40 TAGE NACHT, Thriller von Olivier Truc im Droemer Verlag, Teil 1
Elisabeth Römer
Hamburg (Weltexpresso) – „Zentrallappland. 1693...“, beginnt der 493 Seiten lange Roman, der so informativ über die Samen und ihre sämische Kultur wie wieder einmal desillusionierend über die menschliche Natur und ihre Schlechtigkeit ist. Und am Ende nimmt die heute spielende Handlung als Krimigeschehen auch deutliche Fahrt auf.
Zuerst einmal erschlagen einen fast die Vorlorbeeren, wenn es heißt, daß „der preisgekrönte Thriller aus dem Land der Sami...ausgezeichnet mit 20 Literaturpreisen...in 12 Sprachen übersetzt..nominiert für den CWA Dagger Award“ ist, wobei wir gar nicht wissen, was Letzerer ist. Dagegen wissen wir nach dem Lesen, daß wir eine Menge über Geschichte und Kultur der uns als Lappen bekannten Samen, die zu sich selbst Sami sagen, kennengelernt haben und froh sind, das Buch gelesen zu haben, das einem ja erst einmal spanisch vorkommt, wenn ein Franzose einen Krimi über Lappland schreibt und dann noch so viel aus dem Inneren dieses indigenes Volkes hoch oben im europäischen Norden weiß und sinnvoll weitergeben kann. Insbesondere alle Ausführungen zur echten samischen Trommel, die Dreh- und Angelpunkt wird, sind hervorragend, weil anschaulich als Bildprogramm auch sprachlich wiedergegeben.
Dreh und Angelpunkt, eine Trommel? Genau. Denn die Trommel ist in Gebieten, die über Eiswüsten und unwegsames Gelände geht, ein notwendiges Rüstzeug der Verständigung, vor allem aber musikalischer Begleiter der Joiks genannten Gesänge, in denen sich das alltägliche Leben in poetischer Gestaltung spiegelt. 71 echte samische Trommeln gibt es noch und wir werden Zeuge – so beginnt das Buch – wie eine aus einem Museum gestohlen wird, die sich dann als 72. echte herausstellt. Das konnte zuvor niemand wissen, denn die Trommel lag - noch unausgepackt – im Regal, gerade hatte sie ein alter Franzose jüngst aus Paris in die Heimat der Trommel geschickt und wie das alles zusammenhängt, verraten wir hier nicht, denn es ist ein Prinzip des Romans, daß er Dinge verbindet, die uns im Traum nicht einfallen würden, einfach, weil wir weder von Goldgräbern, Erzsuchern, Uranfunden im nordischen Eis eine Ahnung haben, noch wie gesagt vom indigenen Volk der Samen, die sich in die uns bekannten skandinavischen Ländern Norwegen und Schweden, aber auch Finnland erstrecken– das ja streng genommen nicht zu Skandinavien gehört. Übrigens das letzte indigene Volk Europas, das zur uralischen Sprachgruppe gehört, was früher mit finnisch-ugrisch bezeichnet wurde, zu denen also auch das Finnische, aber auch das Ungarische gehören.
Daß wir erst eine Ahnung und dann ein durchaus solides Wissen um die Lebensart und Kultur der Samen erhalten, erreicht Olivier Truc strategisch im Roman auf zwei Wegen. Er hat als handelnde Personen die Rentierpolizei, mit denen wir auch am 11. Januar durch Eis und Schnee, in Dunkelheit durchs Land der Rentiere fahren, einschließlich der 27 Minuten, die es zwischen dem Sonnenaufgang 11:14 und Sonnenuntergang um 11:41 Uhr hell ist – der erste und kürzeste Tage des Jahres nach 40 Tagen völliger Nacht - und die wir in Kautokeino verbringen, dem städtischen Zentrum, von dem aus wir dann die vereinzelt mit ihren Herden lebenden Rentierzüchter und Hirten in ihren Gumpis, den samischen Behausungen, aufsuchen.
Unsere Führer durch diese Welt sind der einheimische Kommissar Klemet Nango und Nina, die gerade aus der Ausbildung an der Polizeischule des Landes im Süden hoch in den Norden gekommen ist, wobei, auch das erfahren wir so nebenbei, ihre Zukunft eine gute ist, denn ab jetzt werden Frauen im Polizeidienst gefördert, erst recht, wenn sie solche Außenpositionen annehmen, wie den Einsatz in Lappland. Diese Nina bringt frischen Wind in die dortigen Gefilde, wo immer sie auftaucht, aber sie bringt diese Frische auch für den Leser von 40 TAGE NACHT, der manchmal schon Mühe hat, ob er das alles auseinander halten kann, was der samenerfahrene Autor in der Handlung als Sachwissen versteckt hat und das er freigiebig austeilt, wenn es gerade paßt.
Natürlich wundert man sich, daß ein Franzose so gekonnt über die Samen schreibt. Wenn man aber liest, daß Olivier Truc als Skandinavien-Korrespondent für Le Monde seit 1994 in Stockholm lebt, erklärt sich das Interesse und das Wissen von selbst. Es ist außerdem ein netter Zug an ihm, daß der Hauptschurke ein Franzose ist. Fortsetzung folgt.
Foto: der Autor
INFO:
Olivier Truc, 40 Tage Nacht, Droemer Verlag, Erscheinungsdatum: 2. Februar 2015