Hessische Bibliotheken im weltweiten Datennetz
Harald Lutz
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Mit Hilfe des IT-gestützten Bibliothekssystems HeBIS recherchieren Leserinen und Leser vom Arbeitsplatz aus online in den Beständen des Bibliotheksverbundes.
Erinnern Sie sich noch, wie Sie früher Bücher in der Bibliothek bestellt haben? Zunächst einmal: Sie gingen hinein in einen Bau, der beeindruckte, zuweilen auch einschüchterte, angesichts des hinter unendlichen Reihen von Buchrücken versammelten Geistes und Wissens. Dann blätterten Sie in leicht vergilbten Karteikarten im Sachkatalog, um Geeignetes für Ihr Thema zu finden. Wo auch immer in der Bibliothek Sie ein Buch aus dem Regal nahmen, Sie hatten etwas in der Hand: leicht oder gewichtig, glatt oder rau, nach Druckerschwärze oder auch nach Staub riechend. Wussten Sie nicht weiter, standen Ihnen hilfreiche Bibliothekarinnen oder Bibliothekare zur Seite. Sie füllten Ihren Bestellzettel handschriftlich aus und warteten geduldig auf Ihr Buch.
Einen Bestandsüberblick des Bibliotheksverbundes in HeBIS gewinnen
Szenarien wie diese gehören an hessischen Hochschul- und Landesbibliotheken wie beispielsweise der Goethe-Universität in Frankfurt am Main weitgehend der Vergangenheit an. Hintergrund: Unter dem Projektnamen HeBIS wurde in Hessen ein komplett durch zeitgemäße Informationstechnik (IT) gestütztes, landesweites Bibliotheksinformationssystem aufgebaut.
Wissensdurstige können sich zunächst an PCs innerhalb der angeschlossenen wissenschaftlichen Bibliotheken Hessens oder über das Internet vom Arbeitsplatz und von Zuhause aus einen Bestandsüberblick aller Bücher des Bibliotheksverbundes seit 1986 verschaffen, teilweise auch von früher. Sämtliche verfügbaren Zeitschriftentitel sind via der Zeitschriftendatenbank ZDB des Deutschen Bibliotheksinstituts in Berlin hinzu gekommen. Ausgewählte Texte, Zeitschriftenartikel sowie Fotos und Graphiken über die Datenautobahn zu verschicken – einst kühne Vision, ist heute nicht nur in Hessen Realität.
Die hessischen Bibliotheken sind auf fünf Informationsregionen aufgeteilt
Mit der landesweiten Inbetriebnahme von HeBIS wurde das Bundesland Hessen in die fünf Informationsregionen Darmstadt / Wiesbaden, Frankfurt am Main, Gießen, Kassel und Marburg aufgeteilt. Darüber hinaus ist ein Vertrag mit Rheinland-Pfalz unter Dach und Fach gebracht worden, der die Teilnahme der Mainzer Universitätsbibliothek sowie der Stadtbibliotheken Mainz und Worms an dem hessischen Verbund ermöglichte. Seit der Inbetriebnahme von HeBIS haben die Endbenutzer selbst die Möglichkeit, über einen Online-Benutzerkatalog mit dem PC in den Beständen des Verbundes zu recherchieren. Ein „Privileg“, das früher nur Fachleuten und Bibliothekaren gewährt wurde.
Integration zusätzlicher Informations- und Dokumentenlieferdienste
Mit dem neuen Bibliotheksinformationssystem ist heute sowohl der zentrale Nachweis der Bücher und Zeitschriften als auch die Erweiterung hin zur Integration von zusätzlichen Informations- und Dokumentenlieferdiensten gegeben. Weitere Neuerungen im Bibliotheksalltag gegenüber früher sind die vollständige Umstellung der Ausleihverbuchung und eine Automatisierung bei der Neubeschaffung. Mit diesen Modulen ist eine kostenpflichtige elektronische Fernleihe und die Führung eines elektronischen Benutzerkontos verbunden. Damit stehen in HeBIS die allermeisten Bestände in digitaler Form zur Verfügung. Auch auf Fremddokumente auf Server außerhalb des Verbundes soll schon bald vermehrt zugegriffen werden können.
Frankfurter IT-Zentralsystem und lokale Datenverarbeitung
Computertechnische Basis von HeBIS ist das Bibliothekssystem OCLC EMEA – besser noch unter dem ehemaligen Namen Pica-Software bekannt. Einem übergeordneten IT-Zentralsystem, das in der Bibliotheksdatenverarbeitung in Frankfurt am Main seinen Dienst versieht, sind in Hessen Lokalsysteme aus den fünf Informationsregionen zugeordnet. In der Datenbank des IT-Zentralsystems werden alle für den gesamten Verbund relevanten Daten wie die Signaturen der zur Zeit etwa 2,1 Millionen Titel mit Bestandsnachweisen geführt. Die Datenbanken der Lokalsysteme werden aus den Beständen des Zentralsystems „gefüttert“ und enthalten zusätzliche Angaben aus der Bibliothekspraxis. Das IT-Zentralsystem und die lokalen IT-Systeme sind stets online miteinander verbunden. Die lokale Datenverarbeitung verwaltet in der Regel mehrere Bibliotheken. In Frankfurt am Main zum Beispiel neben der Stadt- und Universitätsbibliothek und der Senckenbergischen Bibliothek auch die Fachhochschulbibliothek, die Bibliothek der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen und viele Institutsbibliotheken der Goethe-Universität.
Online-Zusammenarbeit deutscher wissenschaftlicher Bibliotheken
Mit der Einführung von HeBIS ist der Weg zu einer umfangreicheren Online-Zusammenarbeit nicht nur der hessischen Benutzer und Bibliotheken einen guten Schritt voran gekommen. Infolge des Bibliotheksprojekts in Hessen haben sich mittlerweile auch die Bundesländer Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie die Bundesinstitution Deutsche Nationalbibliothek in Frankfurt am Main und Leipzig für das Bibliothekssystem entschieden.
Mit der Einführung von HeBIS in Hessen und Folgesystemen in weiteren Bundesländern wurde auch an deutschen Universitäten und Hochschulen die missliche Situation beendet, die nur als skurril zu bezeichnen war: Die Situation, dass mit der Entwicklung und Verbreitung des Internet zwar schon bald von den einzelnen Arbeitsplätzen aus eine Online-Recherche in Bibliotheken Nordamerikas problemlos möglich wurde, nicht aber eine Recherche über den Bestand der zentralen Bibliothek der Universität, die in Sichtweite auf der anderen Straßenseite liegt.
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Foto: Harald Lutz
Autoreninfo: Harald Lutz lebt und arbeitet als Fachjournalist und Technikredakteur in Frankfurt am Main.