Michel Houllebecqs Bestseller „Unterwerfung“ spielt auf bestechend packende Weise mit den Ängsten der westlichen Gesellschaft

 

Helmut Marrat

 

Hamburg (Weltexpresso) - Irgendwann ist es geschehen. Der Intellektuelle ordnet sich unter. Seine Fähigkeit, zu abstrahieren, führt nicht mehr weiter. Er gibt sich geschlagen. Zudem hat man ihn, seitens der neuen Regierung mit einer stattlichen Pension ausgestattet, also vorzeitig stillgelegt. Doch jener Francois, Literaturwissenschaftler an der Universität 3 in Paris, hält die verordnete Bewegungslosigkeit nicht aus.

 

Und er sträubt sich lange. Warum auch sollte er zum Islam übertreten? Das wäre die einzige Voraussetzung, wenn er nach wie vor lehren wollte.

 

Houllebecq hatte ursprünglich, wie er kürzlich in einem Gespräch erzählte, den Plan, über das Diktat einer christlichen Regierung zu schreiben, was auch noch besser zum Fachgebiet seiner Figur, des Wissenschaftlers Francois, gepasst hätte, denn seine Figur forscht schließlich über den tatsächlichen, aber längst vergessenen Schriftsteller Huysmans, der selbst Ende des 19. Jahrhunderts eine „Bibel der Dekadenz“ verfasste. Diese „Bibel“ soll sogar intellektuelle Snobs inspiriert haben. Houllebecq lässt seine Hauptfigur ähnlich ausschweifende Affären erleben, wie Huysmans vorgab, gehabt zu haben, bevor er sich der Frömmigkeit eines Klosters unterwarf.

 

Warum das Buch sich nun aber den Islam als bedrohliche Macht auswählte, wird nirgends erklärt, erscheint allerdings dieser Tage als geradezu hellseherisch. Die Handlung spielt in der Zukunft. Die politische Klasse ist noch mehr heruntergekommen, als heute schon. - Und der politische Mensch steckt in der Zwickmühle zwischen einer sich friedlich gebenden Islamischen Partei und dem als nach wie vor unwählbar geltenden Front National. - Selbst wenn der FN die einzige, tatsächliche Gegenstimme gegen eine Islamisierung sein mag, darf man ihn eben nicht wählen. Und der Kandidat der islamischen Partei ist obendrein charismatisch. Der Roman ist zudem einer, der die Illusion, in Frankreich gäbe es wenigstens genug Geburten, nimmt. Was wohl schon heute gilt, ist dann gewiss: Ein überwiegender Teil der Kinder wird von Einwanderern geboren, die, anders als in Deutschland, fast automatisch als Einheimische gezählt werden.

Zudem wandern viele Juden, die die intellektuelle Richtung Frankreichs mitprägen, aus. Sie fühlen sich in der Minderheit und von den zahlenmäßig überlegenden Arabern bedroht.

 

Houllebecq verwendet auch diesen Umstand, denn die Geliebte jenes Ich-Erzählers Francois heißt Myriam, ist eine junge Jüdin, die bald auch nach Israel auswandert. Sie trägt wohl nicht zufällig den Namen der Prophetin aus dem Alten Testament.

 

Der Held vereinsamt, und da sein Kontakt zu seinen Eltern längst schon verkümmert ist, bleibt ihm nur die Flucht. Er reist nach Rocamadour, einem berühmten katholischen Wallfahrtsort, und folgt damit wiederum seinem Vorbild Huysmans. Doch findet Francois in der dortigen Kirche Notre Dame, vor dem Grünewald-Altar, nichts Tröstliches. - Bleibt nur die Angleichung übrig.

 

Sie vollzieht sich folgendermaßen: Ein Abend beim Unipräsidenten Rediger. Der ist längst gläubiger Moslem oder hier vielleicht besser Muslim, denn er ist längst angepasst. Und führt Francois die Vorzüge des neuen Lebens vor: Er lebt mit zwei Ehefrauen, wovon jede ein anderes Bedürfnis stillen soll: Die ältere ist begabte Köchin, die jüngere, noch ein halbes Kind, seine Geliebte.

 

Es ist gekonnt, wie der Autor diese Szene entwirft: Die beinah märchenhaft erscheinende Wohnung hat nicht zufällig einen Panoramablick auf das alte Römische Theater. Also den Verfall einer untergegangenen Kultur aus Überfluss. Mit anderen Worten: Eine zweifache Anspielung. Auf die westliche Kultur, aber auch auf die des „zukünftigen“ Lebens.

 

Houllebecq baut die Spannung allmählich auf. Parallel dem einsickernden Islamischen System entwickelt er mäanderhaft seine Erzählung. Und es wird immer unheimlicher.

Francois lebt als Prototyp sinnlos, und erst das Konvertieren, das nach dem Besuch bei seinem Chef erfolgt, gibt ihm Halt. Es ist nur die männliche Sicht bestimmend. Eine der besten Szenen des Buches ist jene, wo in der Universität ein Cocktail-Empfang stattfindet, und dem geladenen Francois irgendwann aufgeht, dass nicht eine Frau anwesend ist. Dennoch unterwirft er sich.

 

Wie schon in seinem Vorgängerbuch bedient sich der Autor auch tatsächlichen Personals, indem sein Buch ein halber Schlüsselroman ist. Ein erklecklicher Teil seiner Figuren am Rande existiert tatsächlich und gibt dem Roman so geschickt eine authentische Wirkung.

 

Ein sehr lesenswertes, spannendes Buch. Und großartig leicht geschrieben. Zugleich überaus humorvoll und unterhaltend. Nicht zufällig seit Wochen ein Bestseller. Es bedient sehr gekonnt die Ängste der Menschen in den westlichen Ländern vor einer Übermacht des Islams.Mit anderen Worten ein Jahrhunderte altes Thema, das bei Houellebecq aber drängender denn je erscheint.

 

Dazu eine kleine Geschichte: Neulich auf Sylt nahmen wir ein Taxi. Der Fahrer war kein Friese, sondern Araber und tat ganz unwissend, dass jetzt Ostern begangen würde. Obwohl er schon Jahre in der Bundesrepublik lebte. Mit anderen Worten: Wer „unterwirft“ sich wem? Und was ist „Unterwerfung“?

 

 

Info:

 

Michel Houllebecq, Unterwerfung, DuMont-Buchverlag 2015

 

Michel Houellebecq wurde 1958 auf der im Indischen Ozean liegenden Insel Reunion geboren. Sie gehört zu Frankreich. Er ist seit Jahren einer der erfolgreichsten französischen Autoren.Seine Bücher erscheinen im DuMont -Buchverlag in Köln.