Serie: FRANKFURT LIEST EIN BUCH.: Mirjam Pressler, „Grüße und Küsse an alle“ vom 13. bis 26. April, Teil 1
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wir wußten es schon, daß Buddy Elias, der als Cousin von Anne Frank ihr Angedenken wachhielt und den ganzen Nachlaß der Familie nach Frankfurt verfügte, gerade gestorben war, dicht vor den Tagen, in denen Frankfurt das Buch über seine Familie öffentlich liest und wo er für viele Veranstaltungen fest eingeplant war.
Mit der Trauer über den Verlust, eben auch den menschlichen Verlust, begann die Pressekonferenz, auf der – wieder – neben dem Initiator und Verleger Klaus Schöffling, als Macher der Lesewochen Lothar Ruske und Wolfgang Schopf, der die lehrreichen und sinnlichen Ausstellungen kuratiert, für diesmal Peter Sillem vom Fischer Verlag, bei dem Miriam Presslers Buch wie auch Anne Franks Tagebuch zu Hause sind und Annekathrin Braun vom FAMILIE FRANK ZENTRUM zusammenkamen.
Daß wir den Eröffnungsredner Felix Semmelroth, Kulturdezernent der Stadt erst jetzt zu Wort kommen lassen, hat damit zu tun, daß er in die Trauer über den Tod des 89jährigen aus Basel auch erneut Claudia Michels gedachte, die an den vorherigen Pressekonferenzen nicht nur teilgenommen hatte, sondern intensiv in der Frankfurter Rundschau die Lesereihe journalistisch begleitet hatte, wie das gesamte kulturelle und soziale Leben Frankfurts; sie war 66jährig im Dezember plötzlich verstorben.
Daß der Vormittag nicht traurig weiterging, liegt an den immensen Planungen für diese zwei Wochen, die Buddy Elias mitverfolgt, ja mitgestaltet hat, denn er war mit seiner Frau Gerti sehr häufig Gast in Frankfurt. Buddy Elias hatte im Familienhaus in Basel den Naziterror überlebt, weil seine Eltern 1931 schon aus beruflichen Gründen in die Schweiz gezogen waren. Er war Präsident des Anne-Frank-Fonds, der die Rechte am TAGEBUCH DER ANNE FRANK hat. Diese Funktion hatte er nach dem Tod seines Onkels Otto Frank übernommen.
Mit ihm stirbt der letzte Verwandte, den die im März 1945 im KZ Bergen-Belsen ermordete 15jährige noch kannte. Er wurde 1925 in Frankfurt geboren; seine Mutter Helene Elias Frank, genannt Leni, war die Schwester von Otto Frank. Wir hatten Buddy Elias in Frankfurt gerade in den letzten Monaten besonders häufig in der Mainstadt sehen können. Das lag an der Nachlaßüberlassung und der Aufführung des Fernsehfilms MEINE TOCHTER ANNE FRANK am 18. Februar 2015, der zuvor im Hessischen Rundfunk unter seiner Anwesenheit gezeigt wurde.
Obwohl man selbst immer wieder glaubt, schon alles über die Nazigreul zu wissen und ebenso alles über das im Amsterdamer Versteck lebende und schreibende Mädchen Anne, deren Reflexionen und enorme Sprachkraft einem jedesmal wieder beim Lesen Bewunderung und Rätsel aufgibt, taucht nicht nur immer wieder Neues auf, sondern bleiben die Fragen. Die Fragen danach, wie der Naziterror in Deutschland möglich wurde und wie das beispielsweise in Frankfurt ablief. In der Tat gibt es nur wenige Aufschlüsse über die 20er Jahre, ohne die 1933 nicht möglich ist. Wie es zu dem Unheilsjahr 1933 gekommen ist, nicht allgemein und abstrakt, sondern ganz konkret hier in Frankfurt, wird zu immer wichtigeren Fragestellung, denn man erkennt von heute aus, wie wenig sich nach 1945 darum gekümmert wurde. Sicher auch aus der Not des Wiederaufbaus, aber nicht nur. Denn die wenigstens beschäftigten sich damit, daß ihre eigene Weltanschauung und Verblendung sie dahin geführt hatten, ein tiefer Antisemitismus, den ein Martin Heidegger mit seinen Schwarzen Heften noch philosophisch legitimierte. Das Versagen der Universitäten und der überwiegenden Mehrzahl der Akademiker gehört auch dazu.
Das ist die eine Fragestellung, die andere ist nach dem Verhältnis von industriell erzeugtem Massenmord durch die Deutschen und und einer künstlerischen Aufarbeitung. Wenn Adorno noch sagte, daß nach Auschwitz Gedichte zu schreiben unmöglich sei – seine Phrase lautete genau: „nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“, 1949 – ist das genau so richtig wie das Gegenteil, nämlich sich mit künstlerischen Mitteln dem Grauen zu nähern, eben eingedenk, daß es nicht möglich ist, die industrielle Vernichtung Menschen künstlerisch darzustellen. Aber es muß Annäherungen geben, die Nichtbeschreibbarkeit zu leisten, wie es gerade mit der Aufführung von DIE PASSAGIERIN an der Frankfurter Oper gelang, wo Weinbergs Oper auf das Libretto von Zofia Posmysz musikalisch und szenisch gefeiert wurde und das Tröstliche einschloß, das die heute 92jährige Polin als eine der Wenigen Auschwitz überlebte und in Frankfurt anwesend war.
Im Lesejahr 2015 jährt sich nicht nur der 50. Todestag von Anne Frank, sondern es hätte im Juni auch Buddy Elias seinen 90. Geburtstag gefeiert. Darauf war, wie Lothar Ruske, unermüdlicher Planer und Organisator von FRANKFURT LIEST EIN BUCH betonte, die gesamte diesjährige Lesung ausgerichtet. Die Autorin des Buches, das im Mittelpunkt steht, Mirjam Pressler – sie erhielt auf der Leipziger Buchmesse gerade den Preis für Übersetzung, nämlich die aus dem Hebräischen von Amos Oz JUDAS – hat zugesagt, einen Großteil von vorgesehenen Buddy Elias Veranstaltungen zu übernehmen. Und damit sind wir endlich bei der konkreten Programmvorstellung. Fortsetzung folgt.
Foto: Buddy und Gerti Elias
Info:
Mirjam Pressler/Gerti Elias „Grüße und Küsse an alle“
Die Geschichte der Familie von Anne Frank
Fischer Taschenbuch Verlag
432 Seiten. Kartoniert.
€ 10,99
ISBN 978-3-596-18410-1
Das 16 seitige DIN A4 Programm FRANKFURT LIEST EIN BUCH liegt an verschiedenen Stellen der Stadt aus. Sie finden es auch unter:
www.frankfurt-liest-ein-buch.de