Wie die Nazis rote Bruchstücke braun umprägten – Erziehungswissenschaftliche Buchvorstellung im Frankfurter Gewerkschaftshaus

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Werbetechnisch und propagandistisch genieartig eingefädeltes Kopieren, Umfunktionieren und Umbiegen entsprach einem schnell umgesetzten Rezept der Nazis, das sie aus dem ff beherrschten. Sie brauchten das nicht zu lernen, es war ihnen in die Seelenfinsternis eingeschrieben.

 

Hiermit offenbart sich ein langfristig abgründiger Zug der Moderne, der mit einer – scheiternden – Fortschritts- und Modernisierungstätigkeit in Verbindung steht. Die mechanistische Moderne hat ein Problem mit der Humanität, die sie andererseits auch begünstigt, die aber - immer wieder – auch zu scheitern droht. Der Mensch ist nicht mehr nach Gottes Ebenbild geformt, wie vordem und insofern mit menschlicher Würde ausgestattet, sondern wird zur mechanisch deutbaren und lenkbaren Einrichtung einer gleichgültig beliebigen Bewusstseinsnatur.

 

Im Frankfurter Gewerkschaftshaus erläuterten die Erziehungswissenschaftler Benjamin Ortmeyer und Katharina Rhein, wie Grundmuster der neuzeitlichen politischen und gesellschaftlichen Ideenwelt der Selbstermächtigung und Befreiung des Menschen zu Bruchstücken wurden, die dazu dienten, die Arbeiter über die 'wahren' Absichten der mörderischen Täter im Unklaren zu lassen und sie in eine schreckliche Falle zu locken.

 

Die behandelte Thematik hat, wie zwischendurch aufblitzte, eine Tiefendimension, die während der Vorstellung der Forschungsergebnisse nur begrenzt angesprochen zu werden vermochte. Der Gegenstand der Forschung, Propagandastrategien des Nationalsozialismus, sind leider im Zusammenhang einer langfristigen fragwürdigen Kontinuität der Moderne zu sehen. Hierzu wäre auf den Aufsatz von Klaus Dörner 'Bioethik und Gesellschaft' *) zu verweisen. Es gibt ein Davor und Danach des Nationalsozialismus. Das schmälert bzw. relativiert keineswegs die Singularität des Geschehenen, diese ist wohl unwiderruflich, jedoch bedarf es einer umfassenderen Wachsamkeit und zusätzlichen Methodik, wenn zu bedenken ist, dass die Moderne immer wieder scheitern kann.

 

 

Klau und Umprogrammierung

 

Geklaut für ihre Zwecke haben die Nationalsozialisten die Farbe Rot – die Bürger, die die farblich roten Handzettel in die Hand bekamen, waren zunächst irritiert, ließen sich aber vielfach einfangen. Die irreführende Einfangmethode gelang auch bei Arbeitern.

 

'Sozialismus' wurde zum mörderischen Heilskonzept umgebrochen, in die Mißbrauchsform des Führerstaats gegossen. Die Okkupation der Farbe braun - eigentlich keine negativ besetzte - offenbart, wie die Nazis Signale präokkupativ schufen und ausstatteten – braun kam für Blut und Boden zu stehen. Sie waren ausgebuffte Werbefachleute, versierte Marketingstrategen und perfekte PR-Agenten. Verbunden haben sie jegliches Ideelle mit dem nationalen Wahn und einem Vernichtungswillen gegen die, die sich sträubten oder sich verweigerten. In eine mörderische Praxis überführt wurde auch der Begriff des Revolutionmachens. Gemeinschaft und Natur, die Leben schaffenden und bewahrenden Hegeeinrichtungen überhöhten sie nebulös zur zwanghaften Gewaltnatur. Auch Jugend und Vitalität wurde durch den Nationalsozialismus kanalisiert und zum Zwang verengt. Das Konzept der Versöhnung wurde in eine Harmonie der Klassen, repräsentiert in Fabrikant und Arbeiter – jeweils deutsch -, zusammengezwungen. Entdemokratisierung steht als Leitidee über allem, falls ein solcher Begriff einem Nationalsozialisten überhaupt ein Problem vermittelt.

 

Das verhohlene Geheimnis des Nationalsozialismus ist sein Vernichtungswille per se, der sich immer auch gegen die Erstbekehrten als erste Helfer richtet und richten wird. Die Demonstrationsmaschierer und Trommler, die einschlägig Tätowierten und Gepiercten würden immer zu den Nächsten und Übernächsten gehören, die von der Staatspolizei kassiert werden. Mord, Totschlag und Ausbeutung ist das Wesentliche, Antisemitismus ist nur vorgeschützt. Aber auch die zentralsten Mörder und Vernichter werden im Letzten sich gegeneinander wenden und übereinander herfallen. Die Tötungsmaschinerie ist das eigentlich überformt Angestrebte, wenn auch verhohlen. Denn der ursprünglichste Trieb des NS-Systems in all seinen Spielarten ist der Todestrieb, der auch den Willen zur Selbstvernichtung miteinschließt. Daher wäre die NS-Monstererscheinung stets besser mit Sigmund Freud und Herbert Marcuses 'Triebstruktur und Gesellschaft', 1955, zu erklären.

 

 

Der Gewerkschaftsbund machte mit

 

Das Präokkupierende, also im vorhinein rücksichtslos in Beschlag Nehmende (am nationalsozialistischen Vorgehen) zeigt sich in den Ereignissen und Praktiken um den 1. Mai 1933. 'Die Reichsregierung' erklärte schon im April 1933 den 1. Mai 'zum gesetzlichen Feiertag der nationalen Arbeit', 'zum deutschen Volksfeiertag' - zum arbeitsfreien Tag auch. Es erging der Aufruf: die Gewerkschaftsmitglieder sollten 'am 1. Mai standesbewusst demonstrieren' (wie das Vortragsskript des Abends wiedergibt). Hierzu gibt es ein Foto der 1. Mai-Feier 1933 aus dem Institut für Stadtgeschichte, das Armreckende vor dem Balkon des Frankfurter Römers zeigt. Die mittuenden Betriebe und Berufsverbände erzeugten ein Gefühl der Verpflichtung, sich 'nicht entziehen zu können'.- Am 2. Mai aber wurden 'reichsweit die Gewerkschaftshäuser besetzt und das Vermögen eingezogen'. Gleichzeitig begann der Terror von Polizei und SA , der sich gegen die Freiheit und das selbstbestimmte Handeln der gewerkschaftlichen Betätigung richtete. Die Gewerkschaften erlitten die Niederlage, sie wurden von der Propaganda überrumpelt. Arbeiter und Gewerkschaften hatten nicht das nötige Instrumentarium zur Gegenwehr.

 

 

Die manischen Schmelzer

 

Errichtung eines Ministeriums für 'Aufklärung und Propaganda' – man mache sich das klar: 'Aufklärung und Propaganda', das was sich widerspricht wird zu Einem, Aufklärung wird widerrufen. Auf diese Stufe sank Aufklärung herab. Widersprüchlichstes wird vermengt. Das ist die zentrale Programmpraxis der Nazis. Massenmanipulation und Massenlenkung, in Diktaturen schon immer ein Thema, wird professionalisiert und radikalst umgesetzt. Dieses Moment von Missbrauch ist ab da in die weitere Modernisierung eingeschrieben. Pädagogik müsste sich vor allem auf das informationelle Scheitern der Moderne beziehen.

 

Die Nazis waren Schmelzer. Sie schmolzen deutsche Arbeit, deutsche Rasse, deutschen Sozialismus, deutsche Volksgemeinschaft, deutsche Mutter, deutsche Jungs und Mädels, deutsche Arbeiter und Fabrikanten, deutschen Wald und deutsches Abendland zusammen und richteten es – mit Gefühl und Emotion contra Vernunft und Logik - gegen 'den inneren und äußeren Feind'. Als diese galten vornehmlich: 'die Juden', den von 'den Juden' entwickelten Marxismus, das 'internationale jüdische Kapital', die internationale Arbeiterbewegung, die internationale Presse (jüdisch, natürlich). Der deutsche Tätige galt als arbeitssam, der jüdische wie fremdländische aber als faul. 'Arbeit macht frei' (Gedicht von Hoffmann von Fallersleben), sie verleiht dem deutschen Arbeiter die Ehre. Die Lobpreisung des 'deutschen Arbeiters' enthält sowohl Bestätigung als auch Legitimation für eine Instrumentalisierung von Arbeit im Sinne eines Menschen verbrauchenden wie Menschen vernichtenden Mythos von Arbeit. Das Zweideutige und Fragwürdige zu vereinigen und manipulativ zu verwenden ist die nationalsozialistische Methode.

 

Der Verdacht liegt nahe, dass die Nationalsozialisten todesmütige Schmelzer waren, die aus Depression manisch schmolzen, um den Persönlichkeitsdefekt zu kaschieren und zu überformen.

 

 

Eine viel weiter reichende Problematik

 

Die NS-Ideologie hat eine Vorgeschichte im Prozess der Moderne. Dieser demontierte das gottgleiche Wesen Mensch vom Sockel. Menschen wurden verfüglicher. Luther hatte antisemitisch gepoltert. Im protestantischen Calvinismus ist die Abwertung derjenigen angelegt, die dem metaphysisch und gewaltsam überhöhten Arbeitsbegriff nicht oder nicht genügend entsprechen. In dem Beitrag 'Bioethik und Gesellschaft' *) greift Klaus Dörner den Umstand auf, dass die Moderne in Gestalt des Bürgers angstpsychotische Neigungen entwickelte, die kurz wie folgt umschrieben sind:

 

  • Heilsversprechen der Medizin

  • Glaube an die Abschaffbarkeit von Krankheiten

  • Statt des Leidens: Leidende abschaffen

  • Die Erbkranken und Fremdrassigen

  • 'Vererbung und Auslese' (ideologisch überhöht)

  • Angst vor dem Heer der Alten, Alterskranken und Dementen

  • Angst vor der Flut der Unvernünftigen

  • ...vor dem Heer der Armen und der Flut der Überflüssigen

  • 'Polizeywissenschaft': Zucht- und Arbeitshäuser, ein Netz von Fabriken

  • Helfen und Herrschen

Zu fordern ist ein ethischer Entwurf, der von den Schwächsten ausgehend empfindet

Es ist immer wieder möglich, dass die Moderne scheitert. Die Nationalsozialisten waren das Menetekel für scheiternde Modernisierung. Mitteleuropäische Verhältnisse liegen jetzt fern des Nationalsozialismus, aber geschilderte Grundmuster stehen bereit. Es kommt zu populistischen Anknüpfungen. Die Prekarisierung und Austerisierung der Gesellschaft im neoliberalistischen Projekt lässt Schlimmes erahnen: kaltschnäuziges Rauswerfen aus den Sozialsystemen nach wenigen Monaten, Verschärfung von Zumutbarkeitskriterien, zunehmende Verachtung der Abgehängten durch Begüterte, Wohlstandschauvinismus, die Propaganda um die Riesterrente als Mittel gegen 'Überalterung'; die Geldallokation entfernt sich von der menschlichen Wertschöpfung und sorgenden Dienstleistung weg und hinein in die aufgeblähten Finanzsysteme, die zu immer größeren Ungleichgewichten führen und die modernen Gemeinwesen angreifen. Die Vorstellung der Studie hatte eine weitere Einstiegsfunktion in die Bewußtmachung der Gefahren, die sich entwickeln.

 

 

Info:

'NS-Propaganda gegen die Arbeiterbewegung 1933-1945', Imitation und Indoktrination, Benjamin Ortmeyer, Katharina Rhein, Beltz Juventa 2015 ISBN-13: 9783779933083. Buchvorstellung am 07.05.2015 im Gewerkschaftshaus Frankfurt

 

*) in: Gerd Iben, 'Demokratie und Ethik wohin?', Vortragsreihe Uni Frankfurt, Lit, 48145 Münster 1997 ISBN 3-8258-3523-5