Dieter David Seuthe, Frankfurt verboten, Weissbooks Verlag, ausgewählt für FRANKFURT LIEST EIN BUCH 2016

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wie toll, was sich die Juroren von FRANKFURT LIEST EIN BUCH für 2016 ausgedacht haben. Ein unbekannter Autor, ein in Frankfurt ansässiger Verlag, die Heldin eine junge Jüdin, die ihre Geschichte von 1929 bis 1936 erzählt, die ihre Ausbildung am Hoch'schen Konservatorium absolviert und eine ausgesprochene Stadtgängerin war, so daß wir viel von Straßen, Wohnungen, Lokalen und anderem Frankfurterischem lesen.

 

Die Begeisterung geht noch weiter, denn die Zeit 1929 – mit Rückschau bis 1923 – bis zu Elisens Flucht aus ihrem Vater- und Mutterland 1936 („kurz vor meiner Auswanderung, die ich nicht Flucht nennen will“, warum?) gehören zu den Jahren, die in Deutschland noch immer die dunklen Jahre heißen müssen, weil heute noch immer viel zu wenige nachvollziehen mögen, wie die Deutschen einen Hitler und seine Nazis gewähren ließen, nachdem auch viele Frankfurter ihn erst einmal gewählt hatten, ja wie diese Frankfurter durch - sprachlich so neutral genannte - „Arisierung“ den zu Juden Erklärten ihre Geschäfte, Besitztümer, Wohnungen, Bilder raubten – tatsächlich ein staatlich legitimierter Massenraub - sowie die aus den Ämtern und Firmen herausgeworfenen Juden ersetzten, indem sie deren Positionen einnahmen, deren Wohnungen bewohnten, deren Besitz okkupierten, insgesamt Nutznießer von deren Entrechtung und Verfolgung wurden. Darüber spricht man in Deutschland nicht gerne, schreibt darüber wenig. Selbst diejenigen, die sich gegen die Nazidiktatur wehrten, wie Georg Elser, haben in den Verfilmungen ihres Protestes keine gute Presse und wenig Kinobesucher.

 

Wir wissen im Allgemeinen mehr über das Leben und Sterben in den Konzentrationslagern, als über den Alltag im nationalsozialistischen Deutschland, wir wissen mehr über die Naziverbrechen als über die Mentalitätsgeschichte der Durchschnittsdeutschen, der den Naziterror aktiv ausübenden Täter und der geborenen, auf jeden Fall zuguckenden und gewährenlassenden Mitläufer. Da bringt die von Dieter David Seuthe im Namen der Elise Hermann erzählte Geschichte sehr viel von dem, was wir wissen wollen, erst recht, wenn es dann heißt, daß alles auf eine wahre Begebenheit zurückgeht und auch die Lokalitäten im Roman: Bad Ems, Frankfurt, Heiligenberg/Bayern, Berlin, Neuseeland stimmen.

 

Es geht also um diese Elise Hermann, eine brave Tochter jüdischer Eltern, die sich so wenig als jüdisch verstand, wie die Mehrzahl der assimilierten Juden, die gute Deutsche waren und durch die Nationalsozialisten zu Juden gemacht wurden. Elise wächst in Bad Ems in einfachen, aber soliden Verhältnissen heran und ist ein junges Mädchen, das überall Sympathie erweckt und das durch seine Musikalität schon früh die Herzen der Zuhörer gewinnt, weil Elise in ihrem Klavierspiel die Emotionalität hochhält. Deshalb ist die Entscheidung richtig, daß sie in Frankfurt das Hoch'sche Conservatorium – wann wurde daraus das Hoch's Konservatorium? - besucht, von Anfang an unterstützt durch liebe Bekannte, bei denen sie in Frankfurt wohnen darf, wie überhaupt diese Elise von einer engelhaften Art ist, die sich durch ihr liebevolles, äußerst sympathisches Wesen gekoppelt mit höchstem musischem Talent die Zuneigung aller gewinnt.

 

Es ist nicht zum Aushalten. Nach einigen Seiten wollte ich das Buch enttäuscht aus der Hand legen. Mir gehen die auf 'hoch' getrimmte Sprache, die weihevolle Bemühung, sich literarisch auszudrücken, einfach gegen den Strich, weil die Absicht des Autors, Atmosphäre zu schaffen, so aufdringlich, so offensichtlich ist, daß sich in mir alles sträubt, die vom Autor zwanghaft gewollten Gefühle beim Lesen auch zu entwickeln. Das fängt schon im 1. Kapitel auf Seite 15 mit den Tönen an. Die sind “mal laut und lustig, mal leise und traurig, vor allem aber immer spannend.“ Dann geht es um „das Beben“ in der Stimme, um den 'geliebten Wochenendluxus“, , den 'ausgiebigen Mittagsschlaf', die 'warmen Federbetten', das 'alte, etwas schief ans Nachbarhaus gelehnte Fachwerkhaus', den 'kalten' Winter, das 'kleine Feuer'…Der Autor schreibt wie nach dem Lehrbuch für Attribute.

 

Und so geht es weiter, leider auch inhaltlich. Diese Elise hat nur mit hochherzigen Menschen zu tun, so wie sie selber einer ist. Sie lernt einen wunderbaren jungen Mann kennen, kann ihr privates Glück kaum fassen, in das sich die ersten Vorboten von öffentlichem Unheil mischen. Das alles erzählt sie in Briefen ihrer - natürlich geliebten - Großmutter, auch dann noch, als diese gestorben ist. Ein literarisches Mittel, das sich im Buch dann auch irgendwann totläuft, weil man den Eindruck gewinnt, daß der Autor seiner durch ihn selbst erzählten Geschichte nicht traut und die Briefe eine Authentizität suggerieren sollen, die nicht vorhanden ist?

 

Oder ist es so, daß diese Briefe im Original erhalten sind, weshalb sie so uferlos vorkommen? Das wissen wir alles nicht, denn zwischen Fiktion und Wirklichkeit ist keine klare Trennung gezogen. Muß sie auch nicht, wenn hier etwas Lebendiges zwischen den Buchdeckeln beim Lesen geschähe. Aber wir fanden die Sprache in den Briefen wie in den in der dritten Person erzählten Passagen gleich: unecht, gekünstelt, sentimental, ja peinlich absichtsvoll gefühlig, papiern, fade. Also eine ganz und gar nicht lebendige Darstellung, wozu Figuren treten, an deren Entwicklung man das Unheil in Deutschland leider nicht mit Anteilnahme verfolgen könnte, weil ihr Inneres verschlossen bleibt und nur auf der äußeren Handlungsebene etwas passiert, was beschrieben wird. Dabei freuen wir uns ehrlich für jeden, dem es mit diesem Buch anders geht. Dem dieses Buch etwas bedeutet. Denn die Rückseite des Schutzumschlages ist voll des Lobes und auch der Frankfurter Kulturdezernent Felix Semmelroth hat sich dem nachweislich angeschlossen. Wie schön für diese Leute, denn wir freuen uns immer über positive Leseerlebnisse.

 

Umso stärker bedauern wir, daß wir an ihnen nicht teilhaben. Es ist so interessant, die Frankfurter Verhältnisse gespiegelt zu sehen, von der innovative Musikarbeit am Hoch'schen Konservatorium zu hören, musikalisch-gesellschaftliche Zeugnisse, die der Autor dem wunderbaren und leider im Januar verstorbenen Peter Cahn verdankt, wie er im Nachwort berichtet. Es kommt so viel Musik im Buch vor, nur wir hören sie nicht. Das wäre nicht so schlimm, wenn wir die Menschen im Buch fühlen könnten. Und genau daran mangelt es uns am allermeisten. Diese Elise bleibt Papier, der wunderschöne Blonde mit den blauen Augen, Max von Hochem, ihr Freund und Verlobter, alles papiern und unecht, selbst die fiesen verbrecherischen Nazis wie der Frankfurter Gauleiter und speziell sein Adjutant Wulf Sörger. Alles puppenhafte Abziehbilder, aber keine Figuren, deren Handlungsweisen etwas erhellen.

 

Tatsächlich kommen in dem Buch überwiegend solche Prachtexemplare von guten Menschen vor, so daß man immer weniger versteht, wie Dunkeldeutschland entstanden ist. Aber genau das wollen wir ja wissen, wie aus den Nachbarn, den leutseligen, die Denunzianten wurden. Wir verstehen die Absicht des Autors, eines Psychotherapeuten, sehr gut, mit dem, was Elise Hermann geschah, etwas immer noch Verschwiegenes öffentlich auszubreiten, zu diskutieren und verstehbar zu machen, daß wir alle daraus lernen, daß dies nie wieder geschehe.

 

Von daher ist dies die merkwürdigste Gemengelage, der ich mich bei der Besprechung eines Buches je gegenübersah: ich finde den Sachverhalt des Romans zutreffend und interessant, finde, daß man über diese Zeit in Frankfurt reden und schreiben sollte, aber finde FRANKFURT VERBOTEN einfach keine gute Literatur. Ach was, gute, irgendwie gar keine Literatur. Es ist die sprachliche Illustrierung einer gut gemeinten gesellschaftspolitischen-pädagogischen Absicht, die ich im Grunde teile. Aber es wird alles derart trivial, unecht, ja kitschig sprachlich erzählt, daß es mir wehtut. Und wenn da einer Hedwig Courths-Mahler als Vergleich im Munde führt, so stimmt das nun überhaupt nicht. Die hatte banale Inhalte in ihren Liebesgeschichten, hat dies aber sprachlich stimmig ausgedrückt.

 

Hier geht es just um das Gegenteil. Daß hoch Politisches, zutiefst Menschliches durch die sprachliche Gestaltung banal und rührselig wird. Leider ist es auch mit dem gerühmten Zeitkolorit, das das Buch atme, nicht weit her. Wenn im Buch von der Main-Metropole gesprochen wird, ist das heutiger Sprachgebrauch, nicht der der Dreißiger Jahre. Schlimmer noch, daß gleich dreimal – auf den Seiten 237, 302 und 317 – davon gesprochen wird, daß etwas „Sinn mache“. Wenn schon Heutige im Eifer des Englischen nicht mehr auseinanderhalten können, daß 'to make sense' eben nicht bedeutet 'to do sense' und es falsch mit 'Sinn machen' übersetzen, gilt dies nie und nimmer für die Dreißiger Jahre. Aber das sind nur Spitzen, denn die gesamte Sprache ist künstlich, absichtsvoll und ungewollt persiflierend.

 

Wir hoffen sehr, daß die Veranstaltungen im Rahmen FRANKFURT LIEST EIN BUCH die geschichtlichen Inhalte dominieren lassen und nicht die sprachliche Form. Aber, es gibt ja Leute, die das Buch gelungen finden, ja mit Lob geradezu überschütten. Na denn.

 

 

 

P.S. Zum Hoch'schen Conservatorium. Vielleicht ist es günstig für die Studierenden und im Lehrkader kritisch Gesinnten des heute Hoch's genannten Konservatoriums in der Sonnemannstraße, durch das Lesefest von FRANKFURT LIEST EIN BUCH ein Forum für ihre Proteste gewinnen zu können, die sich gegen die Amtsführung des derzeitigen Rektors der renommierten Frankfurter Musikeinrichtung richten. Ja, die Musikstätte lag früher wie im Roman beschrieben an der Eschersheimer Landstraße 4, das klassizistische Gebäude war auf der Rückseite des 100 DM Scheins auch abgebildet, das auf der Vorderseite Clara Schumann zeigt, die am Hoch'schen Konservatorium Dozentin für Klavier war. Es wäre so gut, daß auch die Geschichte dieser Musikausbildungsstätte Stadtthema würde. Und deren Gegenwart.

 

Uns ärgert noch etwas, was wir erst gerade auf der letzten Seite entdeckten. Das Buch ist als Sonderausgabe 2016 in der 1. Auflage herausgekommen, was nahelegt, daß es in diesem Jahr erstmals erschienen ist. Aber schaut man genau hin, dann liest man, daß der Roman schon 2013 erschienen ist, übrigens ohne jegliche Resonanz in Frankfurt und mit einem anderen Titelbild.

 

Wir freuen uns, daß mit dem Weissbooks Verlag auch dieser Frankfurter Verlag bei FRANKFURT LIEST EIN BUCH dabei ist, aber müssen mit Goethe sagen: „So fühlt man Absicht, und man ist verstimmt.“

 

 

 

 

 

Info:

Frankfurt liest ein Buch, Veranstaltungsreihe an gegebenen Orten, 11. bis 24. April 2016

 

Dieter David Seuthe, Frankfurt verboten, Verlag Weissbooks 2016 als Sonderausgabe mit neu gestaltetem Titelbild eines schon 2013 erschienenen Romans

 

DIETER DAVID SEUTHE

Dieter David Seuthe, geboren 1951 in Westfalen, arbeitet als Psychotherapeut. Nach vielen Jahren in Neuseeland lebt er mit seiner Familie seit 2008 wieder in Frankfurt am Main. Frankfurt verboten ist sein erstes Buch.

 

Programm: www.frankfurt-liest-ein-buch.de