Serie: Chaplins Tramp – Ikone zwischen Kino, Kunst & Kommerz im Deutschen Filmmuseum Frankfurt am Main , Teil 5a/5
Romana Reich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das kann man kurz machen. Dieses Buch gehört in jeden Haushalt, in jedes Bücherregal von Menschen, die sich für Kino oder deutsche Geschichte interessieren. Für internationale Geschichte erst recht. Das ist ein Begleitbuch fürs Leben, so viel erfahren Sie über uns und über die Machenschaften von Nationalsozialisten, internationaler Politik und Filmindustrie in einem dicken Buch, das sowohl wissenschaftliche Ansprüche erfüllt (alle!) wie auch ein Lesebuch zum immer wieder darin Schmökern ist.
Blutrot sind wir geworden, die wir uns mit entsprechenden Studiengängen für besonders gebildet im Bereich des Nationalsozialismus und der Filmgeschichte hielten, was wir alles im Zusammenhang mit CHARLIE CHAPLIN UND DIE NATIONALSOZIALISTEN, so der Untertitel des Buches von Norbert Aping, nicht wußten. Aber dafür hat der Autor dieses Buch ja geschrieben, das zur Ausstellung im Deutschen Filmmuseum paßt, wie die Faust aufs Auge. Genau.
Denn Aping hat das Buch nicht nur Wilhelm Staudinger, dem Gründer des Chaplin Archivs gewidmet, das in Frankfurt derzeit ausgestellt wird, sondern stellt sich in der Einleitung erst einmal die Frage, ob zu Chaplin nicht alles gesagt sei. Dem hätten wir vielleicht vor dem Studieren seiner 424 engbeschriebenen und dankenswerter Weise mit vielen Bildern, Plakatabdrucken, Karikaturen und Zeitungsausschnitten aufgelockerten und visuell informativen Seiten noch zugestimmt, nach dem Lesen nicht mehr. Denn Aping stellt in derartig klaren Worten ohne Gedöns und hinterfotzige Attitüden hier geschichtliche Wahrheiten vor, die man selbst überprüfen kann, und die auch ein Licht auf die unklare und lavierende Filmpolitik der Nazis wirft.
Die waren nur in einem Sachverhalt eindeutig, von Anfang bis zum Schluß: Charlie Chaplin war schon in den Zwanziger Jahren ihr schlimmster Feind. Ausgerechnet dieser Tramp ist sozusagen der die Weltherrschaft anstrebende Jude in Urform, ein bolschewistischer Weltverschwörer, der mit den Mitteln des Kinos die Massen verführt und somit für die Nationalsozialisten weit gefährlicher, weil weit erfolgreicher einzuschätzen ist, als die dicken Geldsäcke, mit denen ansonsten die jüdische Weltherrschaft identifiziert wird. Daß Charlie Chaplin gar kein Jude war, ist zudem eigentlich absurd, aber man mag das gar nicht gerne als Argument gegen die Nazis benutzen, denn dann wäre man auf ihre Absicht und Terminologie schon reingefallen.
So muß das auch Charlie Chaplin gesehen haben, denn nie hat er öffentlich groß herausgestellt, daß er kein Jude sei. Als Jude ehrenhalber hat er sich später sogar in seinem jahrelang vorbereiteten Film THE GREAT DICTATOR von 1940 in der Doppelrolle von Diktator Hynkel und jüdischem Friseur aus dem Ghetto porträtiert. Mit diesem Film THE GREAT DICTATOR IST DA!, beginnt, didaktisch geschickt, dieses Buch als erstem Kapitel, das im dreizehntem mit HETZE UND GOLDRAUSCH (FAST) BIS ZUM SCHLUSS endet.
Wir hatten keine Ahnung, wie lange vor der Pressevorführung von THE GREAT DICTAATOR am 14. Oktober 1940 im Carthay Circle Theatre in Los Angeles Charlie Chaplin diesen Film vorbereitet hatte. Und wir hatten auch keine Ahnung, daß noch im Vorfeld des Films politischer Einfluß darauf genommen wurde, daß dieser Film überhaupt nicht gedreht wird. Ausgerechnet die Engländer setzten sich in den USA massiv für das Unterbleiben jeglicher Attacken gegen die Deutschen ein. „Andere europäische Staaten wie Frankreich wiesen auf ein Abkommen hin, nach dem die verächtliche Darstellung lebender verbündeter Staatsoberhäupter nicht erlaubt war, oder sie verboten wie Irland bereits die Werbung für den Film aus Gründen der Neutralität, während man in der Rest-Tschechoslowakei darüber nachdachte, Chaplin-Filme überhaupt aus dem Verkehr zu ziehen“ (Seite 19).
Vor allem aber versuchte man – wir lebten schließlich auch damals im Kapitalismus – Chaplin am Drehen seines Wunschfilms zu hindern, in dem auf den drohenden Verlust hingewiesen wurde, den Chaplin erleiden werde, da die Produktionskosten schon auf 2 Millionen Dollar angelaufen waren. Die Persiflage auf die Diktatorerei wurde schließlich Chaplins größter Kinoerfolg überhaupt, wenn man es unter den finanziellen Einnahmen sieht.
Aping nimmt aber auch die Kritiken am Film auf, die den Film angesichts der Greueltaten der Nazis für zu harmlos hielten, eine Komödie nicht für einen solchen Verbrecher wie Hitler für angemessen hielten, überhaupt die Personalisierung auf eine Person ablehnten, statt die Analyse der gesellschaftliche Struktur, die solche Diktatoren möglich macht, vorzunehmen. Vor allem die Schlußansprache des Friseurs als Diktator wird als naiv und zu harmlos von einigen kritisiert. Alles eigentlich richtige Argumente, die nur nichts mit der Rezeption des Films zu tun haben. Chaplin straft sie alle Lügen, indem sein Film genau das erreicht, was auf Dauer der Tod jeglicher autoritärer Gewaltausübung ist: das Lachen. Das Lachen von vielen. Fortsetzung folgt.
Norbert Aping, Liberty – Shtunk! Die Freiheit wird abgeschafft
Charlie Chaplin und die Nationalsozialsten, ISBN 978-3-89472-721-5
Mit einem Vorwort von Oscar Preisträger Kevin Brownlow
Ausstellung: CHARLIE, THE BESTSELLER bis 13. Mai 2012