Jan Seghers, DIE STERNTALER-VERSCHWÖRUNG, Kindler Verlag, Teil 2

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Rolf-Peter Becker spielt nur am Anfang eine Rolle im neuen Kriminalroman um den Frankfurter Kriminalkommissar Marthaler, was einem fast leid tut, weil der hier so genannte ehemalige Ministerpräsident von Hessen, Roland Koch, eine prächtige Romanfigur abgibt, mit all seinen Macken und Winkelzügen.

 

Doch diese, das wird schnell klar, macht er in großem, in weltpolitischem Maßstab, während wir es hier mit den Niederungen hessischer Politik zu tun bekommen, die – das wußten wir auch damals – tatsächlich zu den peinlichsten Vorgängen hessischer Geschichte gehören, wie eine in die Zwickmühle zweier Wahlversprechen (Koch muß weg, keine Koalition mit den Linken) geratene SPD-Kandidatin, im Original Andrea Ypsilanti, im Buch Sabine Xanthopoulos, von einer Männerclique rund um die hartgesottene CDU, von innen – Abfall von vier SPD-Abgeordneten – und von außen – CDU und Medien, fertiggemacht, verleumdet und weggekickt wurde, indem die Biedermänner einheitlich und ohne einzuhalten: Lügnerin riefen. Dieser Roman zeigt so nebenbei – und das ist nicht fiktiv – wie dahinter eine politische Strategie steckte, vom Lügner Koch und der Schwarzgeld-CDU mit den angeblichen jüdischen Vermächtnissen in Hessen abzulenken und den Lügnervorwurf einer ungeschickt und naiv aufgetretenen, aber nie und nimmer intriganten SPD-Frau ans Bein zu binden, was den Herren gemeinsam hervorragend gelang. Allerdings kommt in der Segherschen Fassung die Rolle des Herausgebers der FAZ und die Herren vom HR nicht vor, denn das Ausmaß dieser Männerverschwörung ging weit über die CDU hinaus und schloß die Medien, die ja eigentlich so etwas verfolgen müßten, zum größten Teil mit ein.

 

Das allerdings deckt dann im Roman infolge einer Morduntersuchung Kommissar Marthaler auch auf. Diesen kennen wir als verbissenes Arbeitstier, der nicht rastet, noch rostet, bis der Gerechtigkeit Genüge getan ist, wobei ihn dann auch weniger der Strafaspekt für den Täter interessiert, sondern die Verfolgung und Stellung des Täters, also seine eigene Aufgabe. Erst dann kann er durchatmen, aber das ist natürlich ein sehr langer Zeitraum, wenn man auch ein Privatleben haben will. Das wollte und will noch immer Teresa, seine böhmische Geliebte, der aber die fehlende Luft zu dünn geworden ist, weshalb sie nach Prag pendelt, wo ein weiterer Geliebter auf sie wartet. Eine neue Situation, mit der sich Marthaler überhaupt nicht beschäftigen kann, weil er ja den Mord ermittelt. Was heißt Mord. Morde!!

 

Das hat uns gut gefallen, wie Jan Seghers - das Alias von Matthias Altenburg, was einem schon fast langweilig zu erwähnen ist - seine Fälle verknüpft und so finden wir den gesamten Anfang mit dem immer noch nicht gefaßten Frauenmörder über Jahrzehnte und mehrere Länder total spannend in Gang gesetzt. Und dann folgt der hessische Gongschlag mit der Verfolgung eines abtrünnigen CDU-Abgeordneten, der flugs in eine Kinderpornografiegeschichte verwickelt werden soll und per Rufmord auch wird, wobei ein Beamter des Landeskriminalamtes sein teuer bezahltes Diensthändchen darüber hält und eine sofortige Hausdurchsuchung veranlaßt, die nur insofern nichts bringt, als der Bote mit den verräterischen Fotos, die eigentlich im Hause des Abgeordneten gefunden werden sollten, nun tot im Straßengraben liegt. Er wurde eher zufällig auf dem Wege zum Abgeordneten auf seinem Motorrad angefahren und die angeblichen Beweisfotos liegen mit ihm im Straßengraben.

 

Jetzt kommt Süleyman ins Spiel, der etwas von einem arabischen Dschinn hat, der als Luftwesen durch die Gesellschaften schwebt, mal von Männern geliebt wird, mal von Frauen, mal für Geld, mal ohne. Hier ist Seghers eine so richtig zwittrige Jungmännergestalt gelungen, die den Krimi auch auf Tour hält, vor allem als die unerschrockene und von Marthaler so liebevoll wie zutreffend als penetrant beschriebene Journalistin Anna aus Hamburg auf der Matte erscheint, auf die sie besagten Süleyman flugs flachlegt. Doch da passiert so allerlei, dennoch verliert in der Folge der rasante Krimi an Fahrt und muß sich mit den fachlichen Niederungen des Kriminalgeschäftes zufrieden geben. Wie dann die aufgetretenen Fälle – Marthaler hat den seit Jahrzehnten gesuchten Mörder gefunden – auf einmal miteinander zu tun haben, das kommt einem etwas gewollt vor. Ist es ja auch, der Autor wollte es, aber da hat es der Leser dann doch lieber etwas wahrscheinlicher.

 

Das macht aber nix, denn das eigentliche Ereignis dieses Romans sind mindestens drei Sachen: Daß die politische Ebene ins Krimigeschäft einbezogen bleibt, weil tatsächlich besagte Männerrunde aus CDU, Landeskriminalamt – mehr verraten wir nicht – mit den vier SPD-Abgeordneten deren Vorgehen ausgekaspert hatten – wußten wir doch eh - ist die eine. Die andere ist eine fachlich höchst interessante und zwischenmenschlich aufschlußreiche Ermittlerarbeit des Krimiteams um Kommissar Marthaler. Und die dritte? Die haben wir vergessen, wollten wir gerade schreiben, doch dann fielen uns flugs die Brötchen- und Gebäcktüten ein, die zum gemeinsamen Frühstück im Kommissariat immer geholt werden, bei einem speziellen Bäcker in Bornheim, den wir mit Absicht nicht nennen, denn schon jetzt müssen die Kunden in langer Reihe warten, weil da so ein Romanschreiber in seinen Büchern diese Bäckerei immer so anpreist.

 

Im Ernst. Wer dort oder auch sonst in Frankfurt wohnt, hat sein heilloses Vergnügen am Lokalkolorit. Das macht einfach Spaß, wenn man die Wege der Leute, zu Fuß, zu Wasser, zu Rad, zu Auto, zu U- und S-Bahn durch die Stadt verfolgt. Man fühlt sich gleich wie ein Co-Schreiber, also irgendwie zu Hause in diesem Krimi, der auf einmal aus ist, weil alles gesagt ist. Bis zum nächsten Mal.

 

 

INFO:

Jan Seghers, Die Sterntaler-Verschwörung, Kindler-/Rowohltverlag