Serie: VOM GLÜCK DES HÖRENS, Teil 2/10

 

Helmut Marrat

 

Hamburg (Weltexpresso) - Mein Lehrer Prof. Willi Schmidt, der gleich für sein erstes Hörspiel den Kritiker-Preis bekam, hat das in einem Gespräch über Hörspiel folgendermaßen ausgedrückt: "Man muß da ja sozusagen Grundlagenforschung treiben. Wir haben fünf Sinne, bekanntermaßen; das ist Sehen, Tasten, Riechen, Schmecken, Hören.

 

Merkwürdigerweise, wenn Sie das anders formulieren, fangen alle diese Sinne mit 'Ge' an: Gesicht, Gefühl, Geruch, Geschmack, Gehör. Wenn Sie jetzt einen dieser Sinne isolieren, nämlich das Gehör, müssen Sie notwendigerweise sich einiges durch den Kopf gehen lassen. Denn Sie müssen ja den Versuch machen, die anderen Sinne zu implizieren. Wenn Sie nicht gar noch den Ehrgeiz haben, den sechsten Sinn auch noch dazu zu tun. Nicht? Dann wird es schon magisch. (...) I

 

Ich weiß nicht, ob es eine spezifische Hörspiel-Dramaturgie gibt und welchen Gesetzen sie zu folgen hätte. Mein Versuch war es immer, wenn ich mit einem Mikrophon als Medium zu tun hatte, die Zuhörenden so unmittelbar wie möglich zu erreichen. Und dazu ist das Mikro ja ein vorzügliches Instrument. Das kann ja bis zur Indiskretion gehen. Nicht?

 

Ich kann ja in einen anderen Menschen mit Hilfe einer Stimme oder mehrerer Stimmen so hineinkriechen, daß der sagt: 'Jetzt wird's mir zu viel. Ich bin jetzt irritiert in meinem Gehäuse.' --- Ich stelle mir immer einen einzelnen Hörenden dabei vor. Im Theater ist es immer eine Gemeinschaft, und da habe ich immer eine unmittelbare Resonanz. Oder keine. Dann ist es schlimm für die auf der Bühne. Beim Mikro ist es vollkommen anders. Aber ich habe die Chance, jemanden ganz direkt einzubeziehen in die Sphäre, die ich ihm zubereite. Und das, finde ich, hat einen großen Reiz, und, und da kann man auch nicht genug Versuche machen, finde ich, die natürlich auch fehlgehen können.

 

Und in dem Zusammenhang muß ich etwas sagen, das mir wirklich am Herzen liegt, weil es zu meiner Erfahrung gehört: Daß man die sogenannte Technik unmittelbar beteiligen muß (...) Sie sind sonst als Regisseur, und wenn Sie noch so gute Schauspieler haben, sind Sie ein armer Wicht, wenn Sie diese Mitarbeiter nicht haben. Eine Cutterin, die auf Millimeter oder Zehntelmillimeter schneiden kann, ein Tonmeister, der Ihnen eine andere akustische Ebene herstellen kann, die Ihnen vorschwebt, etwa die eines monologue interrieur, oder: Jemand träumt, und Sie haben die Vorstellung, daß das von dem realen Dialog, der bisher stattgefunden hat, sich abheben muß, und ich muß dem Hörenden vermitteln, daß der, der jetzt spricht, oder sie, daß die träumen. Wir machen wir das? Das gilt natürlich auch für das Ensemble der Schauspieler.

 

... sehr vieles, was auf der Bühne leicht Schlacke sein kann oder Unzulänglichkeit oder vom Mimischen unaufgelöst bleibt, das alles fällt ja hier weg. Wenn Sie die entsprechende Besetzung haben, die Auswahl der Schauspieler ist natürlich enorm wichtig dabei, und da sind Sie wieder auf die Hilfe des Besetzungsbüros angewiesen. Meistens kann man das ja auch nicht chronologisch machen, das wissen Sie auch aus eigener Erfahrung. Also müssen Sie, und das ist auch wieder der Vorteil, wenn Sie der eigene Autor sind, müssen Sie immer das Ganze im Hinterkopf haben…

 

Und … die Beschränkung, die Reduktion könnte man ja sagen, ... die ist dennoch, so widersprüchlich das klingt, auch eine Erweiterung, weil sie – ja, Sie haben vom Kosmos gesprochen -, und nun lassen Sie mich einen Gedankensprung machen: Ich habe mir das auch herausgeschrieben, aus dem 'Faust', da heißt es: 'Die Sonne tönt nach alter Weise ...' - Ich habe das schlecht gelesen, da ist nämlich ein Komma: 'Die Sonne tönt, nach alter Weise / In Brudersphären Wettgesang / Und ihre vorgeschriebene Reise / Vollendet sie mit Donnergang.' -

 

Das ist ja ... Der Goethe wußte wirklich alles! Die Astrophysiker werden Ihnen sagen, daß der Jupiter einen bestimmten Klang hat. Sie können den am Klang erkennen. Seine Bahn verfolgen. Und so das Universum. ... dieser antikische Mythos ist das eben. Das Licht tönt. Das Licht ist eben nicht nur sichtbar. Das Licht ist hörbar. Wenn das so ist, dann bekommt natürlich das Hörspiel – eine große Bedeutung, nicht? Denk ich mir. Wenn wir uns dessen bewußt sind.

 

... das Mikro können wir ja dauernd mißbrauchen. ... Manchmal möcht' ich es, möcht' ich mein Radio in die Ecke schmeißen. Weil das, das tägliche Programm mich quält. Nicht? Da ist ja ein permanentes Gedudel ... eine Art horror vacui im Hörbereich, nicht? ... Den Sender möcht' ich noch erleben ... der sagt: 'Wir machen jetzt eine Stunde Pause. Wir machen jetzt eineinhalb Stunden Pause, damit Sie nicht gezwungen sind, uns anzuhören. Damit Sie das Buch jetzt vielleicht sich vornehmen und noch mal nachlesen, das Buch, von dem wir eben gesprochen haben, von dem wir auch nur Ausschnitte Ihnen haben vermitteln können. Seien Sie doch so gut. Wir machen extra eine Pause dafür.'

 

Diesen Sender gibt es nicht, und – das find' ich schlimm. Also summa summarum, wie, Sie und ich, alle, die mit dem Hörspiel zu tun haben und sich so leidenschaftlich des Hörspiels annehmen, müssen versuchen, die Würde des Mikrophons, die Würde dieses Mediums, das so schrecklich mißbraucht wird, wieder herzustellen. Und sei es mit dem Anspruchsvollsten." -- (Aus: Hörspielerinnerungen / Holger Rink im Gespräch mit dem Theaterregisseur Prof. Willi Schmidt, SFB 15.1.1989). Fortsetzung folgt