über seinen Thriller "Wer war Alice" als Buch bei Goldmann, als Hörbuch im Hörverlag, Teil 2
vom Verlag
München (Weltexpresso) – Das machen wir leider viel zu selten, Verlagsveröffentlichungen weiterzugeben. Dies Interview ist – leider namenlos – im Goldmannverlag veröffentlicht worden. Und da es angesichts dieser neuen literarischen Form unsere Rezension äußert sinnvoll ergänzt, drucken wir es hier ab. Die Redaktion
Wie kamen Sie auf die Idee für “Wer war Alice”?
Die ursprüngliche Idee kam mir, als ich einen Tweet las, in dem jemand schrieb, welches Lied auf seiner Beerdigung gespielt werden soll. Der Tweet war von jemandem, den ich nicht kannte, dem ich niemals begegnet bin. Mir kam es bizarr und sehr intim vor, so etwas von einem Fremden zu erfahren. Aber es machte mich auch nachdenklich, und ich fragte mich, was ich sonst noch über diese Person über Twitter erfahren könnte. So kam ich zu der Idee, einen Spannungsroman über eine junge Frau und deren Spuren, die sie digital und auf Papier hinterlässt, zusammenzustellen, fast wie ein Puzzle habe ich die Teile zusammengebracht. Das gewünschte Lied war übrigens „Angels“ von Robbie Williams.
In Ihrem Roman nutzen sie eine ganz besondere Technik, um die Geschichte von Alice zu erzählen. Er ist aus verschieden Perspektiven geschrieben und zitiert verschiedene Quellen, sodass der Leser selbst auf die Spur der verstorbenen Alice geführt wird. Wie sind Sie auf diese Art des Erzählens gekommen?
Mir ist bewusst, dass sich die Art zu kommunizieren in den letzten 25 Jahren stärker verändert hat als jemals zuvor. Information erreichen uns in kleinen Häppchen, Nachrichten bekommen wir aus einer Vielzahl von verschiedenen Quellen, sodass wir daran gewöhnt sind, selbst unsere Rückschlüsse zu ziehen, sogar unterbewusst. Ich dachte mir, dass es keinen Grund dafür gibt, dass eine Erzählung dies nicht auch widerspiegeln könnte. Außerdem wollte ich von einer 25-Jährigen erzählen, die als Teil der Facebook-Generation aufgewachsen ist. Sie und ihre Freunde würden natürlich elektronisch miteinander kommunizieren, unter anderem durch E-Mails, über Blogs oder in Foren. Und ich wollte verschiedene Ich-Erzähler-Perspektiven nutzen, weil es für mich die „ehrlichste“ Erzählweise ist. Immerhin sind wir alle die Erzähler unseres Lebens. Unsere eigene Einschätzung von Ereignissen und unsere Sicht der Welt scheinen uns heilig zu sein, obwohl sie oft nicht der Wahrheit entsprechen. Wir alle sind daher teilweise auch unverlässliche Erzähler. Deshalb gibt es auch so viele Grauzonen, und angebliche Fakten können schnell bezweifelt werden. Letztlich sollten Romane auch mit der Zeit gehen und Veränderungen wiedergeben. Es gibt nur eine Regel: Die Leser müssen es spannend finden.
Die Informationsverbreitung und auch daraus resultierende Spekulationen im Internet nehmen in Ihrem Buch einen großen Stellenwert ein. Ein Denkanstoß für die Leser?
Ja, definitiv. Wenn ein junger Mensch stirbt oder verschwindet, dann ist es immer eine Tragödie für dessen Familie und Freunde, aber es kann auch zu einer nationalen Besessenheit führen. Die Öffentlichkeit kann einen unersättlichen Appetit entwickeln, mehr über einen Fall zu erfahren, und die Medien versuchen dieses Verlangen zu befriedigen. Ein unhaltbar reißender Strom kann erzeugt werden – jede neue Entwicklung eines Falls wird in der Öffentlichkeit breit getreten, Neuigkeiten entfachen das Verlangen nach weiteren Neuigkeiten, und die Grenze zwischen Realität und Fiktion verschwimmt manchmal auf unangenehme Weise. „Wer war Alice“ sollte sich nicht nur wie ein Roman anfühlen, sondern wie eine Meldung, die sich zu einer großen „News Story“ entwickelt.
Meine Hauptfigur ist Alice Salmon, eine intelligente, etwas komplizierte 25-Jährige, die nach dem Ende einer langen Party-Nacht mit Freunden, stirbt. Tragischerweise eine nur zu bekannte Geschichte. Ein junger Mensch trifft sich nach langer Zeit wieder mit alten Freunden von der Uni. Alle in bester Stimmung. Der Alkohol fließt. Und sie kommt am Ende nicht wieder nach Hause zurück. Und dann beginnen die Spekulationen, weil es keine Fakten gibt. Theorien werden aufgestellt, Gerüchte verbreiten sich. Plötzlich glaubt jeder Alice zu kennen. Aber wieviel von dem, was wir lesen und hören, können wir glauben? Ich wollte, dass die Leser bei den Ermittlungen direkt dabei sind. Dass sie die Möglichkeit haben, ihre eigenen Untersuchungen einzuleiten, sich ein eigenes Bild zu machen. An ihrer Seite ist dabei Professor Cooke, ein Dozent an Alice’ ehemaliger Uni, der ebenfalls Informationen über sie sammelt.
Hatte ihr Beruf als Journalist Auswirkungen auf ihr Buch?
Absolut. Die Medien befinden sich derzeit in einer Art ständigem Wandel, sie sind mitten in einer Identitätskrise und müssen herausfinden, was ihre Rolle im Zeitalter des Internets sein könnte.
Heutzutage kann jeder seine Meinung öffentlich machen, sodass die Grenze zwischen Journalisten und einem einfachen Diskussionsteilnehmer oft verschwimmt. Ein Einzelner, der 10.000 Twitter-Follower hat, kann so viel mehr Einfluss haben als jemand aus den Medien mit derselben Anzahl an Followern.
Das ist zugleich gut und schlecht. Das Monopol der traditionellen Medien ist gebrochen, und man kommt überall an Nachrichten. Aber in diesem großen Wettbewerb kann es schwierig sein zu wissen, wem man trauen und glauben kann. Journalisten haben es eigentlich, bis auf wenige schreckliche Ausnahmen, immer geschafft, akkurate, zeitnahe und ausgewogene Informationen zu liefern.
Was die Öffentlichkeit angeht, befinden wir uns in einer Übergangsphase, weil die Menschen gerade erst lernen, dass sie eine Verantwortung für die Informationen haben, die sie teilen. Nicht jeder ist sich im Klaren darüber, dass wenn man einen viel gelesenen Blog betreibt, man denselben Regeln unterliegt, was zum Beispiel Verleumdung angeht, wie diejenigen, die in den Medien arbeiten.
Wie nutzen Sie selbst das Internet und die sozialen Medien?
Ich nutze die sozialen Medien gern und bin ein großer Fan von Twitter. Dadurch bin ich immer informiert, aber es bringt mich auch zum Lachen und ist für mich ein direkter Draht zu meinen Lesern. I twittere unter @trrichmondbooks, aber auch immer noch unter @timrelf. Und dann habe ich auch noch einen beruflichen Zugang. Wahrscheinlich hab ich es nicht anders verdient unter einer Online-Identitätskrise zu leiden. Das ist wohl so, wenn man ein Buch schreibt, das sich mit digitalen Identitäten beschäftigt. Aber das große Problem am Internet und den sozialen Medien ist, dass es eine gefährliche Ablenkung sein kann – und das letzte, das ich brauchen kann, ist Ablenkung.
Haben Sie bereits Ideen für ihr nächstes Buch?
Die ganze Erfahrung, die ich mit „Wer war Alice“ gemacht habe, war überwältigend. Es gab so viele unvergessliche Momente, aber letztlich ist für mich das Spannendste daran das Schreiben selbst. Es juckt mir förmlich ständig in den Fingern. Also, ja, ich schreibe bereits an einem neuen Buch. Ich habe aber auch immer noch einen „normalen“ Beruf, den ich täglich ausübe, sodass ich jeden Morgen um fünf Uhr aufstehe, weil es die produktivste Zeit des Tages für mich ist, und dann schreibe ich für zwei Stunden an meinem Roman. Natürlich bedeutet das frühe Aufstehen auch, dass ich abends völlig erschöpft bin. Nach neun Uhr bin ich einfach nicht mehr zu gebrauchen und schlafe meistens bereits auf dem Sofa vor dem Fernseher ein.
Info:
T.R. Richmond, Wer war Alice, Goldmann Verlag 2016
T.R. Richmond, Wer war Alice, gekürzte Lesung mit Josefine Preuß, Walter Kreye, Hörbuch MP3-CD, Laufzeit 8 Stunden 15 Minuten, der Hörverlag 2016
Wir haben wieder einmal mit Lesen und Hören abgewechselt, wobei diesmal die Schriftform einem erleichtert, sich sofort zurechtzufinden, weil die graphische Form von Emailkontakten beispielsweise das Hirn schneller orientiert, als wenn von Emails gesprochen wird. Wir betonen das, weil je nach Krimi, sehr oft das Hören eindrücklicher als das Lesen ist, beispielsweise wenn sehr viele Dialoge vorkommen.