Serie: Fred Vargas DIE NACHT DES ZORNS aus dem Aufbau Verlag (Teil 2/3)

 

Claudia Schulmerich

 

Hamburg (Weltexpresso) – Wie? Hatte Letzterer – Ex-Lieutenant Louis Veyrenc de Bilhc - nicht seinen Hut genommen und sich vom Polizeidienst befreit, um seinem Beruf als Lehrer nachzugehen. Schon. Aber wie der Kommissar schon vorher weiß, kann er diesem Laster nicht entgehen und ist wieder dabei auf der Suche nach ein, zwei, drei Mördern. Denn in einem Akt von Wahnsinn läßt Fred Vargas den Adamsberg in Paris ermitteln, wo er strandet, aber eine Notlandung in der Normandie fertigbringt.

 

Dort nämlich macht man mit dem rechtmäßigen Amtsinhaber das, was die oberste Polizeibehörde am liebsten auch mit Adamsberg machen möchte: kaltstellen und zuschauen lassen. Wie die eingefädelten Mordfälle auf einmal einen inneren Zusammenhang erhalten und alle gleichzeitig an den verschiedenen Fäden drehen und eine Entwirrung zustandebringen, die es in sich hat, das ist hohe Kunst des Ver- und Entwirrens, die Fred Vargas einfach beherrscht. Kein Wunder, so legen Archäologen auch die Schichten frei vom Kulturschutt der verschiedenen Epochen.

 

Hier geht es um die soziologischen Schichten im Besonderen. Wieder einmal fällt auf, welche Rolle der Adel, vor allem der Landadel in Frankreich bis heute wohl spielt. Überhaupt nicht zu vergleichen mit unseren deutschen Landen, wo eine Familie Baron zu Guttenberg schon die Gefühle zum Wallen bringt. Fein differenziert erleben wir den Adel als Ausgeburt des Nichtsnutz, der Emporkömmlinge, der feinen Lebensart und der edlen Gesinnung, aber auch als Mörderpack.

 

Worum es in der Geschichte geht? Ach so, naja, das auch noch. Da müßte man aber erst einmal die verdächtige Familie mit dem toten Vater, der leicht abgestorbenen Mutter und den äußerst lebendigen Söhnen und der ganz köstlichen Tochter  Lina erwähnen, die nicht nur für unseren Adamsberg die höchste Versuchung darstellt, sie aufzufressen, mit Lust in sie hineinzubeißen, weil sie ihn erinnert  „an das riesige Stück Gugelhupf mit Honig, butterweich und noch ofenwarm, das er als Kind bei einer Tante im Elsaß verschlungen hatte“ (202). Auch ihre Haare haben die Farbe vom Gugelhupf.

 

Bruder Hippo, der nur noch jeweils fünf Finger hat, weil der Vater die beiden sechsten mit dem Beil abgehauen hatte – nicht nur darum ist sein Tod ein verdienter – spricht rückwärts, aber nein, tztej thcin hcon, jetzt nicht noch die Geschichte von dieser Familie. In Kurzfassung: Lina hat das „Wütende Heer“ gesehen, was der gescheite und gebildete Danglard genau erklären kann, inwieweit diese mittelalterliche Legende von 1091 wirkliche Todesfälle nach sich zieht. Wie hier. Das geschieht in Ordebec im Calvados, aber die Mutter kommt nach Paris, um den Kommissar zu Hilfe zu holen.

 

Der sucht in Paris gerade denjenigen, der einen reichen hohen Geschäftsmann brutal angezündet und mit Auto verbrannt hat und will sich nicht mit dem kleinen Fisch, einem Vorstadtstrizzi zufriedengeben, der schnell beschuldigt wird. Was Schuhsenkel damit zu tun haben, zeigt, welchen genauen Blick die Autorin auf die Verhaltensweisen der Jungend hat. Auf die der Alten sowieso. Und das ist noch nicht alles. Irgendwie stirbt es sich schnell in dem Roman, aber die uns wichtigen Leute bleiben am Leben. Auch darin muß eine Autorin feinfühlig sein und ihre Grenzen nicht überschreiten. Darum hat es auch mit Leo, die der Graf liebte und heiratete, sich wegen ihrer niederen Abkunft scheiden ließ und sie nun mit 86 Jahren wieder heiraten will, darum hat es auch mit Leo eine besondere Bewandtnis.

 

Aber das lesen Sie jetzt bitte selber alles, denn dann wissen Sie auch, warum die Geschichte der beiden Antipathen Danglard und Veyrenc eine von der Art ist, die man sich hinter die Ohren schreiben müßte. Der ganze Roman hat hinter den Ohren nicht Platz. Wenn Sie ihn aber gut aufs Hirn, ins Gemüt, ins Herz, in die Seele, die Eingeweide, in Arme und Füße und Haare – haha, um die geht es auch – und sonstwohin verteilen, dann bleibt Ihnen von der Lektüre noch sehr lange sehr viel. Wann kommt die nächste Vargas heraus?, ist die einzige gültige Frage.

 

Fred Vargas, die Nacht des Zorns, Aufbau Verlag 2012