Ein neues Standardwerk über die Kollaboration von Nazis und Muslimen, Teil 2

 

Matthias Küntzel

 

Hamburg (Weltexpresso) - Im April 1941 „organisierten muslimische Führer aus Anlass von Hitlers Geburtstag Massenkundgebungen und feierliche Gebete in den Moscheen, zu denen die deutschen Militärbehörden eingeladen wurden.” Ab 1943 nutzen die Nazis auch hier den Islam als politisches Instrument. Motadel hat die hierfür verwendeten Propagandamaterialien im Freiburger Militärarchiv neu entdeckt.

 

Im dritten Teil seiner Studie („Muslims in the Army“) behandelt Motadel die religiös begründeten Sondermaßnahmen für Muslime in deutschen Kampfeinheiten sowie die weltanschauliche Schulung, die diese Muslime durchliefen.

 

Auch hier fördert der Autor neue Quellen zutage: So präsentiert er Propagandazeitungen, die die Nazis zum Beispiel unter dem Titel „Ghazavat“ (Heiliger Krieg) zwischen 1942 und 1945 für muslimische Soldaten erstellten – Zeitungen, die mit Texten, aber auch mit Fotos, Versen und Liedern die muslimischen Soldaten aufzustacheln suchten.

 

Man agitierte gegen die Sowjetunion, gegen Großbritannien und gegen die Juden. Der Palästina-Konflikt erhielt – selbst an der Ostfront! – enormen Raum: „Bilder von Juden als Feinde des Islam wurden oft mit Aufforderungen zur islamischen Solidarität mit den Palästinensern … in Verbindung gebracht… Es wurde oft und in einer übertriebenen Weise über Unruhen in Palästina berichtet. Man stellte diese als Teil eines Globalkonflikts dar, mit dem die Gesamtheit der muslimischen Welt verbunden sei“, schreibt Motadel.

 

Auffällig war darüber hinaus das Bemühen der Propagandaorgane, “die Soldaten über den Islam aufzuklären und die Entwicklung einer islamischen Identität unter ihnen zu befördern.“

 

Dies schien notwendig gewesen zu sein. Motadel zitiert Nazi-Größen, die sich darüber beklagen, dass kaum ein muslimischer Soldat zum Gebet käme, wenn es nicht die Verpflichtung hierzu gäbe. Er zeigt, dass das Alkoholverbot, das die Nazis als vermeintliche Islam-Vorgabe zu garantieren suchten, besonders bei Muslimen aus dem Osten auf Unverständnis stieß.

 

Die „islamische Identität“ war also oftmals nicht vorhanden, sondern musste von den Nazis erst geschaffen werden. Und es war auch nicht irgendeine „islamische Identität“, die die Deutschen ihren muslimischen Vollstreckern aufzudrängen suchten, sondern man war davon überzeugt, „dass für die militärischen Imame nur eine enge Auslegung des Islam geeignet sei”, eine Auslegung, die zugleich den Hass auf Juden zum Kernbestand islamischer Identität erklärt.

 

 

An erster Stelle Antisemitismus

 

Hinterließ diese Indoktrination Spuren in der islamischen Welt? Motadel lässt uns in dieser Hinsicht allein. Die Frage, ob die Ergebnisse seiner Recherchen dazu beitragen können, den Antisemitismus und die Krise des gegenwärtigen Islam besser zu deuten, wird von ihm nicht gestellt.

 

Stattdessen wählt Motadel einen anderen interpretativen Rahmen und einen anderen Gegenwartsbezug: Er betrachtet die Islampolitik der Nazis als eine „Episode“ in einer langen Geschichte der Versuche nicht-muslimischer Großmächte, den Islam für die eigenen strategischen Interessen zu instrumentalisieren, und führt als jüngeres Beispiel den in den 1980er Jahren von den USA geförderten Dschihad gegen die Sowjets in Afghanistan an.

 

Vielleicht liegt es an dieser Einordnung, dass Motadel den ideologischen Faktor herunterspielt: „Es war die militärische Situation, die zu Deutschlands Kampagne für eine islamische Mobilisierung geführt hat“, behauptet er. „Ideologische Erwägungen spielten nur eine marginale Rolle.”

 

Dies ist wenig überzeugend. So setzte die pro-islamische Wende der deutschen Nahostpolitik im Sommer 1937 anlässlich des britischen „Peel-Plans“ ein. Bereits im Mai 1938 schwor Goebbels die deutschen Medien auf eine islamfreundliche Einstellung ein. Zur selben Zeit veröffentlichte ein Nazi-Verlag den Aufruf „Islam-Judentum“ des Muftis von Jerusalem. Im April 1939 begann Radio Zeesen sein islamfreundliches, arabischsprachiges Programm. Dies zeigt, dass die islamfreundliche Politik der Nazis schon vor Beginn des Krieges begann, also unabhängig von militärischen Erwägungen.

 

Es ist zwar richtig, dass Hitler seine rassistische Ideologie hintan stellen musste, um die Kooperation mit Muslimen zu ermöglichen. Doch war auch diese Prioritätensetzung ideologisch motiviert: Der antiarabische Rassismus hatte sich dem antisemitischen Gesamtkonzept der Nazis unterzuordnen.

 

Dessen ungeachtet hat Motadel eine wichtige Studie geschrieben, die das Wissen über die Geschichte des Zweiten Weltkriegs erheblich erweitert. Er hat eine beispiellose Menge an Material zu einem gut lesbaren Buch verarbeitet. Es ist ein Standardwerk, an dem sich künftige ForscherInnen werden abarbeiten müssen.

 

Ob es eine Übersetzung ins Deutsche geben wird? Die Chancen stehen schlecht.

 

 

 

 

Foto:

Der Großmufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini, und Hitler

In Deutschland ist wenig bekannt, wie weit dessen Kumpanei mit den Nazis ging. Er lebte ab 1941 in Berlin, was Mitglied der SS und maßgeblich beteiligt daran, Muslime für die Waffen-SS zu gewinnen sowie für die Ausbreitung des modernen Antisemitismus in der arabischen Welt.

 

 

 

 

Info:

 

David Motadel: Islam and Nazi Germany’s War, The Belkap Press of Harvard University Press 2014. 512 Seiten, 30,00 Euro.

 

Veröffentlicht in: iz3w, Ausgabe 353, März/April 2016