40 TAGE NACHT, Thriller von Olivier Truc im Droemer Verlag, Teil 2

 

Elisabeth Römer

 

Hamburg (Weltexpresso) – Und so leicht umständlich diffus, wie wir uns dieser Krimihandlung nähern, so ging es uns auch beim Lesen. Aber im Nachhinein wird völlig klar, wie diese beiden Fälle zusammenhängen, ja zusammengehören, mit denen Klement und Nina konfrontiert sind. Denn nach dem Raub der Trommel, wird der Same Mattis ermordet in seinem Gumpi aufgefunden.

 

Er ist in der Hierarchie der Rentierhirten einer der untersten, merkwürdig dazu, aber nun tot. Allerdings ohne Ohren. Die werden mit Einkerbungen an anderen Orten gefunden. Solches geschieht dort oben aber ansonsten nur mit den Rentieren. Denen schneidet man die Ohren ab, wenn man sie stiehlt, um zu vertuschen, daß ein Tier von einem anderen Züchter, aus einer anderen Herde stammt, denn an den Ohren sind die Rene markiert. Aber an einem Menschen? Das ist nie und nimmer samische Kultur, das ist moderne Unkultur, weiß der Leser besser als die dortige Polizei, denn die Rentierpolizei ist ja nur eine regionale Einsatzgruppe.

 

Dennoch paßt es der Obrigkeit in Kautokeino gut ins Konzept, daß da ein Same ein Mordopfer wird, denn daraus ist schnell eine Binnengeschichte konstruiert, in der ein Same dem anderen nach dem Leben trachtet und man den Mörder schnell innerhalb der Rentierhalter finden kann. Denn die Öffentlichkeit fragt nach, zumal ein weltweiter Kongreß hoch oben im Norden stattfinden wird und man nicht als Mörderland international vorgeführt werden will. Mehr wollen wir jetzt gar nicht weitersagen, denn die Handlung ist ganz schön komplex und führt uns über Stock und Stein und erst die Menschen! Sie lernen eine Vielzahl von Individuen kennen, von denen manche als Originale zu bezeichnen sind und die dem Roman eine menschliche Farbigkeit geben. Doch gleichzeitig gibt es auch viele Personen, die völlig blaß und Schablonen bleiben.

 

Die Handlung erstreckt sich über Europa und umfaßt eben auch eine Forschergruppe in den Dreißigerjahren, deren personelle Zusammensetzung und das damalige Geschehen zum Ausgangspunkt der Lösung werden. Aber das muß ja alles erst einmal anhand von Dokumenten und Fotos entdeckt werden.. Daß eine Rentierpolizistin so schnell nach Paris zur Zeugenvernehmung fliegen darf, fanden wir erstaunlich, wie überhaupt der Ton und das Geschehen da oben im Eis durchaus locker ist, bis jemand zur Salzsäule erstarrt. Der Roman lebt also von Gegensätzen.

 

Wenn wir oben sagten, daß der Autor unsere Kenntnis über die Verhältnisse des Landes strategisch auf zwei Wegen erreicht, so ist der Handlungsstrang der eine. Der andere sind sozusagen eingeschobene Diskurse, in denen Sachwissen transportiert wird. Wie gesagt, für uns war das hochwillkommen, aber wir hätten uns als Anhang eine Zusammenfassung der Informationen über die Samen gewünscht, einschließlich einer Landkarte.

 

Zwei Dinge, die uns nebenbei kritisch auffielen. Der Roman bezieht mehrere Länder Europas in die Handlung ein. „'Ernst Flüger', verkündete sie. 'Unser deutscher Geologe hieß Ernst Flüger. Student an der Universität Wien Mitte der dreißiger Jahre.'- 'eine hervorragende Hochschule',kommentierte Eva. 'Schade, daß diese Leute dann nachher alle für die Nazis gearbeitet haben. Aber auf euren Flüger trifft das jedenfalls nicht zu. Der ist ja vorher gestorben.' - 'Wer weiß, vielleicht ja doch. Schließlich waren die Nazis seit 1933 an der Macht.'“(Seite 293)

 

Das ist, so niedergeschrieben, Humbug. Wenn dieser Ernst Flüger Mitte der Dreißiger Student in Österreich ist, hat das mit den Nazis nichts zu tun. Aber später heißt es sogar: „Flüger hat sein Studium nicht abgeschlossen. Er wurde nach dem zweiten Semester von der Uni verwiesen. Er war Jude.“ Der Einmarsch der Nazis, der Anschluß Österreichs ans Dritte Reich war im März 1938. Die zwei Semester wären dann 1939 beendet, wo er in Lappland ermordet wird. Dann hätte er seit Mitte der Dreißiger Jahre sein Studium zudem abgeschlossen gehabt. Und im Österreich vor 1938 wurde kein Jude von der Uni relegiert. Das haut also nicht hin.

 

Was ärgerlicher ist, ist die sprachliche Unsitte vom Sinnmachen, was immer wieder als falsche Übersetzung von to make sense als Sinn machen übersetzt wird, richtig aber Sinn ergeben, Sinn haben, sinnvoll sein heißen muß. Nun ist die vorliegende Übersetzung aber eine aus dem Französischen. Nachdem man am Anfang noch froh ist, daß vom Sinn ergeben gesprochen wird, häufen sich im zweiten Teil die unsinnigen Sinnmachereien. Das ist nicht nur falsches Deutsch, sondern auch autoritätes. Ein Lektorat müßte das ausbügeln.

 

 

INFO:

 

Olivier Truc, 40 Tage Nacht, Droemer Verlag, Erscheinungsdatum: 2. Februar 2015