LiBeraturpreis auf der Frankfurter Buchmesse 8. bis 12. Oktober 2014, Teil 36
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Mekka als literarischer Ort ist neu. Die arabischen Literaturorte sind Kairo und Alexandria, Beirut und besonders im Film Casablanca. Mekka ist das heilige Mekka, als Geburtsstadt des Propheten Mohammed im Jahr 570 bekannt, wo ihn später die Erleuchtung überkam und der Koran geboren wurde.
Die von Mohammed umgewidmete Kaaba zieht bis heute die Pilgerströme aus aller Welt an, zusammen mit Medina, wohin der Prophet weiterzog, um das Alte hinter sich zu lassen. Denn Mekka ist nicht nur dem Islam heilig, sondern war schon zuvor ein Ort der jüdischen Mythen seit Adam. Es ist also folgerichtig, daß Mekka mit rund zwei Millionen Einwohnern auf den neuesten Stand der immer stärker betriebenen Pilgerindustrie gebracht werden muß, die im Roman als Randerscheinung aufblitzende Bodenspekulation das Abreißen ganzer Stadtviertel bedeutet zugunsten von Touristenpalästen und gehobener Häuser für die, die am wirtschaftlichen Erfolg beteiligt sind.
Und das sind nicht diejenigen, von denen wir in der Vielkopfgasse hören, mit denen Raja Alem unseren Kopf und unser Herz bevölkert. Sie schreibt also auch einen Roman aus der Gegenwart, damit man sich morgen an diese als verlorene Vergangenheit noch erinnern kann. Auch davon handelt das Nachwort und ohne den Übersetzer Fähndrich hätten wir auch nicht gewußt, daß der Romantitel DAS HALSBAND DER TAUBEN „bei jedem literarisch auch nur ein wenig gebildeten Araber ein Aha-Erlebnis auslöst. Aus dem 11. Jahrhundert stammt ein Buch mit dem fast identischen Titel DAS HALSBAND DER TAUBE, ein Buch über die Liebe: ihr Wesen, ihr Entstehen, ihre Charakteristika, ihre Wechselfälle und da Verhalten von Liebenden.“ (586)
Daß die vielen literarischen Bezüge im Roman, die wir leicht überlesen, für den arabischen Leser sehr viel mehr bedeuten, wird offenkundig, genauso wie, daß alle Personen dicht mit ihren kulturellen Wurzeln verbunden bleiben, die der Koran bedeutet, der ja nicht nur eine religiöse Komponente hat, sondern längst Volkskultur wurde. Die Zitate von Suren, die Verbundenheit der Inhalte ins tägliche Leben hinein, ist vielleicht auch eine der Erklärungen dafür, warum die 1970 in Mekka geborene Raja Alem für diesen Roman, der ihr, vergleiche unseren ersten Teil vom 17. Oktober, den LiBeraturpreis 2014 der Frankfurter Buchmesse einbrachte, zuvor aber 2011 den Internationalen Preis für einen arabischen Roman erhielt, der in Abu Dhabi vergeben wird.
Denn ohne weiteres erschließt sich uns westlichen Lesern eine Preisvergabe für diesen Roman durch islamgeprägte Länder nicht, denn hier wird kein Sauberland gezeigt, keine islamgetreue Lebensweise vorgeführt, sondern das pralle Leben geschildert, einschließlich von Prostitution und Drogenkonsum. Dazu Armut, bittere Armut und auch der Dreck, in dem die Menschen leben und den sie erzeugen, wird nicht ausgelassen, wie auch die dreckwegmachenden Menschen wie das Ehepaar Umm Achmad, Leichenwäscherin und Jabis, Latrinenreiniger. „Sich ein Paar vorzustellen einen Latrinenreiniger und eine Leichenwäscherin. Arbeitsteilung von der Wiege bis zur Bahre. Das war echte Selbstreinigung. Recycling. Die Begriffe jagten durch Nassirs Kopf. Eine Stadt kann ohne diese beiden, den Latrinenreiniger und die Leichenwäscherin, nicht sein, sie versinkt in der eigenen Scheiße und Verwesung. (146) Die beiden suchte der Kommissar nämlich auf, weil ihre Schwiegertochter diese rätselhafte Aischa ist oder war, wenn die aufgefundene Tote diese gewesen sein sollte, an deren Tod und der Mordaufklärung sich der Roman weiterhin entlanghangelt.
Höchste Zeit, zur Geschichte zurückzukehren, die in ihrer Vielfalt jegliche Zusammenfassung verweigert. Aber daß Kommissar Nassir, den wir als ernsthaften Ermittler kennenlernen, auf Seite 358 der Fall entzogen wird und an die Abteilung für Terrorbekämpfung übergeben wird, zudem mit dem zynischen Hinweis „Die Vielkopfgasse ist Ihnen wohl ein paar Nummern zu groß“, das ist so komisch (schließlich handelt es sich um eine der kleinsten und schäbigsten Gassen der Stadt) wie vorausschauend (denn sie wird verschwinden). Der Vorgesetzte wirft Nassir zudem vor, daß er sich bisher in seiner Karriere lupenrein verhalten habe „Ein Vierteljahrhundert lang konnten Sie zwischen Leben und Karriere wählen und haben sich ohne Wenn und aber gegen das Leben entschieden...aber Sie sind eingeknickt und haben sich von irgendwelchem Geschwätz in die Irre führen lassen...“
Aber als ihm der Vorgesetzte dann eine zweite Chance, verbunden mit einer deutlichen Orientierung gibt, wird Kommissar Nassir am Schluß fündig, allerdings mit einem Scheck mit unzähligen Nullen angereichert, auch er nun ein Teil der wuchernden Korruption in Stadt und Land. Warum wir bei diesem Roman von Poesie sprachen? Hören Sie selbst was die Autorin nun diesem korrumpierten Kommissar in den Mund legt : „Aber zur Erschöpfung der vergangenen Tage gesellte sich noch ein fauliger Geschmack im Mund. Eine Ratte hatte beschlossen, sich in seinem Innern einzunisten, um dort zu verenden.“ Und lesen Sie selbst.
Raja Alem, Das Halsband der Tauben, Unionsverlag 2013