Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 6. und 7. Januar 2016, Teil 4: Hörbuch Osterwold audio

 

Günther Winckel

 

Hamburg (Weltexpresso) – Nein, vergessen Sie das alles, was etwas Erhabenes in diese Geschichte hineingeheimnist. Dieses Hörbuch ist einfach eine Geschichte von Mann (Glass) gegen Mann (Fitzgerald). Sie ist die Geschichte von Gut und Böse. Sie ist die Geschichte von Natur gegen Mann. Sie ist die Geschichte von Mann mit Natur. Sie ist die Geschichte von der Ausbeutung der Natur durch den Mann.

 

Sie ist die Geschichte von den frühen Jahren des Wilden Westens. Sie ist die Geschichte von der Besitznahme der Länder der Ureinwohner, der Indianer im Westen der USA. Sie ist die Geschichte von der Rache der Indianerstämme – hier gleich drei: Pawnee (unter denen Glass aufwächst und mit einer von ihnen, die gemordet wird, ein Kind hat, Hawk, der von Fitzgerald ermordet wird), und der nahe Indianerzweig der Arikaree und der Lakota vom Stamm der Sioux.

 

Das ganze Hörbuch hindurch erfahren wir vom Überlebenskampf dieses Hugh Glass. Seine Hauptgegner sind andere Männer, die erschossen werden, niedergestochen oder sonst wie ihr Leben lassen. Und nur, weil die anderen Männer so viel schlimmer erscheinen, ruht unsere Anteilnahme auf diesem Mann, der Tod und Teufel in eisigen Weiten entkommt. Übrigens hat der echte um 1783 geborene Glass seine Strapazen nur um neun Jahr überlebt. Denn 1833 fiel er im Kampf mit Arikarree-Indianern.

 

Doch, doch, für einen Mann gibt es in dieser Geschichte da einiges, was er selber kennt, wenn es beispielsweise um Konkurrenz unter Männern geht. Denn es gibt so etwas wie das Prinzip Mann, dem hier gehuldigt wird, wo Frauen deshalb auch nicht vorkommen. Die einzige Frau, die durch den Film huscht, ist die durch Weiße entführte, versklavte, mißhandelte und vergewaltigte Tochter eines Stammeshäuptlings. Beim Hören haben wir uns schon gefragt, ob Frauen diese Männlichkeitsrituale, die genüßlich den Roman durchziehen, nicht langweilen.

 

Und wir wollen den Leser auch nicht langweilen und nicht weiter die Fährte realen Hugh Glass verfolgen, ihm auf die Spur kommen – allerhand, wie viele Begriffe aus der Jägersprache einem dann so auf- und einfallen - , sondern das Geschehen zusammenfassen. Es ist die Zeit, wo sich die Weißen in den Gebieten der indigenen Indianer die schon einmal eroberten Territorien für den Pelzhandel erneut sichern wollen. Die dazu gegründete Rocky Mountain Fur Company sucht unternehmungslustige Männer als Pelztierjäger. Hugh Glass macht unter der Führung von Captain Andrew Henry mit. Hugh Glass ist nicht alleine, sein jugendlicher Sohn begleitet ihn.

 

Nachdem die Truppe erfolgreich Tiere erlegt und die Pelze zusammengeschnürt hat, soll schon wegen des harten Winters die Rückreise auf Pferden angetreten werden. Ein Angriff der Indianer zu Pferd ändert die Strategie. Die Pelze werden versteckt und der Rückweg wird über unwirtliches Gebiet geplant, der Scout ist dabei Hugh Glass, der sich bestens auskennt und eine bestimmte Route vorschlägt. Doch wird er im Wald von einer großen Grizzleybärin angegriffen. Auch im Roman erschießt er sie und auch im Roman erschießt der ihm zu Hilfe kommender Trapper das eine Junge, während das andere sich in das Dickicht rettet.

 

Uns ist es ähnlich gegangen, wie es unsere Kollegin in ihrer Filmkritik schrieb. Schon der Pelzhandel, der mit sich bringt, so unglaublich viele Tiere abzuschlachten, um Felle zu erhalten, ist für uns Heutige, die eine andere Haltung zur Natur und auch zu den Lebewesen auf der Erde entwickeln, schwere Kost. Im Roman wird dies sehr viel schlichter beschrieben, als es die durch das fließende Blut aufdringlich wirkenden Filmszenen vermitteln. Daß die Bärin zu Tode kommen mußte, ist sozusagen konstruktionsnotwendig für den Roman, der hier zudem dem wirklichen Leben folgt. Aber das Erschießen des Nachwuchses hat keinerlei dramaturgische Relevanz und stößt einen ab.

 

Das gilt für den ganzen Umgang mit der Natur. Ja, es wird heroisch geschildert, wie ein Mensch, der mit zerfetzter Halsschlagader dann von seinem Anführer zusammengeflickt wird, unglaublicherweise am Leben bleibt, wie er anständiger Weise, da er nicht mit voller Geschwindigkeit mitreisen kann, von zwei Kollegen bewacht wird, damit sie ihn beerdigen können, falls er dann, wovon alle ausgehen, stirbt. Dem Bösewicht Fitzgerald, hier erläutert der Autor dessen kriminelle Vorgeschichte sehr viel eindringlicher als es der Film könnte, geht das nicht schnell genug. Er ermordet den Sohn und belügt den zweiten Mann, nimmt zudem auch noch die Waffen des Sterbenden an sich und zieht seines Weges. Angekommen lügt er, sie hätten den Toten beerdigt.

 

Das ist die Ausgangssituation für den Überlebenskampf und die spätere Rache. Die eigentliche Beschreibung der zwei mp3-CDs folgt der Wanderung über Stock und Stein, dem Fast-Erfrieren, der Ausnutzung der Natur für das Überleben dieses Hugh Glass. Was einen wundert, ist einfach, warum im Jahr 2002 ein solches Buch geschrieben wurde. Für wen? In den USA hieß es, die Amerikaner hätten in der derzeitigen Weltlage Identitätsstiftendes besonders nötig und das ist nun einmal die Eroberung des Wilden Westens mit allen Mythen, die vom starken weißen Mann dazugehören.

 

Genau solches bedient das Buch. Und ist darin nicht nur im Film, sondern schon im Roman durchdrungen von einer gewissen Männlichkeitsideologie, die leicht in Kitsch umschlägt. Was der Roman vermissen läßt, ist die heute aufkommende problematische Sicht auf diesen Umgang mit Mensch und Natur. Das ist völlig verständlich für eine Schilderung von 1823/24, aber darum fragt man sich um so stärker, warum heute ein solches Buch geschrieben wurde und fragt sich beim Hören, warum man das eigentlich anhört, wo man doch selber heute einen anderen Standpunkt zum Vorgehen der Weißen in den USA hat. Ratlosigkeit bleibt zurück.

 

Foto: Da wir uns schon beim Hören des Romans nicht von den gewaltigen Bildern des zuvor gesehenen Film lösen konnten, ist nur folgerichtig, daß hier nun auch Hugh Glass in der Version von Leonardo DiCaprio ins Bild kommt.

 

 

Info:

 

Michael Punke, Der Totgeglaubte. Eine wahre Geschichte, gelesen von Gerrit Schmidt-Foß, ungekürzte Lesung, 2 mp3-CDs, 532 Minuten, Osterwold audio