Der neue Adler-Olsen, VERHEISSUNG, Deutscher Taschenbuch Verlag, Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Diese Tote hing nämlich im Baum und war nicht nur ganz jung, sondern von einnehmendem liebenswürdigen Wesen und schöner Gestalt dazu gewesen. Alle jungen Männer der Gegend schwärmten für sie, hatten kurze Schülerliebschaften etc., doch dann kam ein richtiger Mann. Das wußte schon Habersaat und das bekommt nun auch Carls Mannschaft paßgenau heraus.
Wir sind also mit der kleinen Gruppe in Bornholm unterwegs und obwohl uns der Fall anfänglich überhaupt nicht interessiert hatte, lernen wir wie im Bilderbuch, wie sich erfolgreiche Polizeiarbeit aufbaut. Immer nämlich zuerst auf Mißerfolgen, falschen Verdächtigungen und vertanen Zeitabläufen.
Mehr wollen wir nicht verraten, sind aber sicher, daß es Ihnen auch so geht, daß sie sich erst wundern, dann mit Carl bemerken, daß Habersaat genau wußte, daß sein Selbstmord den früheren Kollegen in Gang setzen wird, denn auf Seite 102 findet Carl den Zettel: „Hier hast Du den Mann, Carl“ und weiß: „Mit dem Selbstmord hat er gewissermaßen zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Er hat sich selbst die Geschichte vom Hals geschafft und sie gleichzeitig uns aufgehalst.“ Genialer Schachzug von diesem Habersaat, wenngleich er ihn nur aus dem Jenseits würdigen kann, sagt sich der Leser.
Vielleicht fand sich Habersaat aber auch nicht mehr in seinem papiernen Durcheinander zurecht. Das gehört zu den schönsten Stellen im Buch, wenn auf Seite 109 geschildert wird, wie ein ganzes Haus zum schlecht gepflegten Kriminalarchiv von einem einzigen Fall wird. „Und dann passiert ihm ja doch ein Fehler“, denkt die Leserin. Denn als erst die eklige geschiedene Frau des Selbstmordkommissars und dann noch sein Sohn vernommen werden soll, ist dieser auch tot. Auch Selbstmord. Und er hat seinem – doch toten Vater – ein Schreiben hinterlassen, daß es ihm leid tue. Aha, denkt sich der gewiefte Krimileser, aha!
Daß uns aber Adler-Olsen erst in der letzten Sekunde merken läßt, wie er uns an der Nase herumführt, na, das kann man erst auf diesen allerletzten Seiten ahnen und dann wissen, wo die Aufklärung des Falles so glasklar wird und man nur traurig konstatiert, wie viele darüber gestorben sind, die, wäre dieser eine Mord vor siebzehn Jahren nicht gewesen, ganz gut hätten leben können.
Daß wir jetzt gar nicht auf das geschäftstüchtige Zentrum der Transzendentalen und diese unheimliche Pirjo eingegangen sind, die weite Teile des Buches beherrscht, wollen wir nur erwähnen. Denn in diesen Teilen merkt man, mit welchem Vergnügen der Autor angelesenes Wissen über die Wirkungsweisen von heutigen Seelenführern und Verführern in sprachmächtige Sätze gießt. Und so werden einem die Siebziger Jahre, die in Skandinavien eher die Achtziger sind, ganz schön nahe gebracht.
Eine wunderliche Leseerfahrung. Insgesamt. Schon deshalb, weil man sich am Anfang fragt, ob der immer so ein Ekelpaket war, dieser Carl? Ja, für seine Vorgesetzten schon, aber für uns Leser? Denn wie er sich diesmal benimmt, geht gar nicht und ohne Rose würde er eh nicht in die Gänge kommen. Und dann packt ihn doch das Jagdfieber der Ermittlung und nicht das Siegenwollen ist es, sondern doch die Moral, daß die Schuldigen bestraft werden sollen. Aber mit der Schuld ist das ein schwierig' Ding. Und wir lernen wieder einmal, daß man sich beim Lesen drauf einlassen muß – auf ein Buch, einen Ermittler, einen Fall, so daß einen auf einmal brennend interessiert, was zuvor einem ungefähr so wichtig war, als ob in China ein Sack Reis umfällt. Fortsetzung folgt.
P.S. Den Henker von Nürnberg, den im Buch zitierten, den können Sie selber recherchieren wie auch die angegebenen Seelentröster.
Info:
Jussi Adler-Olsen, Verheißung, Thriller, Der Grenzenlose. Der sechste Fall für Carl Mørck, Deutscher Taschenbuch Verlag, März 2015
Lesereise siehe Teil 3