Lee Child, DER ANHALTER im Verlag Blanvalet

 

Elisabeth Römer

 

Hamburg (Weltexpresso) – Hallo, so viele Tote gab es selten. Schließlich gab es kein Massensterben durch Giftgas oder Brand, sondern der gute, älter gewordene Jack Reacher hat sie alle, einen nach dem anderen erledigt. Und dazu hat er noch unseren Segen, denn wir müssen das Blut und die niedergemetzelten Körper ja nicht sehen, nur davon lesen.

 

Und jetzt müssen wir gut differenzieren. Denn wir versuchen uns vorzustellen, wie das ist, wenn jemand das erste Mal einen der nun sechzehn oder siebzehn (!!) Folgen liest. Nein, bitte, bitte mit einem anderen anfangen. Für uns, die wir irgendwann dem Reacher verfallen sind, ist das nicht so schlimm, daß es diesmal derart holzschnittartig zugeht, daß unschuldige Seelen doch leicht Schaden daran nehmen. Diesmal ist es uns zu technisch einerseits, zu hergeholt andererseits und wir wünschen uns endlich, daß die entsprechende Geographie der Vereinigten Staaten, wo Reacher diesmal sein Wesen treibt, in den Umschlagseiten abgebildet wird, damit wir nicht immer Atlanten holen müssen beim Lesen, um den detaillierten Streckenbeschreibungen folgen zu können. Denn wir nehmen es genau, fast so genau wie Jack Reacher selbst.

 

Der entwickelt sich in zweierlei Richtung. Er wird immer größer. War das früher schon so, daß er alle durch seine Bärenkräfte und gewaltige Gestalt in Furcht und Schrecken versetzte? Auf jeden Fall wird unser Reacher aber auch immer schlauer. Schon immer ließ er uns in der Manier eines Sherlock Holmes an seinen logisch-psychologischen Gedankengängen teilhaben, aber diesmal führt er ihn und seine Methode sogar im Munde. Und da denken wir uns gleich, daß auch Autor Lee Child vielleicht die Sherlockserien des Meisterdetektivs im Fernsehen anschaut, bzw. dies Jack Reacher bei seinen Motelübernachtungen tut.

 

Ein Rezensent muß das Gleiche tun, was der Autor als Aufgabe hat: die Figur des einzigartigen Jack Reacher vorstellen – nur hat er mit 446 Seiten dazu mehr Platz! Darum in aller Kürze. Wir sind auf der Seite der Guten. Denn Reacher war einst bei der U.S.- Militärpolizei, hat, weil er für Gerechtigkeit einsteht, dort geschmissen, was jeder einsieht, und will kein bürgerliches Leben, mit Haus und Garten, Weib und Gesang, sondern ist wie die Tippelbrüder im Mittelalter oder der Romantik zu Fuß unterwegs, d.h. da die USA so überdimensional groß sind, eben als Anhalter. Mit ihm lernen wir vor allem die ländlichen Gegenden der USA kennen. Vor allem lernen wir kennen, wie billig einer leben kann, der mit der Zahnbürste in der Hosentasche und seit den Trümmern von New York 2001 auch mit einem Ausweis – und sonst nichts!! Ach so, natürlich mit Bargeld auch, das er sich dann unterwegs durch allerlei Arbeiten verdient.- auf amerikanischen Straßen unterwegs ist.

 

Dabei ist eigentlich egal, wohin er will, weil in jedem Roman etwas passiert, was ihn aufhält, nämlich, wo nur er die Sicherheit für die Umwelt wieder herstellen kann. Jedesmal fährt er am Ende per Anhalter weiter. Aber jedesmal fängt genauso ein neuer Roman an.

Diesmal also will er über Iowa nach Virginia und bleibt, wo er ist, denn die, die ihn endlich mitnehmen, entpuppen sich als gemischtes Pärchen. Zwei Verbrecher und eine Geisel. Doch, da nimmt sich Child viel Mühe, das Buchstabieren mit Wimpernschlägen, was spätestens seit dem Film von Julian Schnabel SCHMETTERLING UND TAUCHERGLOCKE nach dem Roman von Jean-Dominique Bauby eine rasante Methode ist, als Verständigungsbasis zwischen der Geisel und Jack zu einem Informationsfluß für uns herhalten zu können.

 

Doch das wollen wir gar nicht im Detail erzählen, denn schließlich ist doch alles ganz anders, als wir uns auf sanften Gleisen von Child ge- und verführt, gedacht haben. Es geht um die Machenschaften islamistischer Gesellen in den USA und es geht um die Allmacht der Geheimdienste, der CIA, die eigentlich auf amerikanischem Boden nicht tätig werden darf, aber munter mordet und ihre Spuren verwischt, weshalb auch Unschuldige dran glauben müssen. Ganz schön heftig, was uns Child über das staatliche Unwesen erzählt. Wir glauben ihm jedes Wort.

 

Nur ist der Plot, das, um was es geht, wohinaus alle Verbrechen führen, etwas zu abstrakt. Es endet in Papier, das keinen Wert hat, nur einen symbolisiert und es endet in technologisch aufwendigen Baukomplexen, über und unter der Erde, mitten auf dem Land dazu. Das war uns alles zu abstrakt, zu technisch, zu kalt. Aber daß wir dennoch das gefahrvolle Leben des Jack Reacher weiterverfolgen werden und geduldig auf jedes weitere Buch warten, das hat sich Lee Child mit so vielen wirklich lebendigen Reacher-Romanen erarbeitet.

 

Und dann noch: ganz schön alt geworden, der Reacher. Und wir mit ihm. Das kann noch was werden.

 

Info:

 

Lee Child, Der Anhalter. Ein Jack-Reacher-Roman, Blanvalet 2015

Der Roman erschien am 29. Juni. Und hat schon die vierte Auflage, die wir lasen. Das Original ist von 2012 und Wulf Bergner hat aus dem Englischen übersetzt.