Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 4. Februar 2016, Robinson Crusoe, Teil 10
Claudia Schulmerich
Stuttgart (Weltexpresso) – Ganz zum Schluß wollen wir die kompakte Robinsongeschichte für Erwachsene – und natürlich für Jugendliche auch – an zwei Beispielen überprüfen: Rufus Beck liest Daniel Defoe 284 Minuten bei Hörbuch Hamburg und Charles Wirths 420 Minuten beim Audio Verlag.
Alleine aus der Länge der Lesungen können Sie erkennen, daß Rufus Beck mit 4 CDs auf jeden Fall eine gekürzte Lesung spricht. Es ist die von Sybil Gräfin Schönfeldt bearbeitete Übersetzung der Erstausgabe, wohl dieselbe, der auch das cbj-Taschenbuch zugrunde liegt, das uns schon im Teil 6 nicht vollends glücklich machte. Das bezieht sich auf den Inhalt. Rufus Beck liest es in bewährter Manier, seine Stimme wird einem auch bei der letzten CD nicht über.
Charles Wirths, der zur Zeit der Aufnahme 1985 ein bekannter Sprecher war und 2012 starb, hat erst einmal die offizielle Version der 1974 im Hanser Verlag herausgekommenen Vorlage nutzen können, die von Hannelore Novak und Paul Baudisch übersetzt ist. Wir kannten ihn (nicht) mehr, sind aber von der Jugendlichkeit der Stimme hingerissen. Dabei muß er das in höherem Alter gesprochen haben, aber es ist von allen Aufnahmen, die den Robinson sprechen die frischeste Stimme. Alles in allem ist dies, schon durch die Länge die gediegenste Fassung, wenn man das Original hören möchte.
Aber Achtung! Auch hier wurde gekürzt, was man eigentlich nicht versteht, weil auf einer mp3-CD nicht unbedingt gekürzt werden muß. Aber, wer Defoes Roman wirklich gelesen hat, der weiß, daß da wirklich nachbarocke Schlingen enthalten sind, in denen man sich leicht verfängt, weil ein Geschichtchen ausgeschmückt eine Dimension erlangt, daß man bald nicht mehr weiß, wo man sich gerade befindet. Man weiß nur eines: Zu Hause ist dieser Robinson nicht.
Und ist er dann endlich nach den 28 Jahren, 2 Monaten und 19 Tagen – nachdem wir das sooft hörten und lasen, finden wir, daß das eine Millionenfrage wert ist – auf der Insel und noch viele Jahr drauf, wo er in der Welt herumsegelte, nach Hause nach England gekommen, da hat er – wo doch für den Leser einfach der Höhepunkt die Heimkehr ist, die man gut schon mit der Abfahrt von der Insel dramaturgisch enden lassen kann, da hat er immer noch nicht genug und unternimmt auch von England aus wieder so allerlei, wird aber innerhalb von ein paar Dutzend Seiten dann doch so alt und stirbt einfach.
Das ist dem Leser heute alles viel zu viel, der runde Geschichten gewohnt ist und so kann man Kürzungen des Schlusses sehr gut verstehen, weil uns Robinson Crusoe im kulturellen Gedächtnis weder mit den anfänglichen Schiffsunglücken noch mit seiner Heimkehr in Erinnerung bleibt, sondern das Eigentliche die Ankunft bleibt und das Überleben auf der Insel, einschließlich der Tiere und Freitags, wozu die Umstände, wie er die Insel wieder verlassen kann, hinzugehören. Nur das ist das Essentielle an Robinson Crusoe, die jede Buchfassung, jede Lesung und jede Aufnahme eines Hörspiels enthalten muß.
Und selbst wenn dies alle einhalten, sind die vorliegenden Bücher und Hörbücher doch unglaublich unterschiedlich in ihrem Weglassen und die Kinderbücher und Hörspiele erstaunlich wagemutig im Ausschmücken. Es lassen sich nämlich auf der Basis der erwähnten Grundgeschichte wiederum verschiedene Topoi ausmachen.
Robinson kommt also an. Er hat den Hund, den Schiffshund bei sich. Nein, nicht überall. Mal fehlt der Hund auch. Ein personeller Topos ist auch der Negerjunge Freitag, der auch mal Dienstag heißt – oder war das der Papagei? Es geht im eigenen Kopf ganz schön rund, wenn man sich die Fassungen durchlas und anhörte. Auf jeden Fall ist Freitag die wichtigste Figur nebst Robinson, denn erst mit seinem Dasein fängt der Gestrandete an, sich auf der Insel zu Hause zu fühlen. Ein Heim hat er sich schon vorher bereitet, das wäre der nächste Topos. Und da foppt uns die Erinnerung. Wir dachten immer, er habe den Freitag auch deshalb so 'nötig' gehabt, damit dieser ihm bei den Zimmermannsarbeiten helfe. Aber die sind ja schon alle fertig, bis schließlich spät erst Freitag an Land gespült wird.
Wichtig: die Tiere sind noch nicht zu Ende erzählt. Es gehört neben dem Hund, der völlig unterschiedlich heißt, eines natürlichen Todes durch Alter – 28 Jahr auf der Insel! - stirbt und von Robinson begraben wird, was er schon mit den Schiffskatzen tat, von denen aber eine sich mit einem Wildtier paarte und Junge warf, so daß die Schiffskatzen in den Nachkommen überlebten, manchmal Moll heißen - es gehört also vor allem Poll dazu. So nennt Robinson den Papagei, mit dem seine von ihm gefühlte Menschwerdung auf der Insel beginnt, die einsetzte, als er die ersten menschlichen Laute hört und flugs vermutet, er habe einen weiteren niedergeschlagenen Überlebenden gehört, dabei ist es nur Poll, der ihn selber mit seinen defätistischen Reden nachahmt. Übrigens, der Roman schlägt einem immer wieder in Bann, genau an Stellen, wo man auf Witz gar nicht vorbereitet ist, der sich aber hinter den äußerst nüchternen Schilderungen des Domestizierens von Land und Tier verbirgt.
Vorkommen muß bei den gekürzten Robinsonaden auf jeden Fall, wie er sich eine Behausung schafft und wie er durch Überlegung, Phantasie und das Ausnutzen der natürlichen Ressourcen auf der Insel zu Werkzeug und mit dem Werkzeug zur Pflanzung und Ernte auf der Insel kommt. Das macht den eigentlichen Gehalt der Geschichte aus.
Das nächste wären die übrigen Menschen, mit denen Robinson zu tun hat, wobei wir uns jetzt nur auf die Insel beziehen. Das sind einmal die Wilden, die Menschenfresser, das sind aber auch die Schiffsbesatzung, die Meuterer, die die Herrschaft über den Kapitän übernommen hatten und wo wir erleben, wie Robinson in den Inseljahren nicht verpennt und geistig abgehalftert wird, sondern ein Köpfchen zeigt, das, hätte er es von Anfang an gehabt, diese Robinsonade gar nicht aufgeschrieben hätte werden können, weil er zu Hause geblieben wäre, in Hull in England und ein braver, auf jeden Fall wohlhabender Kaufmann geworden wäre. So aber führt er die Meuterer an der Nase herum und wird zum Helden, wenn er mit den Guten ins Schiffchen die Bösen auf der Insel zurückläßt.
Wir sind bisher nicht darauf eingegangen, da die Bearbeitungen das gezielt weglassen. Die Ursache für das Schiffsscheitern von Robinson liegt ja darin, daß er als in Brasilien zu Geld gekommener Großgrundbesitzer von seinen Latifundiennachbarn rundherum dafür bezahlt wird und extra ein Schiff dafür bekommt, daß er nach Afrika fährt, um dort Sklaven zu kaufen, die dann auf den brasilianischen Anbaugebieten ackern sollen. Das hören wir heute nicht so gerne, denn natürlich liegt die Antwort dann nahe: geschieht ihm recht.
Die Haltung des Autors Defoe ist hier schwer auszumachen, denn diese Robinsonade ist ja „von ihm selbst erzählt“. Und zwar im Jahr 1719. Und natürlich hinterfragt Robinson das nicht weiter, sonst würde er ja nicht losfahren.
Da aber die weiteren intentionalen Lernziele, die Robinson bewältigen muß, um auf der Insel zu überleben, alle in die Richtung eines aufgeklärten, lernfähigen Menschen gehen, der Respekt vor der Natur und den auf der Insel lebenden Tieren gewinnt, so kann man Autor Defoe schon unterstellen, daß auf einer tieferen Ebene das Unglück, das Robinson erfuhr, auch mit dem Anlaß, Sklaven einkaufen zu fahren, zu tun hat. Das wollen wir nicht vertiefen, aber betonen: Die Sklaverei in den Vereinigten Staaten wurde erst am 18. Dezember 1865 verboten. Das sind fast 150 Jahre später als das Erscheinen des Romans. Portugal ließ den Abolitionismus schon 1761 Recht werden, England 1808, Brasilien erst 1888. Ende.
Info:
Die Bücher:
Daniel Defoe, Robinson Crusoe, aus dem Englischen übersetzt und mit einem Nachwort von Hans Reisiger, Manesse Bibliothek der Weltliteratur, 1957
Daniel Defoe, Robinson Crusoe, cbj Klassiker, aus dem Englischen von Sybil Gräfin Schönfeldt, cbj-Taschenbuch 2007
Daniel Defoe, Robinson Crusoe, neu erzählt von Wolfgang Knape, mit farbigen Bildern von Ute Thönissen, Arena Verlag 2014
Daniel Defoe, Robinson Crusoe, nacherzählt von Frauke Nahrgang, cjb, 2013
Daniel Defoe, Robinson Crusoe, mit einem Vorwort von Willi Fährmann, Arena Verlag 2015
Die CDs
Daniel Defoe, Robinson Crusoe, Lesung mit Charles Wirths, in der Klassiker-Edition GROSSE WERKE: GROSSE STIMMEN, Produktion NDR 1985, übersetzt von Hannelore Novak und Paul Baudisch auf der Grundlage ihrer im Carl Hanser Verlag 1974 erschienen Übersetzung, 1 MP3-CD, gekürzte Lesung, 420 Minuten, Der Audio Verlag 2015
Daniel Defoe, Robinson Crusoe, gelesen von Rufus Beck, 4 CDs, 284 Minuten, Regie Margrit Osterwold, aufnahme 2004, Hörbuch Hamburg
Daniel Defoe, Robinson Crusoe, Hörspiel, Laufzeit ca. 135 Minuten, e CD, Sprecher Felix von Manteuffel, Konstantin Graudus u.a., Hörspielbearbeitung und Regie: Sven Stricker, Der Hörverlag 2004
Daniel Defoe, Holger Teschke, Robinson Crusoe, mit Tonio Arango, Raman Knižka u.a., DAV Hörspiel für Kinder ab 6 Jahre, 1 CD Laufzeit ca. 49 Minuten, Deutschlandradio Kultur, Der Audio Verlag 2016
Der Film
Robinson Crusoe
Starttermin 4. Februar 2016 (1 Std. 30 Min.)
Regie Vincent Kesteloot
Mit den Stimmen auf Deutsch von Matthias Schweighöfer, Kaya Yanar, Dieter Hallervorden
Genre Animation , Familie
Nationalität Belgien