Mit der Neuedition von August Wilhelm Ifflands "Komet" schießt ein "un(ter)irdischer" Klassiker wieder empor

 

Alexander Martin Pfleger

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Ein Leser, der das Abenteuer scheut, könnte unter Umständen Schopenhauers Mahnung, nur Gutes und nichts Schlechtes zu lesen, da Zeit und Kräfte begrenzt seien, als Begründung anführen, weshalb er von einer Lektüre dieses Bändchens abzusehen gedächte.  Auch dürfte es denkbar sein, dass er Marcel Reich-Ranickis Bekenntnis ins Spiel brächte, sich mehr für die Nebenwerke bedeutender Autoren denn für die Hauptwerke unbedeutender zu interessieren - die Konsequenzen für die Nebenwerke der Unbedeutenden wären somit absehbar.

 

Wenn man nun - trotz oder gerade wegen des nicht unbeträchtlichen historischen Abstandes - unbedingt der Kategorien von "gut" oder "schlecht", "bedeutend" oder "unbedeutend" sich zu befleißigen bemüßigt fühlte, fiele es gewiss nicht schwer, August Wilhelm Ifflands "Komet" der letzteren Rangstufe zuzurechnen - den Hauptwerken bedeutender Autoren hingegen mitnichten. In der Tat wird der 1759 in Hannover geborene und 1814 in Berlin verstorbene Iffland nicht zu den Heroen der deutschsprachigen Dichtung gezählt, und selbst dem Fachmann ist er heutzutage vorwiegend bloß namentlich und in Verbindung mit seinem Konkurrenten August von Kotzebue als Exponent goethezeitlicher Trivialdramatik geläufig - sowie als Namensstifter des einer Legende zufolge einst in seinem Besitze befindlichen Ifflandringes, der von dem jeweils bedeutendsten deutschsprachigen Schauspieler der Zeit getragen und seinem Nachfolger vermacht wird.

 

Ein Blick in den Kindler, worin er immerhin noch mit seinen Schauspielen "Die Jäger" (1785) und "Die Spieler" (1796) vertreten ist, oder in literaturgeschichtliche Werke, führt dem aufgeschlossenen Zeitgenossen vor Augen, dass man Iffland durchaus von Kotzebue positiv zu unterscheiden und ihn im Vergleich zu dem Jüngeren als den letztlich doch Gehaltvolleren darzustellen bemüht war, wohl auch aufgrund seiner Freundschaft mit den Weimarer Kollegen - Iffland kannte Friedrich Schiller von seiner Mannheimer Zeit her, spielte in der Uraufführung der "Räuber" den Franz Moor und setzte sich als Theaterdirektor in Berlin, als seine eigenen bürgerlichen Rührstücke aus der Mode zu kommen begannen, mit Erfolg für die klassische Versdramatik Goethes und Schillers ein. Goethe wiederum revanchierte sich bei Iffland, indem er dessen "Jäger" zur Eröffnung des Weimarer Theaters aufführen ließ und sich überdies durchaus lobend über dessen Lustspiel "Die Hagestolzen" (1791) äußerte, wenngleich mit gewissen Einschränkungen: es sei das einzige seiner weit über 60 Dramen, in dem er sich aus der Prosa ins Ideelle erhöbe. Nun ja!

 

Der 1799 erschienene "Komet", eine Posse in einem Aufzug, sieht auf den ersten Blick nicht so aus, als wäre er einer der Texte Ifflands, die noch nach 200 Jahren dem Leser oder gar dem Zuschauer ein besonderes intellektuelles Erlebnis zu vermitteln vermöchten. Thematisch haben wir es hier mit einem offensichtlichen Tartüffe-Ableger zu tun, einer von vielen dramatischen Studien zur menschlichen Torheit. Der betrügerische Chirurgus Krappe schleicht sich in den Haushalt des leichtgläubigen Buchbinders Balder ein, um sich die Hand seiner Tochter Justine zu erschleichen. Es gelingt ihm, den Hausherrn mit einer Weltuntergangsprognose zu täuschen und für sich einzunehmen: Ein Astronom in Paris habe errechnet, dass am 18. Oktober um zehn Uhr Abends ein Komet die Erde treffen und zerstören werde. Das Beste sei es, von nun an dem irdischen Treiben zu entsagen und sich auf das Jüngste Gericht gefasst zu machen.

 

Balder lässt sich von Krappes Darlegungen umgarnen, vernachlässigt seine Arbeit und verbraucht sein gesamtes Vermögen, bis er schließlich am Abend des vermeintlichen Jüngsten Tages buchstäblich nichts mehr besitzt, und verspricht dem Betrüger, ihm seine Tochter noch kurz vor dem Weltende zur Frau zu geben. Mutter und Tochter Balder erweisen sich hingegen in ihrer Haltung gegenüber den Theoremen des Chirurgen eher schwankend - gegenüber dessen Person empfindet Justine von Anfang indes nur Ablehnung und hofft sehnlichst, dass ihr Geliebter, der reiche Advokat Grünstein, der Krappe stets für einen Scharlatan hielt, sie vor dieser unangenehmen Liaison zu bewahren wisse.

 

In der Tat gelingt es Grünstein, nachdem alle Versuche, Vater Balder zur Vernunft zu bringen, gescheitert sind, den Schwindler zur unfreiwilligen Selbstdemontage zu veranlassen: Krappe gerät nach immer bohrenderen Fragen in Zugzwang und sieht sich genötigt, sein kosmologisches Modell mit Wassereimern und Papierbögen zu veranschaulichen, verstrickt sich dabei aber so sehr in Widersprüche und Ungenauigkeiten, dass selbst Balder der Kragen platzt. Krappe bekennt schließlich, in der Tat sein Geschäft mit den Ängsten der Menschen gemacht zu haben - so wie unzählige andere auch. Bezeichnete man ihn jedoch als wahrhaften Scharlatan, wie dies Grünstein tat, so täte man ihm zuviel der Ehre an - als solcher befände er sich in einer ganz anderen Situation als der momentanen, und niemand wagte es, ihn also zu benennen. Nachdem er sich mit der Bitte, ihm nicht weiter böse zu sein, empfohlen hat, spricht Balder Justine Grünstein zu und beginnt sogleich, sich in die Arbeit zu stürzen, um der von ihm verschuldeten wirtschaftlichen Notlage Abhilfe zu schaffen.

 

Inhaltlich scheinbar nicht von besonderer Originalität, vermag dieses kurze Stück in sprachlicher Hinsicht heutzutage immer noch zu überzeugen. In Balders Wortgefechten mit Frau und Tochter, vor allem aber mit einem Gerichtsdiener, der ihn wegen noch ausstehender Rechnungen und Dienstleistungen zu vernehmen sucht, entfesselt Iffland einen Furor aberwitziger Komik, dessen Wirkung auch in unserer Zeit noch ungebrochen ist. Dass aber der "Komet" über treffsichere Situationskomik hinaus noch wesentlich mehr zu bieten hat als allgemein menschliche Beliebigkeiten, beweisen Claude D. Conter und Johannes Birgfeld, die ihn hier als zehnten Band der Reihe "Theatertexte" des Laatzener Wehrhahn Verlags herausgegeben haben, in ihren ausführlichen Kommentierungen sowie in Vor- und Nachwort und einem ausführlichen Dokumentationsteil zur Rezeptionsgeschichte.

 

Mit der Wahl des Kometenthemas nahm Iffland auf spielerische Weise teil an zentralen astronomischen und philosophischen Debatten seiner Zeit. Vor dem Hintergrund aufklärerischer Diskussionen über die Vernünftigkeit der Welt, die man insbesondere in der vermeintlich harmonischen, wohldurchdachten Struktur der Sternen- und Planetenwelt manifestiert sehen wollte, war die Furcht vor dem Einschlag eines Kometen eine höchst mehrdeutig besetzte Angelegenheit. Einerseits widersprach sie den Vorstellungen prästabilierter Harmonie - sei diese nun eine Folge vernünftigen göttlichen Wirkens oder des Waltens außergöttlicher Kräfte der Vernunft -, andererseits hatte nicht zuletzt das Erdbeben von Lissabon manchen Zeitgenossen in seiner aufklärerischen Selbstzufriedenheit in Aufruhr versetzt und an der Vernünftigkeit des Weltenbaus zweifeln lassen. Der "Komet", ein Werk, das in seiner Zeit freilich nur wenig Aufsehen erregte, sich aber gleichwohl auf der Bühne lange Zeit zu behaupten wusste, liefert unter diesem Gesichtspunkt nach Auffassung der Herausgeber eine Art Bilanz des Standes der Aufklärung um 1800 herum. Hieraus erklärt sich vielleicht auch die eigentümliche Faszination, wenn nicht gar Irritation, die stets von diesem Nebenwerk ausging und es im Laufe der Zeit zu einer Art von wirkungsgeschichtlichem Stehaufmännchen, um nicht zu sagen: zu einem literaturgeschichtlichen Überlebenskünstler werden ließ - vielleicht, weil man unbewusst ahnte, dass Iffland hier wesentlich ernstere Dinge berührte, als offen zutage lag.

 

Das Werk überlebte in verschiedenen Ifflandauswahlbänden und Gesamtausgaben, hielt sich noch etwa 20 Jahre nach seiner Berliner Uraufführung im Jahre 1798, wenn auch mit Unterbrechungen, auf den deutschsprachigen Bühnen der damaligen Zeit, vor allem auf den Brettern des Wiener Volkstheaters. Dass es mit Sicherheit Johann Nestroy bekannt war und ihn in einigen Punkten beeinflusste, ist für seine literarhistorische Bedeutung dabei vielleicht weniger entscheidend als die Entdeckung, dass Jean Paul, zeitlebens ein grosser Ifflandbewunderer, in seinem Roman "Der Komet", der auch einige Ifflandelogen enthält, neben Jean Pauls genereller Vorliebe für die Kometenmetaphorik, auch mehr oder weniger explizit auf diese Posse anspielte. Im 20. Jahrhundert war es dann, nach einem Bearbeitungsversuch in den 1920er-Jahren, in erster Linie Arno Schmidt, der dem Iffland'schen "Kometen" zu einem erneuten Aufgang verhelfen sollte: In "Kaff auch Mare Crisium" führen Schulkinder in einer Dorfkneipe Ifflands Posse auf und konterkarieren damit die Endzeitstimmung in Schmidts Roman. Dieser Hinweis Schmidts war, wie so viele seiner anderen literarischen Querverweise, ausschlaggebend dafür, dass sich die Literaturwissenschaft früher oder später wieder dieses oder eines anderen Gegenstandes annehmen sollte - und dass das literarhistorische U-Boot "Der Komet. Eine Posse in Einem Aufzuge" von August Wilhelm Iffland im Jahre 2006 erneut auftauchen sollte.

 

Edition und Kommentierung lassen nichts zu wünschen übrig; man wird als Leser bestens über den "Kometen", seinen Autor und den kulturgeschichtlichen Hintergrund seiner Wirkungsgeschichte aufgeklärt. Als einziger Negativpunkt wäre zu vermerken, dass die Herausgeber mit ihrem Bemühen, auch noch Woody Allens "Stadtneurotiker" in die Erörterung einer spezifischen Dialektik der Aufklärung im Zusammenhang mit der Kometenfurcht einzubeziehen, unter Umständen doch etwas zu weit ausgegriffen haben dürften. Durch die Nennung Woody Allens im Klappentext wird eine Bedeutsamkeit des Manhattaner Melancholikers für das Thema suggeriert, die ihm dann faktisch, im Nachwort Birgfelds, doch nicht zugesprochen wird. Hier hat seine Erwähnung allerdings als besonderes essayistisches Glanzlicht seinen Platz verdient, doch dem darüber hinausgehenden eignet etwas Marktschreierisches.

 

Gleichwohl: der vorliegende Band ist eine derartig erfreuliche Angelegenheit, dass man gerne über solche Details hinweggeht und selber marktschreierisch werden möchte. Also: wer einen unbefangenen Zugang zu einem scheinbar zu Recht vergessenen und mit altbekannten Etikettierungen versehenen Autor sucht und an einer neuen Perspektive auf sein Werk im Besonderen und auf das Theater der Goethe-Zeit im Allgemeinen interessiert ist, der greife zu diesem Buch.

 

August Wilhelm Iffland: Der Komet. Eine Posse in Einem Aufzuge.

Herausgegeben von Claude D. Conter und Johannes Birgfeld.

Wehrhahn Verlag, Laatzen 2006.

120 Seiten, 20,00 EUR.

ISBN 3932324404

 

Anmerkung der Redaktion: Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung des Rezensenten von http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=10855 übernommen. Für die Neuveröffentlichung wurde sie geringfügig bearbeitet.