Serie: 6. literaTurm wird zum Literaturfestival Frankfurt RheinMain vom 2. bis 13. Mai 2012, Teil 5/ 10

 

Gerhard Wiedemann

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Bisher kann man von den Veranstaltungen von LAKONIE UND LEIDENSCHAFT nur Gutes berichten. Das sagen erst einmal die immer wieder ausverkauften Lesungen, die eine Mischung sind aus Lesung und Diskussion und natürlich dem Buchkauf und Signieren danach, denn es ist einfach so, daß eine andere Beziehung zu einem Buch hergestellt wird, hat man den Autor gerade daraus vorlesen gehört. Aber es werden immer mehr, die schon mit den Büchern unterm Arm in die Veranstaltungen kommen.

 

Michael Kumpfmüllers DIE HERRLICHKEIT DES LEBENS, erschienen 2011 bei Kiepenheuer & Witsch, wird am Montag, 7. Mai um 18.30 im OpernTurm, Morgan, Lewis & Bockius LLP, seine Rolle spielen. Michael Kumpfmüller, 1961 geboren, lebt in Berlin, hatte im Jahr 2000 mit dem Ost-West-Roman „Hampels Fluchten“ sein Debüt, gab 2003 „Durst“ heraus nach einem wahren Kriminalfall und 2008 „Nachricht an alle“, ein Roman, der mit dem Alfred-Döblin-Preis ausgezeichnet wurde. Wer die Literatur als Liebe lebt, dem sind Romanen über Romanfiguren oder Schriftsteller immer besonders lieb und einfach interessant. Weil man sich nämlich beim Bücherlesen immer wieder auch um die innere Konstitution des Schreibers Gedanken macht, so sehr man sich auch sagt, das, was zählt, ist nur das Buch selbst.

Wenn also Kumpfmüller Franz Kafka im Blick hat, kann er sich des grundsätzlichen Interesses von Lesern und hier vor allem von Leserinnen sicher sein, erst recht, wenn es um Frauen und Liebe geht. Doris Diamant kennt jeder, der Kafka kennt und Kumpfmüller leistet sich durchaus ein Buben-, ach was, ein Mädchen-oder Weiberstück, wenn er in diesem Roman in ihre Haut schlüpft und sie erzählen läßt. Sein ganzes Leben hindurch hat Kafka immer wieder versucht, seine Gefühle für eine Frau mit dieser in Übereinstimmung zu bringen, deren Scheitern gerade vorprogrammiert war.

Die 25jährige Zionistin und Köchin/Kindergärtnerin Doris Diamant lernt der schon schwerkranke Kafka 1923 an der Ostsee kennen und wird mit ihr in Berlin zusammenleben und sie ist dann diejenige, die ihm den Lebensmut gibt, bis zum baldigen Tod im Juni 1924, durchzuhalten. Sie bleibt die einzige, wo er nicht, von Versagensängsten geschüttelt, glaubt, daß Frauen seinem schriftstellerischen Werk gegenüber Konkurrenten seien. Er hatte das festgehalten in Briefen und Notizbüchern, die allesamt von der Gestapo 1935 konfisziert wurden und nie wieder auftauchten. Sie rettete sich erst in die UdSSR, dann nach England, wo sie 1952 starb. Kafkas drei Schwerstern, Elli und deren Tochter Hanna, sowie Valli und Ottla wurden in KZs umgebracht, ein Schicksal, das auch Kafka gedroht hätte.

Kumpfmüller hat sich die noch vorhandenen Unterlagen sehr genau angeschaut und arbeitet sie in seinen Roman ein, so daß ein zartes Gewebe entsteht, in dem der Dichter als geliebter Mann hervortritt, der – so scheint es einem – auch deshalb seine Grundängste vor Frauen und ihrem Einfluß auf ihn, ablegen konnte, weil ihm Doris Diamant gegenüber als Versorgerin und nicht als Fordernde auftrat, also ihm eher geschwisterlich-familiär half, als eine anspruchsvolle Geliebte zu sein.

Ebenfalls am 7. Mai um 18.30 wird in der Villa Metzler Hans Joachim Schädlich SIR, ICH EILE...“. VOLTAIRE BEI FRIEDRICH II., erschienen bei Rowohlt, vorstellen. Der 1935 im Vogtland geborene, reüssierte in der DDR, siedelte 1977 in die BRD über und lebt heute in Berlin. Er hat viele wichtigen Preise erhalten und legt nun in dieser Novelle von 141 Seiten ein Beziehungsgeflecht des Philosophen offen: einmal die Liebe zu Émilie du Chatelet, die ihm wegstirbt, sowie seine Beziehung zum preußischen König Friedrich II. Höchst aufschlußreich erkennen wir, daß der Rationalismus den Gefühlen mißtraut, nämlich ihrer Irrationalität wegen, die das Denken stören könnte. Ein saftiges Stück Gedankenliteratur - und ganz und gar nicht knöchern.

Um 20 Uhr ist dann ebenfalls im OpernTurm Ralf Rothmann mit SHAKESPEARS HÜHNER aus dem Suhrkamp Verlag zu Gast. Da gackern nicht nur die Hühner, wenn er aus seinem Erzählband lesen wird und grundsätzlich sollte man anmerken, daß Ralf Rothmann gerne Tiere nimmt – auf dem Hühner Titel dann zweimal im Bild ein Fuchs - , um über den Menschen Grundsätzliches loszuwerden. Das goutiert so mancher beim Lesen und merkt gar nicht, daß er selber gemeint ist. Der 1935 geborene Ralf Rothmann gehört zu den bekannten Literaten der Bundesrepublik.

In acht Erzählungen führt er immer wieder vor, wie eine Zäsur entsteht, Unsicherheit da ist, wie es weitergeht und auch die Frage, ob es überhaupt weitergeht. „Wendepunkte des Lebens“ sagte man traditionell, wobei das Heimtückische an diesen ist, daß man sie meist zu spät, nämlich hinterher als Situationen wahrnimmt, wo die Fallstricke zu erkennen waren, man aber schlafwandlerisch agiert. Die Erzählung „Der Hunger der Vergeßlichkeit“ war als Extradruck die Jahresgabe des Suhrkamp und des Inselverlages 2011. Die alte Tante in der Nähe des Goldmannparks in Berlin-Friedrichshagen, fromm dazu, nimmt den Icherzähler auf und allein in der genauen Schilderung seiner Umgebung und der angenommenen Motive der Leute um ihn herum, zeigt sich Rothmann als Meister, denn „Auch Luftschlösser haben ihre Statik.“

Der Weltexpresso wird kontinuierlich über alle Veranstaltungen berichten.

Unter www.literaturm.de sind alle Informationen zu Veranstaltungen und Teilnehmenden abrufbar.