Eberhard Mayer-Wegelin präsentiert DAS ALTE FRANKFURT, Teil 3

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Der vorliegende, gerade erschienene Bildband zeigt nicht nur, welch rasante Entwicklung die alte Kaiserstadt und Freie Reichsstadt Frankfurt von Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute genommen hat, sondern auch, wie ansehnlich, ja schön diese Stadt zu jeder Zeit war. Zumindest bis 1945.

 

Der Fotograf Carl Friedrich Mylius hatte die Marktlücke der Zeit erkannt, als die Fotografie nach ihrer Erfindung in die Phase eintrat, für technisch Versierte das Verfahren in einer Mischung aus Können und Geduld auf Papier oder Pappe zu bannen und die Welt staunen zu lassen, wie auf diesen Fotografien, das, was die Leute vor der Nase sahen, noch einmal – für ewig – abgebildet war. Wir Heutigen können uns diese Überraschung, diese Sensation überhaupt nicht mehr vorstellen, die auch Kinder heute nicht mehr erfahren, weil sie in eine mediale Welt hineinwachsen.

 

Die Abbildung der Wirklichkeit stieß in zweierlei Hinsicht auf besonderes Interesse: sich selbst von außen zu sehen, wie im Spiegel: die Porträtfotografie war geboren und das, was die eigenen Augen sehen, auf Fotografien wiederzusehen: seine Umwelt abzulichten in der Gebäude- und Stadtfotografie. Mit ersterem, dem Porträt, konnte man im neuen Berufsbild des Fotografen erst einmal für seinen Lebensunterhalt sorgen. Denn die Menschen waren erpicht darauf, ein Abbild von sich zu haben, was dann doch billiger war als die Porträtmalerei und vor allem keine Interpretation ihrer Person durch den Maler, sondern ihr echtes Aussehen zeigte. Daß wir heute wissen, wie sehr gerade in der Porträtfotografie der Mensch inszeniert werden kann, was die ersten Fotografen auch kräftig taten, steht auf einem anderen Blatt.

 

Also schossen auch in Frankfurt die Porträtfotografien aus dem Boden und einer davon hieß Mylius. Um solche Menschenporträts geht es im vorliegenden Band überhaupt nicht, sondern um das Porträt der Stadt, um Stadtansichten und Gebäude, die vor uns im Licht des 19. Jahrhundert erscheinen und sagen: „So sah ich damals aus, das bin ich zwei Jahrzehnte später, ich bin ständig im Wandel: ich die Stadt Frankfurt.“ Daß wir über einen solchen Reichtum von fotografischen Überblicken und Details über die Mainstadt verfügen, ist allein das Verdienst des vorausschauenden Fotografen Carl Friedrich Mylius.

 

Höchste Zeit, etwas über ihn zu sagen, was Eberhard Mayer-Wegelin in seinem so schönen Bildband DAS ALTE FRANKFURT. PHOTOGRAPHIEN 1855-1890 auch zuverlässig tut. Überhaupt sollte man erst einmal etwas zur Gliederung dieses gewaltigen, elegant in Schwarzweiß gehaltenen Bandes sagen, der unterteilt ist in die Ausführungen zu Person des Fotografen bis Seite 19 und dann seinem Lebenswerk dient, den Fotografien, die unterteilt sind in die Stadtansichten für Touristen, das Maipanorama, Alben, dokumentarische Ansichten, Auftragsarbeiten und dann sowohl auch die Vororte und Umgebung Frankfurts, wie auch spezielle Ereignisse ablichtet. Gute Gelegenheit übrigens, darauf zu verweisen, wie sehr die deutsche Sprache jeweils von technischen Neuerungen wie hier dem „Belichten“ profitierte, aus dem dann schnell das gegenteilige 'unterbelichtet' wurde.

 

Der in Frankfurt geborene Carl Friedrich Mylius kam nach Wanderjahren jung verheiratet 27jährig 1854 zurück in seine Heimatstadt und gab flugs die Eröffnung eines 'photographischen Ateliers' bekannt, das so reüssierte, daß er der bekannteste Frankfurter Fotograf wurde. 1854 hatte die alte, eher beschauliche und provinzielle Stadt rund 70 000 Einwohner und war durch den Sitz des Deutschen Bundes und Messen seit dem Mittelalter als Freie Reichsstadt weithin bekannt. Grundsätzlich muß man hinzufügen, daß durch die Industrialisierung und weitere technische Erfindungen ab der Mitte des 19. Jahrhundert alle Städte einen Aufschwung nahmen, der in Frankfurt infolge der Annexion durch Preußen 1866 zusätzliche Dynamik erhielt, weshalb sich Frankfurt bis 1900 zu einer modernen Industrie- und Handelsstadt entwickelte mit einer Einwohnerzahl von etwa 400 000, also sechsfach vergrößert.

 

Es ist ein ausgesprochener Glücksfall, daß Mylius diesen Prozeß im Bild hundertfach festgehalten hat, weshalb uns in diesem an die 300 Seiten starken Band diese Fotografien – man scheut sich einfach, Fotos zu sagen – am allermeisten interessierten. Wie neue Schnitte durch die Stadt entstehen und wie im Zentrum die meisten Häuser repräsentativ und aufgehübscht aussehen, am Stadtrand aber Armut und Schäbigkeit schon den Straßenzügen anzusehen ist, das ist beeindruckend. Ansonsten sind wir hingerissen vom Rückwärtsgehen in der Zeit, wenn man nämlich beispielsweise eine Aufnahme über den Main sieht, zu Zeiten, wo es in Frankfurt überhaupt nur die Alte Brücke gab. Der Blick auf den Dom ohne Eisernen Steg – wie fremd ohne Brücke und Domspitze - und dann ab 1869 mit ihm, das gefällt einem einfach, wenn man die Stadt kennt.

 

Überhaupt kann man an den Fotografien die Geschichte der Stadt ablesen. Der Dom zum Beispiel, der in seiner gotischen Gestalt nie fertiggebaut wurde, dann 1867 brannte und, erneut ab 1871 bis 1877 aufgebaut, auch die einst vorgesehene Spitze erhielt, die wir auch heute im Erscheinungsbild des Doms als aussagekräftig kennen. Ehrlich gesagt, haben wir uns stundenlang diesem Vergnügen hingegeben, weshalb wir so sicher sind, daß jeder, der in Frankfurt aufwuchs oder die Stadt gut kennt, sich hier als Stadtarchäologe betätigen wird und am Bildband tiefe und anhaltende Freude hat.

 

Wir können uns nicht lösen, Blick von der Hauptwache in die Zeil um 1865 auf Seite 63. Nicht nur, daß sich damals übergangslos die vierstöckigen Häuser von der erst zweistöckigen Hauptwache in die Zeil anschließen und die Weite der Straße einen staunen läßt - rechts, man sieht es nicht, muß die Katharinenkirche stehen – , da lacht man insgeheim, wenn man die Pferdekutschen stehen sieht, denn hinter ihnen in Richtung Ostzeit macht man so etwas wie einen Kometenschweif aus, was sicher von der langen Belichtungszeit herrührt. Auf dem Bild dagegen auf der linken Seite, was dieselbe Ansicht zwei Jahre früher zeigt, erkennen wir den Pferdekutschenstandort direkt vor der Hauptwache wieder, aber es fehlt das Grün der Bäume und es fehlt das gewaltige Denkmal, wo Schiller Richtung Osten blickt. Automatisch wissen wir, aha, in diesen zwei Jahren wurde dieser Platz begrünt und für das Denkmal aufgehübscht und - überlegen wir weiter – jetzt wissen wir zudem, daß alles dies schon 1863 geschah, wo zarte Stämmchen die Bäume von zwei Jahre später ankündigen, wo dann Schiller seine Rast fand.

 

Man erzählt sich so selbst die Geschichten zu den Bildern dazu und hört nicht auf. Denn anders als die heutige Hauptwache, die mitten auf dem Platz steht, weitet sich hier der Platz nach Norden aus. Schluß. Das war ja nur ein Einblick in ein Zauberwerk von Erinnerungen, die uns im hinteren Teil auch die Menschen der Zeit zeigen. Auf das Allerwichtigste, wie nämlich der Römer sich unaufhörlich wandelt, sind wir nicht eingegangen. Das können Sie selber verfolgen.

 

FOTO: Der Römerberg mit Marktfrauen, um 1867 © C. F. Mylius / courtesy Schirmer/Mosel

 

INFO:

 

Das alte Frankfurt
Photographien von 1855–1890

von Carl Friedrich Mylius
Hrsg. und mit einem Text von
Eberhard Mayer Wegelin
288 Seiten, 248 Tafeln und
22 Abbildungen in Duotone
ISBN 978-3-8296-0682-0