Serie: 6. literaTurm wird zum Literaturfestival Frankfurt RheinMain vom 2. bis 13. Mai 2012, Teil 6/ 10
Felicitas Schubert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Noch einmal ganz deutlich. Das diesjährige literaTurm-Festival hat erstmalig ein Motto. Das heißt dieses Jahr LAKONIE UND LEIDENSCHAFT und im übernächstes Jahr – das Festival ist zweijährig - anders. Den inhaltlichen Zusammenhang will das Kulturamt Frankfurt, das die Lesungen, Diskussionen und sonstigen Veranstaltungen konzipiert hat und veranstaltet, beibehalten. Unsere Leser, die also fälschlich verstanden hatten, daß nun jedes Jahr Lakonie und Leidenschaft Thema sei, haben aber insofern Recht, als Gefühle und die Liebe ein Thema sind, daß synonym für Literatur und Lyrik steht.
Auf Olga Grjasnowa sind wir am Dienstag, 8. Mai um 18.30 Uhr im OpernTurm besonders gespannt. Ihr DER RUSSE IST EINER, DER BIRKEN LIEBT – als Roman bei Hanser erschienen, als Hörbuch bei HörbuchHamburg - ragt seiner Thematik und seiner Frauengestalt Mascha wegen heraus. Wir haben dies Buch – ein Debüt - mit besonderer Wärme gelesen, weil es nüchtern und eher sogar kalt daherkommt. Ist das die neue Generation? Die neue doch eigentlich illusionslose Jugend, Asylantenkinder, die bei Liebesverlust persönlich umso stärker abstürzen, weil sie so wenig entgegen zu setzen haben? Vor allem, wenn der Geliebte einfach wegstirbt, weil seine Sportverletzung den schlimmstmöglichen Verlauf nimmt, den Tod.
Mascha ist aufmüpfig, auch gegen sich selbst. Sie fragt nach, aber immer wieder erlebt sie ihre aserbaidschanischen Wurzeln, wenn sie mit den Eltern, für die Deutschland das schlimmste der Länder war, wo die Asche der KZs noch warm ist, als Asylsuchende hierher kommen. Was Heimat sei, erfährt man im Buch sehr konkret. Eigentlich ja Aserbaidschan und auf keinen Fall Israel, aber in Wahrheit doch Frankfurt und noch wahrer: das Gallusviertel. Da allerdings hätte man auch die Bezeichnung Kamerun erwarten dürfen. Wir fragten uns dabei sogleich, ob nicht ein solches Buch nicht auch einmal Grundlage der Aktion FRANKFURT LIEST EIN BUCH werden könnte.
In unserer ewigen Fragestellung, was uns als Rezeption adäquater schiene, das Buch selbst zu lesen oder das Hörbuch lesen zu lassen, haben wir diesmal nicht das eine und dann das andere durchexerziert, sondern die einzelnen Abschnitte I.,II., III.,...der vier Teile des Buches im Wechsel mal selbst gelesen, mal der gleichmütig tuenden Stimme von Julia Nachtmann gelauscht, die das Kratzbürstige der jungen Frau überzeugend rüberbringt und auch die Verlorenheit, die sich immer wieder in Wut äußert und in Liebe zum Verstorbenen, wobei ihr klar ist, daß es für sie nicht nur den einen Mann im Leben gibt. Völlig verrückt dann, wenn wir beim Weiterlesen im Buch immer die Stimme der Julia Nachtmann mitintonierten, wenn Mascha zu Wort kommt, so prägnant hat sich ihre Stimme als Mascha im Unterbewußten festgesetzt – obwohl sie ja eine bekannte Sprecherin ist und etliche Hörbücher eingelesen hat, ist sie darob zur Mascha geworden.
Olga Grjasnowa, 1984 in Baku in Aserbaidschan geboren, wuchs im Kaukasus auf und der dortige Bürgerkrieg ist in seiner Konsequenz immer wieder im Roman angesprochen. Als Jüdin 'gebrandmarkt', die sich ganz und gar nicht als Jüdin fühlt und mehrere Sprachen erlernt hat, darunter auch Arabisch, nimmt sie dann – um ihrer Leere und der Situation nach dem Tode des Freundes zu entfliehen – eine Stelle in Israel an und neben den von ihr als von außen Kommenden hellsichtigen Kommentaren zu Deutschland, sind auch die Israel bezüglichen Passagen von Wucht, auch Witz. Es ist ein internationales junges Volk, das hier zusammenkommt und sich nicht mehr national definiert, sondern nur über sich selbst als Person und wer mit wem befreundet ist.
Andreas Altmann hat sein Haßbuch geschrieben, zumal auch das mit dem längsten Titel: DAS SCHESSLEBEN MEINES VATERS, DAS SCHEISSLEBEN MEINER MUTTER UND MEINE EIGENE SCHEISSJUGEND, erschienen bei Pieper 2011. Er tritt am Dienstag, 8. Mai um 18.30 im Haus am OpernTurm, Allen & Overy LLP auf. Der Reiseschriftsteller und reisende Reporter lebt in Paris, denn – das versteht man beim Lesen des Buches durchaus – Paris ist ganz schön weit weg von Altötting, wo Altmann von seinen Eltern gequält wurde.
Der Roman rechnet ab. Der Vater ist ein Schwein, ein übler Sadist und niemand nimmt das zur Kenntnis. Die Lehrer und Pfarrer müßten manches wissen, aber sie sehen nichts und fühlen nichts. Sie sind scheinheilig. Und die Mutter? Das ist es ja. Für Kinder ist es ein Drama, wenn ein Elternteil derart schwach erscheint, ach was, erscheint, einfach ist und die Kinder dem Vater ausliefert, statt einzuschreiten. Andreas Altmann hat das nicht kaputt gemacht, aber welche Wunden er mit durchs Leben – weit weg und irgendwie mit den vielen Reisen wie auf der Flucht – schleppte, kann man sich düster vorstellen, wenn er im 255 Seiten starken Roman die Haßgefühle aus Kinderseele hervorbrechen läßt in diesem Altötting, das Papst Benedikt XVI. „Das Herz Bayerns und eines der Herzen Europas“ nannte, als Wallfahrtsstätte auch Gnadenort genannt und als absolut gnadenlos geschildert.
John Banville liest am Dienstag, 8. Mai um 20 Uhr im Haus am Opernturm auf Englisch (auf Deutsch von Jochen Nix) und auch das Gespräch wird auf Englisch stattfinden und von der Moderatorin auf Deutsch zusammengefaßt. UNENDLICHKEITEN heißt sein neuer Roman im Verlag Kiepenheuer &Wisch 2012 erschienen, der mit 319 Seiten seinen großen Erfolg DIE SEE, der 2005 den Man Booker Prize erhielt, um 101 Seiten überflügelt. Das merkt man beim Lesen kaum, denn Banville ist ein geübter Erzähler, der so etwas wie einen Gesellschaftsroman gleichzeitig mit einem Familienroman paart. Hier ist es die Familie Godley, die sich um ihr sterbendes Oberhaupt Adam versammelt.
Einmal kein Icherzähler, die bei Romanen, in denen Gefühle eine besonders Rolle spielen, öfter vorkommen als sonst, sondern ein ausgesprochen aparter Erzähler. Es ist der Götterbote Hermes, der mit der Ironie, die vom Himmel aus, wohl leichter fällt, das irdische Geschehen doch recht spöttisch kommentiert. Wie in den deutschen Filmkomödien der Dreißiger Jahre werden hier die Menschen zum Spielball göttlicher Launen. Mal greifen die Götter ein, mal lassen sie gewähren. Was dem betroffenen Menschlein erhaben und wichtig erscheint, ist den Göttern ein Sack Reis, der in China umfällt. Relativeren ist die Devise, die John Banville dem Menschen nahelegt, sein eigenes Schicksal aus der Perspektive von weit her zu beurteilen, wäre eine der Möglichkeiten des Menschen, sich aus der selbstverschuldeten Wichtigtuerei zu befreien.
Der Weltexpresso wird kontinuierlich über alle Veranstaltungen berichten.
Unter www.literaturm.de sind alle Informationen zu Veranstaltungen und Teilnehmenden abrufbar.