Ein Bilder-Buch für Kinder und Erwachsene von Evelyne Faye
Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) - Eigentlich erzählt das Buch eine einfache Geschichte, die ganz kurz sehr dramatisch wird. Ein Kind wächst im Bauch der Mutter heran und erzählt, was für ein Kind sich die Eltern gewünscht haben: „Meine Mama hat sich gewünscht, dass ich die ozeanblauen Augen meines Vaters bekomme, die sie so sehr liebt…“
„Aber als ich dann zur Welt kam, haben meine Mama und mein Papa geweint. Und das, obwohl ich alles habe, was sie sich wünschten.“ Doch Emma Lou, wie sie jetzt heißt, hat auch noch das Down-Syndrom. Kurz werden die Illustrationen ganz düster, denn die Eltern waren wahrscheinlich traurig, „weil sie Angst hatten“. Dann folgt das wohl ergreifendste Bild des Buches: Emma Lou sitzt im weißen Nachthemd, mit aufgemaltem roten Herz, weit entfernt von einem weißen Krankenhausbett, in dem ein bunter Teddy liegt: „Sie hatten Angst, dass ich nie ganz gesund sein würde.“
Es folgen Grafiken, in denen das Mädchen auf Buchstaben balanciert oder versonnen anderen Kindern nachschaut: „Sie hatten Angst vor dem Unbekannten und dem Unwissen“, meint Emma Lou, „Aber ich habe keine Angst! Denn heute gibt es viele liebe Leute, die mir dabei helfen, ganz viel zu lernen“, sagt sie. Weitere Illustrationen skizzieren, wie sie lernt, heranwächst, Freunde findet - und ihre Eltern wieder lachen können.
Vor allem sind es die Bilder des Mädchens und ihrer Beziehung zur Welt, durch die Emma Lou direkt zu uns Lesern „spricht“. Natürlich berührt das „Kindchenschema“ - die großen runden Augen, die kleine Nase, die hohe Stirn. Aber sie sei wirklich so „bildschön“, beteuert die Grafikerin Birgit Lang, sie habe sie genauso zeichnen wollen, wie sie ist. Jedoch schafft Lang keine Abbilder des Mädchens, sondern findet Metaphern für Ängste, Hoffnungen oder Lebensfreude und bewahrt In den Illustrationen das Geheimnisvolle, das dem Kind innewohnt.
Dazu befragt meint die Künstlerin, Emma Lou könne „ganz bei sich und extrem tief versunken sein“, dann wieder „auf emotionaler Ebene ganz offen sein und extremen Kontakt schaffen“. Das gehe so schnell, dass sie „ein kleines, schönes und wunderbares Rätsel bleibt.“
„Ich bin da“ ist ein Buch, das Hoffnung macht, nicht nur Eltern vermeintlich behinderter Kinder, sondern allen Lesern. Es kommt ganz ohne Larmoyanz, behindertenpädagogische Belehrungen oder gar moralische Mahnungen daher (Kinder mit Down Syndrom können legal abgetrieben werden). Es erzählt einfach die wahre Geschichte einer Familie mit wenigen Worten und vielen Bildern, die zeigen, was nicht sagbar ist.
INFO:
Evelyne Faye „Du bist da“, Illustrationen Birgit Lang, du-bist-da-Verlag, 24,90 €
Ein Buch für Eltern, Kinder, Erzieher, Ärzte, für Krankenhäuser, Schulen, Kunstliebhaber…
Down-Syndrom
Vor 30 Jahren machte der Rezensent ein Praktikum in einer hessischen Psychiatrie und lernte dort den gleichaltrigen Norbert Z. kennen, der bis dahin sein ganzes Leben lang angebunden im Bett vegetierte. Bei den Nazis wurden solche Menschen mit Down-Syndrom „als unwertes Leben“ ermordet, nach 1945 - wie Norbert - wegen „mongoloider Idiotie“ für „bildungsunfähig“ erklärt. „Die sollen wohl noch Abitur machen“, pöbelten damals die Psychiatrie-Wärter.
Heute gibt es tatsächlich Menschen mit Down-Syndrom, die das Abitur machen und studieren. Aufgrund einer Genmutation (Trisomie 21) weisen viele von ihnen durchaus Besonderheiten auf, aber sie sind nicht krank. Körperlich haben sie oft behebbare Herzfehler oder Organfehlbildungen. Sie benötigen besondere Förderung in sensorischen, sprachlichen und kognitiven Bereichen, besitzen aber enorme soziale und emotionale Fähigkeiten. /hwk