Heute vor 50 Jahren verstarb Fritz Julius Buß

 

Alexander Martin Pfleger

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Am Samstag, dem 30. 10. 1965, starb Fritz Julius Buß: Arzt, Psychiater, liberaler Widerstandskämpfer und Dichter – eine der eigenwilligsten und dabei unbekanntesten Gestalten der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts!

 

Ende der 1920er Jahre erschien im Verlag Wilhelm Walther in Oldenburg das Versdrama „Atlantis. Die Tragödie eines Weltuntergangs in fünf Aufzügen“ von Fritz Julius Buß. Bis vor wenigen Jahren war dieser Titel lediglich in zwei Bibliotheken weltweit verzeichnet – in der Deutschen Bücherei Leipzig und in der New York Public Library. Da das Buch kein genaues Erscheinungsdatum aufweist, vermutet man, daß es in den Jahren 1928 oder 1929 erschienen sei.

 

Seit dem Jahr 2008 ist ein weiteres Exemplar im Karlsruher Virtuellen Katalog registriert – ein Exemplar aus dem Besitz Gerhart Hauptmanns, das jahrzehntelang unzugänglich in den auf Hiddensee lagernden Teilbeständen seines Nachlasses ruhte und erst später den Hauptbeständen des Hauptmannschen Nachlasses in der Staatsbibliothek zu Berlin eingegliedert wurde.

 

Seit Anfang 2009 ist in den Räumlichkeiten der dortigen Handschriftenabteilung eine Einsichtnahme für wissenschaftlich Interessierte möglich. Der Katalog der Staatsbibliothek zu Berlin, der sogenannte StaBiKat, führt zudem noch ein weiteres Exemplar an, das allerdings als Kriegsverlust verbucht wurde. Im Laufe der Jahre war es dem Verfasser dieses Artikels möglich, drei weitere Exemplare antiquarisch zu erwerben – darunter das Widmungsexemplar des Autors für einen gewissen Professor Wulff, offenbar aus dem Bestand eines „Germanischen Seminars“ stammend.

 

Im Vorwort schreibt Fritz Julius Buß:

Unsere Zeit stellt uns täglich vor neue Probleme. In wenigen Jahrzehnten sind aus den Menschen denkende Maschinen geworden. Die darstellende Kunst ringt um einen neuen Ausdruck. Da erhebt sich die Frage, ob unser Zeitalter mit dem Alten endgültig gebrochen hat. Gibt es nur eine Kunst, gibt es nur eine Moral, nur eine Entwicklung, die in unendlichen Kreisen immer wieder zu sich selbst zurückkehrt? Ist der Weg, auf dem wir jetzt gehen, der richtige? Was ist das Ende?? Der Ausgangspunkt für unsere derzeitige Einstellung gegenüber der Welt ist die auf der Darwinschen Abstammungstheorie beruhende mechanistisch-monistische Weltanschauung Haeckels, welche in ihrem Erfolg auf die Massen beispiellos dasteht. Selbst die Akademie hat sich der Beweisführung Haeckels nicht verschließen können, ist ihrerseits Strömung geworden und hat so dazu beigetragen, den Verfallsprozeß, in dem wir uns befinden, zu beschleunigen. Das ist die große Tragödie unserer Zeit, die mit unfertigen Ideen wie mit festen Begriffen arbeitet, an denen nicht gerüttelt werden darf. Das Problem, um das es sich zuletzt handelt, ist die Auflösung der Kultur durch die Zivilisation, die Vernichtung der Individualität durch die Masse. Die treibende Kraft ist die Angst vor dem Tode.“

(Fritz Julius Buß: Atlantis. Die Tragödie eines Weltuntergangs in fünf Aufzügen, S. 5)

 

Das Werk bringt den Machtkampf zweier Menschen, die sich gottgleich wähnen, auf die Bühne – auf der einen Seite der Tyrann Sumeichon, der Herrscher von Atlantis, auf der anderen der Astronom Facheirias. Beide müssen vor langer Zeit Bundesgenossen gewesen sein. Ohne die Hilfe des Facheirias hätte Sumeichon nie den Sieg über das verfeindete Kyphos errungen. Nun aber schwelt zwischen den beiden eine schwer zu definierende Rivalität, die früher oder später die einzig verbliebene Supermacht der Welt, nämlich Atlantis, in den gesellschaftlichen Ruin, etwa in Form eines Bürgerkriegs, geführt hätte.

 

Hier hast Du das Geheimnis meiner Schuld.

Was hier in seinen Zirkeln sich verwirkt,

Das Pergament zum Weltenraum erweitert,

Das rollt Titan Natur in Wirklichkeit.

An diesem Spiel der Kreise und Parabeln

Erkannt ich schaudernd plötzlich, wie das Sein

An der Gestirne hohen Bahnen hängt,

Und wie es kommt, daß sich die Welt bewegt.

Das eherne Gesetz Notwendigkeit,

Der eisenharte Zwang liegt offen da!

Wie soll ich sprechen, daß Du mich verstehst?..

Die inneren Kräfte dieser Harmonie

Der Ewigkeit, durch die der Raum sich dehnt,

Bewirken auf der Erde stetes Werden.

Hier strömt aus einem Berg ein Lavameer,

Weil in Aeonen Welten Sonnen kreisen.

Dort bebt die Erde, weil der Mond sich füllt,

und ihre Kraft erschüttert Luft und Meer!...

Und über allem spannt der Menschengeist

Geheimnisvoll die Fäden der Erkenntnis.

Wir können das uns drohende Geschick,

Eh´ sich´s vollzieht, an diesem Bild erkennen.“

(Fritz Julius Buß: Atlantis. Die Tragödie eines Weltuntergangs in fünf Aufzügen, S. 15)

 

Soweit Facheirias im ersten Akt zu seiner Tochter Ekastora.

 

 

Der tatsächliche Untergang des Inselkontinents kommt der staatlichen Katastrophe zuvor – er nimmt vorweg, was die einmal entfesselten und nicht mehr zu bändigenden Dynamiken ohnehin bewirkt hätten. Eine Hoffnung besteht für die Überlebenden nicht. Sumeichon zieht im fünften Akt folgendes Resümee:

 

Einst kreist hier um diesen kalten Grat

In majestätisch weitgespanntem Flug

Der Adler! Jetzt wirft drohend seine Wogen

Der Ozean an den verwünschten Strand.

Mit feuchter Zunge leckt er Stein um Stein

In seinen Schlund. Wir schauen machtlos zu.

Es ist ein aussichtsloser Kampf um's Nichts!!

Und dennoch!! . . Nur nicht denken!! .. Zwei Fuß Boden!! . .

Einst konnte ich in mondenlangen Fahrten

Die Länder meiner Mächte kaum durchqueren,

Und ahnte nicht, was Glück, was Wohlstand war!!

Jetzt mag der Schatten meines Purpurmantels

Das ganze Reich bedecken! Welch ein Sturz!!

Was soll der Mensch, wenn so die Schöpfung waltet??

Erbarmungslos tritt sie sich in den Staub,

Und achtet sich nicht mehr . . O, heilige Sonne!!!

Und Du vermagst es, Deinen Glanz zu spenden,

Du wirfst Dein Licht auf die entmenschte Erde??

Du lockst aus Keimen neuen Lebensmut???

Und ist doch alles, was Du tust umsonst!!! . .

Und dennoch scheinst Du, zeugst und spendest Freude??

Aus welchem Bronnen schöpft Natur Verstand??? . . .

Ich will nicht trotzen diesen Wundern mehr,

Die zwei Fuß Boden, nimm die Flut sie auf.

Es soll so sein, wie's die Natur gewollt.“

(Fritz Julius Buß: Atlantis. Die Tragödie eines Weltuntergangs in fünf Aufzügen, S. 89)

 

 

Hauptmanns Exemplar weist keinerlei Lesespuren auf, aber daß er sich mit dem Werk beschäftigt hat, ist durch einen Brief belegt, den er in seinem Hiddenseer Domizil am 16. 8. 1930 an Otto Creutzfeldt schrieb, den Vater von Hans-Gerhard Creutzfeldt, einem der beiden Entdecker der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit:

Sehr verehrter Herr Sanitätsrat!

Es ist mir eine Freude, Ihren Brief in Händen zu halten, und ich werde natürlich „Atlantis“ von Herrn Julius Buß lesen. Flüchtiger Einblick zeigt mir bereits die Hand und den Geist eines gebildeten Mannes. Ein eigentliches Urteil zu fällen, traue ich mir weder jetzt noch künftig zu. Es deprimiert meistens den Betreffenden und fördert nicht. Sollte es einen Sinn haben, müßte es den Novizen vorwärts bringen. Er wird und soll weiter schreiben, wenn er muß und jedenfalls sehr viel Dramen von den alten bis zu den neuesten herauf lesen, sehen und studieren.“

 

Fritz Julius Buß wurde am 27. 7. 1892 im heutigen Bad Zwischenahn geboren und studierte ab 1915 Medizin in Jena und München, wo er 1922 mit einer Arbeit „Über die Quecksilberschädigung der menschlichen Niere“ promoviert wurde. Diese Schrift galt lange Zeit als verschollen, doch hat sich glücklicherweise ein Exemplar in den Beständen der Bayerischen Staatsbibliothek in München erhalten. Nach verschiedenen Stationen als Volontär und Assistenzarzt in Eppendorf, Friedrichsberg und Plauen ließ er sich 1926 als Nervenarzt in Harburg nieder.

 

Die im Vorwort von „Atlantis“ angesprochene Angst vor dem Tode als treibende Kraft manifestiert sich nicht nur in „Atlantis“ zugleich als Angst vor dem Nichts, daß der Tod bedeutet – um sie kreisen auch die beiden anderen Versdramen von Buß: „Die Nibelungen“, 1932 in Harburg aufgeführt und gleichfalls bei Wilhelm Walther erschienen, aber niemals in den Buchhandel gelangt, und „Die Untermenschen“, von Buß im Jahre 1945 nach seiner Befreiung aus dem KZ Sachsenhausen geschrieben und bis heute unveröffentlicht.

 

Die Nibelungen“ lassen sich als Versuch eines Klassizisten begreifen, mit überkommenen Mitteln auf die Herausforderungen des Expressionismus zu antworten. Das Ergebnis lohnte die Mühe – trotzdem die dargestellte Wildheit und Gewalt die traditionelle Formung schier zu sprengen drohen.

 

Nach der Uraufführung des Stückes fragte ein Vertreter der NS-Bewegung, ob Buß sich nicht vorstellen könne, ein Festspiel zur Verherrlichung des aufstrebenden Nationalsozialismus zu verfassen. Der Gefragte zog sich diplomatisch aus der Affäre – der dramatische Knoten sei noch nicht geschürzt.

 

1945, nach drei Jahren KZ-Haft, schrieb Buß seine „Untermenschen“-Tragödie – erneut ein Fünfakter im fünfhebigen Blankvers, eine historische Groteske über den Untergang des „Dritten Reichs“. Buß sagte damals zu seiner Frau und seinen Kindern: „Nun habe ich das Werk verfaßt, das die Nazis von mir verlangten – freilich mit umgekehrten Vorzeichen!“

 

Aus dramaturgischen Gründen figuriert hier Goebbels als tragikomisch-diabolischer Antiheld. Buß hierzu im Vorwort:

Wenn überhaupt etwas, so hat bestimmt ein Kunstwerk Anspruch auf absolute Individualität. Damit soll prinzipiell über den Wert oder Unwert eines Stückes nichts gesagt sein. Es erscheint mir trotzdem wesentlich, diesen Gedanken auszusprechen, weil nach der Ansicht gewisser Kritiker das ungeschriebene Gesetz gilt, daß sich der Autor bei der Bearbeitung historischer Stoffe unbestechlicher, nüchterner Objektivität zu bedienen habe. Dieser Vorstellung ist entgegen zu halten, daß Dichter keine Historiker sein wollen und auch nicht sein können, weil ein Kunstwerk aus anderen Lebenserfahrungen herauswächst als die objektive Forschung. So kann denn auch kein Historiker bei der Erforschung objektiver Zusammenhänge sich auf Dichtungen oder zeitgenössische Erinnerungen berufen, da beiden Reproduktionsgattungen objektiv eine subjektive Färbung eigen ist, welche der historischen Wahrheit nicht gerecht zu werden braucht.

 

Dieser Gedanke soll weder der Willkür noch der Verdrehung das Wort reden, da ich in keinem von beiden einen Vorteil sehen kann. Auch ich meine, daß eine Tragödie wahr sein muß, wenn sie Wirkung haben soll. Aber es ist bei dieser Wahrheit gleichgültig, ob sich der Vorgang auch objektiv so zugetragen, ja, ob er sich überhaupt zugetragen hat.

 

Ausschlaggebend für die Wahrheit einer Darstellung ist vielmehr einzig und allein die innere Wahrheit der Dichtung, die mit der Dynamik ihres Ablaufs nicht in Widerspruch stehen darf, sondern durch sie bestimmt wird und gleichzeitig ihren charakterlichen Einfluß auf sie ausübt. Auf dieser doppelten Beziehung beruht letzten Endes das, was man den tragischen Konflikt nennt.

 

Daraus geht nun aber hervor, daß ein tragischer Konflikt ein moralisches Gewissen zur Voraussetzung haben muß. Und dieses Moralgewissen hat den Parteigenossen sämtlich mit Sicherheit gefehlt und fehlt ihnen auch jetzt noch. Am allerwenigsten hat etwa Goebbels ein solches Moralgewissen besessen, obgleich er angeblich von Jesuiten erzogen sein soll.

 

Damit entfällt nun aber eigentlich jeder Grund für eine dramatische Gestaltung. Denn wenn alle Repräsentanten der nationalsozialistischen Idee wirklich nur schlecht und minderwertig waren, so sind sie damit ungeeignet in einer dramatischen Gestaltung Trägerrollen, die man ihnen ja auf Grund ihrer Stellung zubilligen muß, zu übernehmen, da die Resonanz beim Publikum fehlt. Denn absolute Schlechtigkeit kann nicht rühren und muß Ekel erregen, wenn sie nicht in der Form eines Reißers gebracht wird, dessen Wirkung komisch oder sentimental ist, was aber wiederum der Dynamik des objektiven Geschehens widerspricht.

 

Denn der Nationalsozialismus war weder komisch noch sentimental. Er war verbrecherisch.

 

Trotz dieser schwierigen Sachlage ist nun aber trotzdem eine künstlerische Gestaltung des Stoffes möglich, der den Gesetzen des Dramas gerecht wird, wenn man nämlich dem Mephisto den Faust zugesellt, den er aus dauernder Dunkelhaft zu bestimmten Stunden zu sich heraufholt, um ihn über seine Auffassungen zu befragen, so daß glaubhaft ein gewisser Gewissensrest übrig bleibt, der ausreicht, um sein wechselndes Verhalten zu erklären, der aber nicht stark genug ist, um seinen völligen moralischen Zusammenbruch zu verhindern oder auch nur abzumindern.

 

Aber auch die Einführung dieser Person würde die Ausgestaltung dieser Triebmenschen zu einem künstlerischen Problem noch nicht rechtfertigen, wenn es nicht gelingen konnte, den großen Gegenspieler der sittlichen Weltordnung glaubhaft einzuschalten. Das sind die Opfer des 20sten Juli, die ich wenigstens teilweise unter Lebensgefahr im K. Z. Sachsenhausen kennen gelernt habe. Vor allem der Graf Dohnanyi ist mir ein lieber Freund geworden. Sein schweres Schicksal hat mich tief beeindruckt und hat entscheidenden Einfluß auf mich ausgeübt.“

(Aus den Typoskriptseiten 2 und 3 der „Untermenschen“)

 

In der Nachkriegszeit wirkte Buß weiter als Psychiater in Hamburg, wo er auch verstarb. Sein literarisches und sein wissenschaftliches Werk blieb völlig unbekannt. Zu Lebzeiten erschien lediglich ein kleiner Aufsatz von ihm, „Psychologische Betrachtungen zum Schizophrenieproblem“, in der „Psychiatrisch-neurologischen Wochenschrift“ im Jahre 1943, als er bereits inhaftiert war. In seinem Nachlaß findet sich, neben Fragmenten weiterer Versdramen (Dido, Dädalus, Heinrich IV., Josephine), ein 462 Seiten umfassendes Typoskript zur Psychopathologie, offenbar die Rekonstruktion und deutliche Erweiterung einer Schrift, die er bereits während der 1930er Jahre in Angriff genommen hatte, deren Originalmanuskript aber verbrannte, als die Familie 1944 ausgebombt wurde, sowie familiengeschichtliche Prosa und Gedichte, die sich vielfach als dem Vorbild Christian Morgensterns verpflichtet erweisen. Auch zollte Buß der beliebten „Bonifatius-Kiesewetter“-Mode seinen Tribut:

 

Auf dem großen Reichsparteitag,

wo die Hitlerfahnen wehten,

war auch unser Bonifatius

als SA-Mann angetreten

 

Nach der großen Führerrede,

die man mit Sieg Heil beschließt,

rief er dreimal, ganz laut „Scheiße!“,

was ja wohl verboten ist.

 

Bei der kommenden Verhandlung

er den Richtern kühn erklärte,

daß die viele braune Farbe

ihm total den Sinn verwirrte.

 

Moral:

Wer „Scheiße!“ ruft in solcher Zeit

weiß nichts von Volksverbundenheit.“

 

Neben eigenen Texten hält der Buß-Nachlaß noch eine andere Überraschung bereit: Zwei Gutachten über „Atlantis“ und über die „Nibelungen“ von Bruno Markwardt (1899 – 1972), dem Autor der fünfbändigen „Geschichte der deutschen Poetik“. Das Atlantisgutachten stammt von Dezember 1943 und liegt sowohl in handschriftlicher wie in maschinenschriftlicher Form vor, das Nibelungengutachten stammt aus der ersten Hälfte der 1950er Jahre, als Markwardt gerade in Kiel weilte, und liegt lediglich in maschinenschriftlicher Form vor. Markwardt spricht den beiden in Buchform vorliegenden Versdramen von Buß einen außerordentlichen Rang zu. Warum diese beiden Texte nicht veröffentlicht wurden und in welchem Verhältnis Buß und Markwardt zueinander standen, konnte noch nicht geklärt werden.

 

Sein letztes Gedicht verfaßte Fritz Julius Buß im September oder Oktober 1965, kurz vor seinem Tode:

 

Wo sich dem Herz mit neuem Schlage

Ein neues Leben öffnet, dorten

Wo keine Sünde, keine Zweifel schweben

Wo Sünde nicht und Hinterlist erbeben

Vor einem weisen Richterspruch

Ich sehe nicht, genug, genug!

Und doch, mein Herz, was zitterst Du?

Laß mich an diesem Tag in Ruh.

Ich weiß, der Tod ist nicht so leicht,

Als er dem Lebenden wohl däucht.

An dieser Erde schönes Paradies

Hält sich mit Wollust jegliches Organ.

Du klammerst Dich am festesten gewiß

Als kompliziertes an die Erde an.

Und fühlst Du zitternd Deine letzten Schläge

So keimt in Dir gleich neue Hoffnung auf.

Des Schicksals dunkle unerforschte Wege

Beginnen einen neuen Sphärenlauf.

Geheimnisvoll ahnst Du am Lebensende

Ein neues Feld des Schaffens Dir erstehn.

Du willst den trocknen Tod nicht sehn

Und hoffst, daß sich Dein Leben wende.

Indeß er mahnt. Du kannst nicht widerstehn.

Er lockt. Er ruft. Und Du mußt mit ihm gehn.

Wohin? Die Wege sind Dir unbekannt.

Doch ist´s ein fernes dunkles Land

Kein Weg, kein Steg führt Dich aus ihm zurück

Und dieses ferne Land ist Dein Geschick.

Da find´st Du schlummermüde Deine Ruh.

Da gibt es Nichts. Da bist nur Du.

Das ist Dein Tod. Dem eilst Du zu.

Und doch, mein Herz, was zitterst Du?“

(In die vorliegende Fassung gebracht am 29. 9. 2015 durch Frau Hilke Buß und Herrn Alexander Martin Pfleger in den Räumlichkeiten des Alten Forsthauses bei Buchholz/Sprötze, inklusive zweier am 16. 10. 2015 telephonisch durchgegebener Korrekturen von Herrn Jan-Geerd Buß.)

 

Buß war in des Wortes bestem Sinne ein Mann der Aufklärung. Fest verwurzelt im protestantischen Glauben, stellten für ihn Rationalität und Religiosität keine unvereinbaren Gegensätze dar. Resignation war seine Sache nicht, und ebensowenig war er ein Freund falscher Heilsversprechungen, die in den großen Katastrophen des 20. Jahrhunderts kulminierten. Für ihn stand immer die fortwährende Verpflichtung eines jeden einzelnen Menschen zu ethischem Handeln im Vordergrund.

 

Dietrich von Bern zieht am Ende der Bußschen Nibelungentragödie das Fazit:

 

Frei und allein! Grausames Menschheitsschicksal,

Das uns die Tore der Erkenntnis aufstößt,

Wenn es zu spät ist. So löst Blut die Schuld,

Der wir verfallen, wenn uns Ehrgeiz treibt,

Nicht über unsere Welt hinauszudenken. –

Kommt je ein Tag, der uns in Einigkeit

Zusammenschmiedet in dem Drang der Not,

Dann mag ein Friede werden, der uns frommt,

Und neue Hoffnung wächst aus Heldengräbern.“

(Fritz Julius Buß: Die Nibelungen. Tragödie in fünf Aufzügen, S. 122/123)

 

 

Persönliche Anmerkung: Der Verfasser dieses Artikels gelangte über seine Forschungen zum Atlantismotiv im Werk Gerhart Hauptmanns auf die Fährte von Fritz Julius Buß und möchte an dieser Stelle erstmals öffentlich den Menschen seinen Dank aussprechen, die ihn in seinem Bestreben, das Vermächtnis von Fritz Julius Buß zu bewahren und einer größeren Öffentlichkeit bekannt zu machen, tatkräftig unterstützten. In erster Linie sind damit die Kinder von Fritz Julius Buß gemeint – Frau Hilke Buß, Frau Dr. Etta Buß und Herr Jan-Geerd-Buß. Ferner gilt besonderer Dank Herrn Dr. Horst R. Sassin und Herrn Dr. Volker Friedrich. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Staatsarchivs Hamburg sei für ihre Hilfe bei der Bereitstellung Fritz Julius Buß betreffender Datensätze gedankt, so etwa der Bußschen Wiedergutmachungsakte, der auch die obige Photographie entstammt, und anderer Dokumente. Nicht zuletzt sei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin gedankt, die ihm Gerhart Hauptmanns Leseexemplar der Atlantistragödie von Fritz Julius Buß zugänglich machten.

 

Bei den Zitaten wurden einige offensichtliche Fehler und Unregelmäßigkeiten korrigiert, dabei aber auch versucht, der bisweilen höchst eigenwilligen Interpunktion und Orthographie von Fritz Julius Buß (zwei Fragezeichen, zwei Ausrufezeichen, zwei Punkte) Rechnung zu tragen.

 

Foto:

Die Aufnahme von Fritz Julius Buß entstand 1945 nach seiner Befreiung aus dem KZ Sachsenhausen

 

Info:

 

Am Samstag, dem 14. 11. 2015, wird der Verfasser im Rahmen des zweiten Teils der literarischen Abendveranstaltung der Gerhart-Hauptmann-Gesellschaft, e. V., Berlin, in den Räumlichkeiten des Gerhart-Hauptmann-Museums in Erkner, einen Vortrag mit dem Titel „Gerhart Hauptmann, Thomas Westerich, Fritz Julius Buß: Drei Wege nach Atlantis – und wieder zurück.“ halten. Im ersten Teil der Veranstaltung trägt der Germanist Prof. Dr. Sigfrid Hoefert (Waterloo/Ontario) aus seinen Gedichten vor. Die gesamte Veranstaltung findet von 17.00 Uhr bis 18.00 Uhr statt. Interessierte sind herzlich dazu eingeladen. Der Eintritt ist frei.