"Wer war Alice" als Buch bei Goldmann, als Hörbuch im Hörverlag, Teil 1

 

Elisabeth Römer

 

Hamburg (Weltexpresso) - „Roman“ steht auf dem Titel, der T.R.Richmond als Autor ausweist, wobei schon die Rückseite von „einem überwältigenden Debüt“ spricht, innerhalb von Millionen von Psychothrillern. Aha. Und wenn dann noch die wirklich berühmte Nicci French äußert: „Was für eine wundervolle neue Stimme. Es war ein Vergnügen, einen Thriller zu lesen, der so ambitioniert und so voller Emotionen und Spannung ist. Bravo!“, dann muß das einfach hinhauen.

 

Tut es aber nicht, oder doch nur zur Hälfte, denn uninteressant ist er nun auch wieder nicht, dieser Erstling von einem Autor, der bisher, so heißt es, als preisgekrönter Journalist unterwegs war. Die Frage WER WAR ALICE, übrigens ohne Fragezeichen, stellt übrigens nur der deutsche Titel, denn der englische lautet: „What She Left“ und genau darum geht es, wenn nun nach dem Tod dieser 25jährigen Alice, den sie im Wasser fand, gerätselt wird, ob es sich um einen Freitod, einen Unfall oder um Mord handelt.

 

Nicht neu, aber noch nicht in dieser Dimension angewandt sind nun die literarischen Mittel, mittels derer geklärt werden soll, wer diese Journalistin Alice war, um über ihren Tod die Wahrheit zu erfahren: Emails, nicht verschickte Emails, Emailentwürfe, Voicemails, Online Foren, Briefe, Twitter-Biographien und gezwitscherte Kurzachrichten, Blogs mit Einträgen und Kommentaren, SMS-Verläufe, Tagebucheinträge von Alice, Zeitschriftenartikel, Zeitungsartikel, Onlinezeitungen, von Anwälten verlesene Erklärungen, spezielle Artikel, die von der Toten in ihrer Ausbildung oder als angestellte Journalistin – Chefreporterin des Southhampton Messenger - veröffentlicht wurden, Abschriften von Laptop Aufzeichnungen, Grabreden zu ihrer Beerdigung, Abschrift eines Hörergesprächs im Radio.

 

Warum es nötig war, diese Rede-und Schreibformen alle aufzuzählen, hat damit zu tun, daß diese literarischen Formen alleine die Geschichte erzählen, weil es darüberhinaus keinen Erzähler gibt, weder einen auktorialen noch einen neutralen. Ach so, richtig, das wäre noch nicht alles. In der Erzählperspektive unterscheidet man zusätzlich zwischen personaler – dann nämlich, wenn in der 3. Person unterschiedliche Personen im Werk zu Wort kommen – und der Ich-Perspektive, die nicht mit der auktorialen Sicht außerhalb der fiktionalen Welt verwechseln werden darf. Hier spricht jeder in seinem eigenen Medium.

 

In diesen literarischen Formen – die letzte am, 30. Juni 2013 - entschlüsselt sich also die Welt der Alice Salmon, die am 7. Juli 1986 geboren wurde und am 5. Februar 2012 aus dem Wasser des Flusses gefischt wird. Wir Leser sollen also aus den willkürlich erscheinenden Beiträgen von Familie, Freunden, Kollegen und der Toten selbst uns einen Reim machen, was erschwert wird dadurch, daß diese jeweiligen Aufzeichnungen nicht zeitlich linear geboten werden, sondern in der Zeit springen. Oft wird auch an einer Stelle eine der Kommunikationsformen abgebrochen und an späterer Stelle wieder aufgenommen. Doch, grundsätzlich ist das schon eine interessante Sache, auf diese Weise sich der Aufklärung eines Verbrechens (?), auf jeden Fall dem Psychogramm einer jungen Frau zu nähern, denn dieses Hin und Her erzeugt durchaus so etwas wie Spannung, was schon vom Wechsel der jeweiligen Sprecher/Schreiber herrührt, über die wir uns Gedanken machen müssen, wie sie zur Person Alice stehen und ob sie etwas mit ihrem Tod zu tun haben.

 

Höchste Zeit über die Person und den Inhalt des Romans zu sprechen, obwohl das Neue tatsächlich in seiner Form liegt. Alice Salmon war also 25 Jahre, als sie zum Klassentreffen kommt, mit den Freunden einen Spaziergang macht und mittendrinnen verschwindet und noch in der selben Nacht ihren Tod findet. Als Journalistin war sie überall vernetzt, darum ruft auch ihr Tod das Internet auf den Plan, schnell wird ihr Ableben bekannt und es häufen sich die Theorien von Selbstmord über Unfall bis Mord. Einer äußert sich besonders engagiert, ihr Professor Jeremy Cooke, er wird ein Buch mit dem Titel WER WAR ALICE? ((mit Fragezeichen!) im September 2013 veröffentlichen, dessen Bestandteile wir hier schon lesen können. Natürlich macht ihn das verdächtigt, aber der geübte Krimileser weiß, daß die oberflächlich Verdächtigen von Autoren gerne als Alibi benutzt werden, um den eigentlichen Mörder durch unsere Aufmerksamkeiten durchschlüpfen zu lassen.

 

So ist es auch hier und natürlich verraten wir nichts und geben auch zu, daß eine der von uns Verdächtigten nicht die Täterin war. Wenn es ein Mord war. Uns fiel nämlich auf, daß der Professor, der mit seinen Beiträgen auch dieses Buch trägt, eine Frau hat, von der er dauernd spricht, die aber keine eigene Stimmer erhält, aber durchaus am Geschehen mehr als interessiert ist: ist doch Alice, in die unser Professor schon vernarrt ist, als er sie das erste Mal als seine Studentin erlebt, just die Tochter der Frau, mit der er eine handfeste Affäre hatte, als es die Ehefrau schon gab. Die Vergangenheit ist also notwendigerweise im Fokus, wenn ein Selbstmord/Unfall/ Mord aufzuklären ist.

 

Das sollen Sie aber selber tun und das zwar überschaubare, aber komplizierte Liebesleben der jungen Frau mitdurchforsten, ob dort Tatmotive lauern. Womit wir grundsätzlich Probleme hatten beim Lesen, war das Ausmaß des Saufens und Betrunkenseins unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen, mit Alice an der Spitze, die damit wiederholt, was ihre Mutter schon in jungen Jahren zur Alkoholikerin machte. Die war später 'clean', aber wie sich das Schicksal der Mutter ohne deren Reflex in der Tochter wiederholt, ohne daß man einen mütterlichen Gegeneinfluß spürt, das verwundert und hat uns zum Schluß sehr viel mehr mitgenommen als die Aufklärung, wer Alice war.

 

P.S. Ach so, warum uns die literarischen Formen aufzuzählen wichtig war, liegt darin begründet, daß es ab irgendwann langweilig wurde, den vielen Hinweisen in Form und Personen nachzugehen, es wurde zu unübersichtlich, zu langatmig, uns fehlte tatsächlich ein Erzähler! Es fehlten die Figuren, die hier durch ihre schriftlichen Testate Leben verkörpern sollen.

 

 

Info:

 

T.R. Richmond, Wer war Alice, Goldmann Verlag 2016

T.R. Richmond, Wer war Alice, gekürzte Lesung mit Josefine Preuß, Walter Kreye, Hörbuch MP3-CD, Laufzeit 8 Stunden 15 Minuten, der Hörverlag 2016

 

Wir haben wieder einmal mit Lesen und Hören abgewechselt, wobei diesmal die Schriftform einem erleichtert, sich sofort zurechtzufinden, weil die graphische Form von Emailkontakten beispielsweise das Hirn schneller orientiert, als wenn von Emails gesprochen wird. Wir betonen das, weil je nach Krimi, sehr oft das Hören eindrücklicher als das Lesen ist, beispielsweise wenn sehr viele Dialoge vorkommen.