Podiumsdiskussion auf der Frankfurter Buchmesse 8. bis 12. Oktober 2014, Teil 21

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) -- Mit 'Stadt verwandeln' verbunden sind Eingriffe in die Gestaltung der Stadt, wie sie bislang eher den avantgardistischen Versuchern vorbehalten waren. Das Geronnene, Harte und Abweisende wird teilweise in Besitz genommen und umfunktioniert.

 

Die Stadt wird zurückerobert vom Subjekt, das sich wieder für lebendig erklärt hat. Die gesprühten Tags waren schon immer ein Teil dieses Anspruchs.

 

Den Zwischenräumen neue Bedeutung verleihen

 

Drei Zeugnisse seien diesem Zweck entsprechend hier angeführt (Bücher, künstlerische Kollektive):

 

  • Buch: 'Die bleichen Füchse', Yannick Haenel (Frankreich), Rowohlt, Reinbek, 2014
    'Radikaler und poetischer Roman...erzählt von Außenseitern und Ausgeschlossenen in Städten' (lt. Programmheft)

  • Projekt: 'Sacro GRA', Buch, Film und Fotoausstellung über die Stadtautobahn in Rom,
    von Nicolò Bassetti, Kurator (Angaben des Programmhefts)

  • Architektenkollektiv: 'basurama' (Spanien), Architektenkollektiv der Architekturhochschule Madrid, das alternative Perspektiven für den Umgang mit Ressourcen, Konsum und Produktion entwirft (Angaben des Programmhefts)

Moderation: Michele Sciurba (Frankfurt), Galerie Art Virus, Frankfurt a.M.

Kooperation: EUNIC Frankfurt, das Netzwerk der europäischen Kulturinstitute

 

 

Die zivilisatorisch so ganz anderen, durch Gewöhnung, Verfall, hypertrophe Künstlichkeit, Massierung auch, gekennzeichneten Gegenstände und Einrichtungen, die im eigenen Raum zur Schrecklichkeit geworden sind: die U-Bahntreppe auf dem eigenen Wohngrundstück, die schon keine Nutzung mehr hat, der Pfeiler mit dem abgewetzten
U-Bahn-Hinweisschild, der Fernsehturm, über alles ragend und wachend (zumal farblicher Werbeträger), der Wald der Ampelanlagen und Hinweisschilder...

 

Im Gespräch wurden Konzepte erläutert: Nicolò Bassettis Wendung zum Umwidmen, zum Umnutzen des Autobahnpfeilers; die geschundenen, in die Jahre gekommenen Gegenstände der Straßenräume: diese und andere Räume 'wieder zum Leben bringen' ist eine reaktiv-aktive Idee.

 

Das spanische Architektenkollektiv mahnt an: 'Immer mehr Müll', 'geschenkt als Werbung'; Projekte mit all dem Müll sollen neue Nutzungen einleiten, alternativen Umgang daran üben. Gruppen von Menschen können/wollen/sollen einbezogen werden, die sonst nicht gefragt werden. Die vielfach koloniale Vorvergangenheit, die Entwicklungen, die seither stattgefunden haben, eingetreten sind, können an ausgesuchten Objekten mit reflektiert werden.

 

Übrigens: 'Dogon' ist in Westafrika 'der bleiche Fuchs' (eine stehende Rede; verwendet im Titel des Buches von Yannick Haenel).

 

Und dann: Müll assoziiert sich sogleich mit den Menschen, die nicht mehr nötig sind für den Produktionsprozess, sie werden entlassen, sogar Lehrkräfte auch (der IWF hat's auf Umwegen durchgesetzt; hat harte Spar-Programme verhängt, um die Schulden der mit Kreditgeld geschmierten nationalen Eliten einzutreiben). Den Menschen Zuhören, Recherchearbeit, ein die Umwelt anderes Sichten, liefert Motive für Aktionen.

 

Das Architektenkollektiv fragt auch auf Frankfurt hin bezogen: was ist zwischen den Skylinetürmen, wie viel Leerheit, Vergessenheit, Abgestelltheit ist da zu finden?

 

Paris 2005; Sarkozy. Damals brennende Autos, Aufstände in den Banlieus.

Sarkozy meinte hierzu: 'ist irrelevant, spielt keine Rolle'.

 

Yannick Haenel flicht ein: 'Macht will Zentrum, keinen Rand'.

Zwei Menschen wurden damals getötet.

 

Randgebiete tendieren (wie von den sehr mächtigen Interessen und ihren Helfern durchaus gewollt) dazu, stigmatisiert zu werden. Offenbach setzt auf hochpreisigeren Wohnraum im umgewidmeten Hafengebiet, sinnigerweise mit 'Hafengold' benannt, eine offenherzige Redeweise allemal. Die Abgehängten und Vergessenen, die im Grunde Aufgegebenen bekommen abgewinkt, sollen draußen bleiben. Sie sind unerwünscht. Lebendiges, nicht auf Perfektion getrimmtes Leben ist verbotenes Gut im Ökonomieprozess.

 

Am Schluss kurz notiert: Die Frage nach der Revolution. Man wird den Eindruck nicht los: Bankrott, Pleite droht. Niemand glaubt noch an etwas gesellschaftlich Verfolgbares, Durchsetzbares. Diejenigen, die heute in Deutschland nicht mehr wählen gehen (ein hoher Prozentsatz), sind die, die früher SPD gewählt hätten. Das kommt nie wieder, das kann die SPD vergessen. Sie ist weit davon entfernt, ihre Lage zu begreifen.

 

 

INFO:

 

'Die bleichen Füchse', Yannick Haenel, Rowohlt, Reinbek, 2014 ISBN 978-3-498-03026-1

 

'Sacro GRA', Nicolò Bassetti, Quodlibet, 2013 ISBN-10:88-7462 557-X