagen mit einigen Kürzungen auf das Wesentliche verdichtet. Herausgekommen ist ein sehr authentisches, packendes Stück, das dem Leser ermöglicht, sich vorurteilsfrei seine eigene Meinung zu bilden.

 

Zwei deutsche Widerstandskämpfer namens Alex Vogel und Wolfgang Schmidt sowie ein Bariton der Berliner Staatsoper haben den Vorsitz bei diesem Verfahren, keineswegs ein amerikanischer Major wie bei Harwood und Szabo.Ein Klima der Freundlichkeit und Sachlichkeit waltet in dem heute denkmalgeschützten Gebäude der Berliner Schlüterstr.45, ein bedeutungsvoller Ort mit einer hundertjährigen Geschichte. Publikum und Journalisten sind zugegen und 16 Zeugen kommen zu Wort, darunter der jüdische Geiger Hendricks-Leuschner und der Berliner Theaterintendant Boleslaw Barlog. Sie alle äußern sich uneingeschränkt positiv zu Furtwängler, betonen anhand von Episoden, wie oft er sich durch seine Hilfe in Gefahr brachte.

 

Furtwängler hatte gleichwohl nicht nur Freunde, sondern auch Feinde. So manche Intrige spielte sich hinter den Kulissen ab wie den umfangreichen Erläuterungen, Kommentaren und Pressestimmen zu entnehmen ist, die der Autor seinem profund recherchierten Buch in einem zweiten essayistischen Teil hinzugefügt hat.

 

Es war ein schwieriger Balanceakt, dem sich der Dirigent täglich ausgesetzt sah - im Umgang mit Neidern und Machthabern. Der damalige Intendant der Philharmoniker Hans von Benda und der Geschäftsführende Direktor der Philharmoniker, Lorenz Höber, zählten zu den Denunzianten. Sie zeigten 1939 den Dirigenten Victor de Sabata bei den Nazis an und belasteten nach Kriegsende Furtwängler mit der Behauptung, er habe abfällig von dem Italiener als einem Juden gesprochen. Ihnen war bekannt, dass Sabata auf Furtwänglers Einladung nach Berlin gekommen war, und dass Furtwängler den Kollegen sehr schätzte.

 

Furtwängler selbst, den Lang bewusst einen Appellanten nennt und nicht einen Angeklagten, steht vor dem Tribunal wie ein Gleichberechtigter, der seine Würde bewahrt, und wie alle anderen nach der Wahrheit forscht. Er antwortet souverän auf jede Frage und stellt selbst Fragen an die Zeugen. In seinem Schlusswort fasst er glaubwürdig zusammen, warum er in Deutschland geblieben ist: „Die Sorge, vom Nationalsozialismus für eine Propaganda missbraucht zu werden“, musste für ihn „zurücktreten vor der größeren, höheren: die deutsche Musik in ihrem Bestand zu erhalten.“

 

Alle Anwesenden der fünfstündigen Anhörung überzeugte diese Schlussrede. Die Kommission bestätigte Furtwängler, dass er mit seinen Ämtern „keine nazistische Aktivität verbunden hat“, weder innere noch äußere Bindungen zu der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen hatte und in vielen Fällen Verfolgten Hilfe gewährte. Furtwängler war rehabilitiert und verließ unter großem Beifall den Saal.

Wilhelm Furtwängler und seine Entnazifizierung“ ist eine höchst verdienstvolle, spektakuläre Publikation, die falschen Kolportagen und Gerüchten ein Ende setzt. Dank seines kompetenten Autors, der sich minutiös an Fakten hält und nie in spekulativen Interpretationen verirrt, ist es das ehrlichste, das je über Furtwängler geschrieben wurde.

 

 

INFO:

 

Wilhelm Furtwängler und seine Entnazifizierung

Autor: Klaus Lang, Aachen 2012. Verlag: shaker-media; Preis: 18.90 €.