Katherine Pancol, MUCHACHAS von carl's books, Teil 1

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Nein, wir kannten die französische Autorin nicht, waren über das Titelbild verblüfft, das Frauen im Schattenriß zeigt, die geigen, lesen, Fahrrad fahren und mit großen Tüten vom Einkaufen kommen und von Blumen umringt sind wie auf einer Biedermeiertasse, von Frühlingsblühern wie Anemonen, aber auch Eicheln, bunt und lebensfroh.

 

Es war wirklich der Titel, der uns verführte. Und dann auch das Vorhaben, eine Trilogie so durchzuziehen, die im März beginnt und im Mai schon abgeschlossen ist. Darum kommt diese Besprechung gerade recht, denn das Folgebuch kommt bald!

 

Wir wollten den ersten Teil TANZ IN DEN TAG also lesen und waren dann beim Lesen ein zweites Mal verblüfft. Wir dachten, wir sind im Kino, wenn es mit Hortense in New York losgeht, einem seltsamen, so naiv wie ausgekochtem weiblichen Früchtchen. So eine Person ist uns in der Literatur der Gegenwart noch nicht vorgekommen, eher wie aus einer Lifestyle-Illustrierten ausgeschnitten und dann bunt angemalt. Eine Frau, die im Zentrum ihrer selbst rotiert und allein das im Auge hat, was man heutzutage die Verwirklichung seiner, bzw. ihrer selbst nennt. Denkt man, denn ihre Gedanken und ihre Gefühle kreisen darum, wie sie die im Kopf phantasierten Farben und Formen am besten in eine aufregende Kollektion aufregender Kleider gestalten kann. Sie ist von ihrer Kreativität und ihrem zukünftigen Erfolg so was von überzeugt.

 

Denkt man; sozusagen ein zweites Mal nur halbrichtig, denn längst ist ja Gary im Spiel. Ein Mann also. Natürlich und auch er ein Ausbund von Kreativität, allerdings auf einem anderen Gebiet. „Gary liegt auf dem Bett, er hat Kopfhörer auf den Ohren und schlägt mit seinen großen Füßen den Takt. Eine Socke schwarz, die andere rot. Eins, zwei, drei, vier, Viertelpause, fünf, sechs, sieben, acht. Ganze Pause, Triole, Achtelpause, neun, zehn.“, heißt es gleich auf der ersten Seite. Der Mann ist also Komponist und leicht weltfremd, also genau das Liebesobjekt für jede tüchtige Frau, die einem solchen Mann nicht nur Geliebte, sondern Mutter und die ganze Welt sein will und soll. Und wenn es dann weitergeht mit der Beschreibung dessen, was er anhat und die Modefirmen genannt werden sowie weitere Produkte aus dem Besserwohnen und -Besserleben, so muß man unwillkürlich an – auf Neudeutsch - Product Placement denken, also an Schleichwerbung, neben der das Werbefernsehen ein Kinderprogramm ist.

 

Ich habe Talent, ich bin brillant, ich habe einen Abschluß von Saint Martins, ich habe mir bei Gap und anderswo die Sporen verdient. Mir fehlen nur das nötige Geld und die richtigen Beziehungen...ein reicher Ehemann. Ich habe keinen reichen Ehemann. Ich will einen reichen Ehemann.“, lese ich dann. O Gott, wo bin ich denn da gelandet und das ist doch erst die dritte Seite. Wir erleben auf der Suche nach seiner fehlenden Note einen durchsetzungsfähigen Gary, man könnte auch Oberegoist zu ihm sagen, denn er läßt seine geliebte Hortense im Regen stehen, während er sich im Café Sabarsky mit Schwarzwälderkirschtorte vollstopft und in der unscheinbaren Bedienung seine Mitschülerin an der Musikschule erkennt, die phänomenal Geige spielt – und die auf einmal in seinen Augen schön wird, vor allem ihm die Notenfolge D,F,A, Gis ins Hirn träufelt, wie er nun denkt.

 

Und wir denken, au weia, sticht die fade Brünette jetzt die rasante Schwarze aus und in welche moderne Courths-Mahler Geschichte sind wir denn hier geraten, denn bis Seite 48 verfolgen wir Hortenses Schritte, die sie, ohne Einladung in der Tasche, zur angesagten Prada-Party führen, wo nun endlich ihr weibliches Credo in Worte gefaßt wird: „Sie kennt das Spiel in- und auswendig, und niemals, niemals hat sie eine Partie verloren.“ Es geht um die starken Frauen, die durch ihr selbstsicheres Auftreten alle für sich gewinnen, aber wehe, wenn sie unsicher werden, wie es gerade Hortense geschichet, schon ist es um das selbstsichere Auftreten geschehen und die erste Niederlage ist da. Sie wird am Eingang abgewiesen und nur, weil ihre Vermieterin mit richtiger Einladung des Weges kommt, nimmt sie als Trittbrettfahrerin an der Party dann doch teil. Daraus hat sie gelernt. Nie wieder auf der Verliererinnenseite stehen.

 

Das mußten wir einfach so ausführlich darstellen, weil wir das Buch in die Ecke werfen wollten und dann Stella kennenlernten und uns übergangslos in einer Gegenwelt befinden, wo eine mißbrauchte junge Frau sich nicht zum Opfer machen läßt, sondern auf dem Schrottplatz ihrer Freundin Julie den Laden schmeißt und so sich und ihr Kind durchbringt. Wir sind in Frankreich, irgendwo auf dem Land und erst verwirrt und dann gespannt lesen wir von schlimmen menschlichen Verhältnissen, die in der Person der Mutter von Stella, Léonie kulminieren, die von ihrem Mann Ray Valenti eingesperrt, unaufhörlich geschlagen und vergewaltigt wird, der nach außen als Feuerwehrmann den gute Helfer mimt.

 

Obwohl man zwischendrinnen glaubt, daß nun unaufhörlich zusammenhanglos weitere Frauenschicksale folgen, so bettet sich doch alles Neue ein in die Geschichte der Tochter Stella, die längst die Geschichte der Familie, vor allem der von Léonie geworden ist. Das wollen wir gar nicht weiter ausführen, sondern nur betonen, daß wir staunend die Wendungen im Buch mitvollziehen und auf einmal auch die vielfachen Personen – Joséphine, Philippe, Henriette, Iris, Zoè, Alexander... vorläufig einordnen können, die mit Namen benannt, erst einmal noch keine eigene Geschichte besaßen, nun aber beim Weiterlesen bis Seite 345 deutlich machen, daß es um ein großangelegtes Tableau von Menschen geht, die alle miteinander verbunden sind, ohne daß wir die Einzelheiten, den Familienverbund oder den inneren Zusammenhang schon genau wüßten. Und – große Überraschungen – dahinein gehören auch unsere beiden New Yorker Hortense und Gary, von denen wir nichts mehr gehört hatten, was sich sicher in der Fortsetzung im April ändern wird, auf die wir nun ehrlich gespannt sind, so raffiniert hat uns widerspenstige Leserin die Autorin Katharine Pancol eingewickelt.

 

Und das ist wirklich eine Kunst, bei der Abwehr, die wir nach den ersten langen Seiten entwickelt hatten. Im April also als zweiten Band KOPFÜBER INS LEBEN und im Mai als Abschluß der Trilogie NUR EIN SCHRITT ZUM GLÜCK. Aber, wenn wir diese Titel lesen, wird uns wieder etwas bang, denn Triviales oder Banales – und so klingen die Titel – können wir einfach nicht lesen. Aber alles, was so weitergeht, was die Geschichte der Familie Valenti bisher erzählt, werden wir fasziniert verfolgen. Daß die Autorin in die Darstellung des Lebens ihrer Protagonisten so viele literarische Anspielungen, Reflexionen über Kunst, insgesamt Kulturgeschichtliches unterbringt, ist mehr als eine Ausschmückung der Geschichte, sondern zeigt die zutiefst europäische Lebensart, die in diesem Roman zum Ausdruck kommt, auch da, wo es um schlimme Verhältnisse geht.

 

Info:

 

Katherine Pancol, MUCHACHAS – Tanz in den Tag, carl's books, März 2016

 

Der Verlag schreibt über die Autorin, die 1954 in Casablanca geboren wurde, seit der Kindheit in Frankreich lebt, daß sie dort einen beispielhaften Aufstieg zum 'Phänomen Pancol' vollzog, deren Ursache in ihrer JoséphineTrilogie liegt.