Vom Wiener Neurowissenschaftler Raphael M. Bonelli aus dem Verlag Pattloch

 

Hanswerner Kruse

 

Schuld und Glück“ - unter diesem Titel hielt der Wiener Neurowissenschaftler, Psychiater und Psychotherapeut Raphael M. Bonelli den Festvortrag zum 25. Geburtstag des Psychosozialen Zentrums „Rosengarten“ in Schlüchtern. Das Buch „Selber schuld!“ des Festredners lag seinem Vortrag zugrunde.

 

Selber schuld!“ ist natürlich eine therapeutische Provokation, das macht Bonelli gleich zu Beginn seines Textes klar, denn Schuld zu haben, ist in der Psychotherapie und Menschenberatung Teufelswerk: Schuld sind immer nur Gene und Chromosomen, Eltern und Lebensumstände. Wenn aber immer nur die anderen schuld sind, bleibt man selbst in der „Opferfalle und Fremdbeschuldigung“ stecken. Natürlich gibt es dramatische Ereignisse - wie Kriege, Verbrechen und Naturkatastrophen - , für die Einzelne nichts können. Aber ansonsten sind Berater und Therapeuten häufig emsig damit beschäftigt, Schuldgefühle kleinzureden oder zu beseitigen. Damit bringen sie die schuldig Gewordenen um ihr „kreatives Potential: Es für denkbar und möglich zu halten, etwas falsch gemacht zu haben, öffnet neue Handlungshorizonte. Fehlendes Schuldbewusstsein bedeutet nicht etwa das Fehlen von Schuld, sondern die Verdrängung der Schuld.“

 

Von Goethe und Dostojewski bis zu Asterix, dem Gallier, spürt Bonelli in der Literatur das Schuldigwerden und den Umgang damit auf. Gleichzeitig breitet er 45 winzige, interessante Fallgeschichten seiner eigenen Beratungspraxis aus, die seine Überlegungen illustrieren.

 

Gründlich umkreist er die Fragen, was ist den Menschen angeboren, wodurch werden sie geprägt und gibt es überhaupt ihre Willensfreiheit? Interessanterweise geht Bonelli dann von der alten griechischen Lehre der angeborenen Temperamente aus und betrachtet gründlich die vier menschlichen Grundtypen - Melancholiker, Phlegmatiker, Sanguiniker und Choleriker, die natürlich niemals in Reinform auftreten: „Jeder Mensch ist eine Mischung aus allen vier Temperamenten“, meint Bonelli, „und natürlich gibt es keine guten oder schlechten Temperamente.“

 

Er beleuchtet und ergänzt diese Urbilder mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, leitet daraus aber keine biologistische Determination ab, denn man ist seinem Temperament nicht willenlos ausgeliefert. Jedoch ist die Auseinandersetzung mit ihnen in Therapie und Beratung sehr hilfreich. Mit weiteren kritischen Überlegungen, etwa zum Verhältnis des angeblich so großartigen „Bauchgefühls“ zu Herz und Kopf, vertieft der Autor seine Überzeugung von der Willensfreiheit des Menschen: „Wenn man etwas fühlt, dann muss man nicht unbedingt sofort darauf hören, wie eine platte, mittelmäßige und kurzsichtige Wirtshauspsychologie manchmal vermittelt.“

 

Bonellis „Wegweiser aus seelischen Sackgassen“, so der Untertitel seines Buches, ist kein weiteres Machwerk auf dem unendlich großen Markt der Lebensratgeber. Entschieden verwahrt sich der Autor gegen „halbgebildete Küchenpsychologie und Stammtischpädagogik.“ Mit seinen unterhaltsamen Streifzügen in die Literatur belehrt er seine Leser nicht (und doktert auch nicht naseweise an den Schriftstellern herum), sondern verdeutlicht menschliche Probleme, die keinesfalls nur von Psychiatern erkannt werden können. Seine Überlegungen zur Willensfreiheit des Menschen und zum Segen des Fehlermachens sind nicht dogmatisch, sondern vergleichen unterschiedliche, ja sogar einander ausschließende Ideen und regen dadurch kräftig zur Selbstreflexion und zum Nachdenken an.

 

Info:

Raphael M. Bonelli: Selber schuld! Pattloch-Verlag, gebunden 336 Seiten, 19,99 Euro