GONE GIRL von Gillian Flynn aus dem Fischer-Verlag

 

Hanswerner Kruse

Berlin (weltexpresso) - Die Verfilmung von Roman Gillian Flynns „Gone Girl“ lief bis vor kurzer Zeit in den Kinos. Selbst wenn man diesen Psychothriller schon als Film gesehen hat, lohnt die Lektüre des Bestsellers. Das Buch ist zugleich spannender Krimi, aufregende Beziehungsgeschichte und scharfe Milieustudie einer amerikanischen Kleinstadt.



In New York begegnen sich die coole Amy und der bodenständige Nick aus Missouri, zwei Jahre lang haben die beiden Journalisten eine leidenschaftliche, außergewöhnliche und intellektuell inspirierende Affäre. Dann heiraten sie, doch bald werden beide arbeitslos, Nicks Mutter liegt im Sterben und widerstrebend folgt Amy ihrem Mann zurück in seine enge, spießige Heimatstadt: „Wir ziehen nach Missouri. In ein Haus am Fluss, dort werden wir leben. Es ist surreal, und ich bin kein Mensch, der das Wort surreal missbraucht. So hätte ich mir mein Leben nie ausgemalt.“



Der Roman beginnt mit dem 5. Hochzeitstag des Paares, an dem Amy spurlos verschwindet. Im Wechsel von Nicks Erzählung und Amys Tagebuch erfährt der Leser mit zahlreichen Rückblenden die Hinter- und Abgründe ihrer Liebesgeschichte. Amy will nicht mehr das „cool girl“ sein und Nick ist es leid, seiner Frau niemals zu genügen:

Für Amy war die Liebe wie eine Droge, wie Alkohol oder wie Pornographie. Es gab kein Plateau, nein, jedes Erlebnis musste noch intensiver sein, als das vorherige. Amy ließ mich glauben, dass ich außerordentlich und ihrem Niveau gewachsen war. Doch ich konnte mit den Anforderungen der Großartigkeit nicht umgehen. Ich begann mich nach Mittelmäßigkeit und Bequemlichkeit zu sehnen.“



Das Verhalten des Ehemannes gegenüber Amy wird unerträglich, wie wir aus ihren Aufzeichnungen erfahren. Die scheinbar große und extravagante Liebe wird zunehmend desillusioniert, während sich der Verdacht der Polizei, Nick habe seine Frau ermordet, zunehmend bestätigt. Um Seite 200 scheint sich die Schlinge um seinen Hals endgültig zuzuziehen, aber noch sind fast 400 Seiten zu lesen. Doch es gibt in dieser „Amerikanischen Tragödie“ zahlreiche überraschende Wendungen, neue Sichtweisen und Wechsel von Gut und Böse. Sie werden hier nicht verraten, denn sie machen den Roman ungeheuer spannend und beuteln den Leser extrem.



Mal ist man mit dem erdigen, etwas prolligen Nick identifiziert, dann wiederum mit der schönen Amy, die wie eine Kunstfigur agiert. Nicht ganz zufällig, denn sie ist die einzige Tochter eines Schriftsteller- und Psychologenpaares, das zahlreiche fiktive Bücher über ihre „Amazing Amy“ schrieb. „Nick liiiiiiebte mich. Aber er liebte nicht mich. Nick liebte ein Mädchen, das nicht existierte… Schon für meine Eltern war ich nie mehr als ein Symbol, ein zum Leben erwachtes Idealbild. Amazing Amy in Fleisch und Blut.“



Flynn ist eine großartige Erzählerin, die den Leser mit ihrer verschlungenen Handlung oft in die Irre führt. Im Gegensatz zum Film sind die Charaktere des Paares, aber auch der Eltern Amys und der zerrütteten Familie Nicks, sorgsam herausgearbeitet. Hat man den Film gesehen, liest man das Buch weniger hastig und genießt die lakonische Sprache im Stil klassischer amerikanischer Erzähler. Doch dazu erzählt die Autorin oft voller Ironie, mit subtilem Sprachwitz oder gelegentlich derbem Humor.



INFO:

Gillian Flynn „Gone Girl“, Fischer-Verlag, Taschenbuch 576 Seiten, 9,99 Euro