Zum neuen Buch ‚Akteure des Neuen Frankfurt. Biografien aus Architektur, Politik und Kultur‘, 2016


Heinz Markert


Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Jede weitere Beschäftigung mit den Akteuren des Neuen Frankfurt lässt aufs neue zu Bewusstsein kommen, wie zu Unrecht jenes Netzwerk einer neuen Baukultur und Ästhetik doch größtenteils vergessen, verdrängt oder nahezu aus dem öffentlichen Bewusstsein gefallen ist.


Zur Aktualität des Neuen Frankfurt


Obgleich in heutiger Zeit viel mehr noch ein drängender Handlungsbedarf für ein Bauen nach Entwürfen, Visionen und Vorgehensweisen des Neuen Frankfurt – in modifizierter und der heutigen Zeit gemäßer Form – vorliegt, ist es kläglich, wie die gegenwärtige Frankfurter Stadtpolitik an dieser Stelle und in der ihr zukommenden Funktion fast gänzlich ausfällt. Das vor fast einem halben Jahrhundert notierte ‚Erschlaffen ästhetischer Kraft‘ ist allgegenwärtiger und sinnfälliger denn je.


Es ist unbegreiflich, dass die Stadt des freien, kritischen Geistes –  nach einer so oft gerühmten Tradition – es nicht hinbekommt, einen architektonisch hochwertigen und nach gemeinnützigen und gemeinwirtschaftlichen Kriterien errichteten Wohnungsbau zu organisieren - wie das in Wien andauernd möglich ist. Wo bleibt die neu errichtete Entwicklungsgesellschaft, die das leisten würde, was umso mehr an der Zeit wäre? Die ABG hat sich ganz dem Renditestreben im wohlhabenden Segment verschrieben und ist zugleich eine an das Stadtsäckel Gewinne abführende Melkkuh. So kommt es zu unbegreiflichen Fehleistungen wie dem des unsäglich dürftigen Maintor-Areals (Wohnen für Wenige, FR 27.04.2016) an einer herausragenden Stelle des Mainufers.


Fast ein Jahr nach der Thematisierung des Neuen Frankfurt – die Besichtigung der Ausstellung ‚Utopien des Neuen Frankfurt: nicht realisierte Entwürfe‘ im Ernst-May-Haus, Im Burgfeld 136 der Römerstadt war Anlass – ist der Rechtfertigung jener Bewegung aus dem Geist der architektonischen Utopie und ‚ausgreifenden Kommunalwirtschaft‘ (so der Band) eigentlich nicht mehr so viel hinzuzufügen.
http://weltexpresso.wurzelknoten.de/index.php/heimspiel/5269-ein-schickes-schwimmbad-am-pestalozzi-platz-geplant-aber-nie-realisiert

 


Der neue Band ‚entziffert‘ das Netzwerk des Neuen Frankfurt weiter


Indes bietet die erfreuliche Gelegenheit der erneuten Beschäftigung - sofern sie auch mit einer anregenden Lektüre verbunden ist, für deren Herstellung die Archive ein neues Mal in einer Aktion mehrerer Beteiligter durchforstet wurden - nun die Möglichkeit einer weiter fortschreitenden Konkretisierung und noch besseren Kenntnis der Zusammenhänge jener raumschlagenden Periode zwischen 1925 und 1933.


Der neue Band, „ein Übersichtswerk“, geht auf die Initiative der Gesellschaft für Frankfurter Geschichte e. V. in Verbindung mit dem Institut für Stadtgeschichte und in Kooperation mit dem Deutschen Architekturmuseum und dem historischen museum frankfurt als Band 75 des ‚Archivs für Frankfurts Geschichte und Kunst‘ zurück. Es waren 24 Autoren am Werk. Der Band bietet nach der Einleitung die Abschnitte: ‚Begriff und Rezeption‘, ‚Visionäre Kommunalpolitik‘, ‚Von Ideen und Grenzen ihrer Realisierbarkeit‘, ‚Das „Neue Frankfurt“ und die Öffentlichkeit‘, einen Einschub mit ‚Abbildungen‘, die instruktiven ‚Biographien aus Architektur, Politik und Kultur‘ (150 an der Zahl), ein Glossar sowie das Quellenverzeichnis und ein Register.


Das dem damaligen Geist entsprechende Durchdenken und Planen aller Lebensbereiche für Bauwerke und umfangreich begleitende Produktegestaltung, wohinter zweifellos die Idee des Gesamtkunstwerks für die Gesellschaft webt, empfinden wir in den heutigen Gesellschaften der Beliebigkeit als ein wenig überspitzt. Aber das Durchdenken bedingte auch etwas wie Hochwertigkeit und ‚Unwegwerfbarkeit‘ - eigentlich einen ökologischen Ansatz. Dies besticht noch immer.


Es ist noch immer faszinierend, wie die Moderne nach Frankfurt strömte und drängte. Die Moderne, nicht nur der Architektur, sondern auch aus den Sozialwissenschaften, aus Kunst, Literatur, Design, Gebrauchsgrafik und Werbefotografie. Alle sahen in Frankfurt am Main einen Brennpunkt erstehen. Berühmte Namen waren mitverwickelt oder standen auf Abruf. Es gab den großen Dialog der Kreativen noch ohne Internet. Selbst Ökonomen klinkten sich bei Gelegenheit ein, es ging ja schließlich auch um Finanzierung; ja selbst Musik, Rundfunk und Theater spielten mit. Die Beziehung zur ‚Lebenspraxis‘ war ein verbindendes Motiv.

 


Die NF-Brechung – bis heute nicht wieder aufgegriffen oder nutzbar gemacht


Gebrochen wurde die Bewegung der damals Kreativen durch die immer mehr sich breitmachende Rechte und den Aufstieg des Nationalsozialismus. Der hatte ein ganz anderes, krudes und spießbürgerliches Konzept von Kunst, Kultur und Architektur. Er wurde zur Auslöschung der Moderne, die die Zumutung darstellt, Ambivalenz und Ambiguität zuzulassen, aus denen Kultur überhaupt erst hervorspringt. Ab 1933 war es vorbei mit der Realisierung der Projekte.
Der Rausch des Versucherischen und Neuzudenkenden hatte einen Akzent durchaus auch auf Industrialisierung und Rationalisierung, neue Bautechniken und Materialien sollten der Fertigung für einen riesigen Bedarf an Wohnstätten für die neu entstandenen und die Stadt enternden arbeitenden Klassen dienen. Stichwörter der Industrialisierung sind: Flachdach und vorgefertigte Bauelemente.


Der Elan des Neuen Frankfurt stieß aber regelmäßig auch auf den Widerstand der lokalen Politik und Gesellschaft, die zwischen Moderne und Tradition schwankte. Fritz Wichert war Herausgeber des DNF (‚Das Neue Frankfurt‘) und Direktor der Frankfurter Kunstgewerbeschule. Das DNF galt als propagandistisch. Wichert war Widerpart zu Ernst May, eine Wahrung der Tradition sah er in der Altstadtsanierung.


Martin Elsaesser, auch eine Art Zwischengestalt zwischen alter und neuer Zeit, stand in Verbindung mit dem ‚Europäischen Kulturbund‘, der es durchaus in sich hatte; dieser gab die ‚Europäische Revue‘ heraus, ein Blatt das sich analysierend mit sinistren Umtrieben um die Konservative Revolution beschäftigte.
Die Frankfurter Kunstgewerbeschule war ein Laboratorium des Drängens und Versuchens. Es war die spannende Ära des Aufbruchs in ganz neue Gegenden des Schaffens. Selbst für heutige Verhältnisse war es eine unfassbare Zeit, weil auch die Zeit so vieler ‚Übergänge‘. Die damaligen Entwicklungen waren unglaublich vielfältig, hatten eine übergreifende Breite über alle Phänomene und Gestalten der Kultur. Das besser und verständlicher nachzuvollziehen ermöglicht der neu entstandene Band.


Info:
‚Akteure des Neuen Frankfurt‘ · ‚Biografien aus Architektur, Politik und Kultur‘ ·
Archiv für Frankfurts Geschichte und Kultur · herausgegeben von Evelyn Brockhoff, Frankfurt am Main 2016, Societäts-Verlag Frankfurt am Main, ISBN 978-3-95542-160-1

Das Buch geht zurück auf eine Initiative von Evelyn Brockhoff, Christina Gräwe, Ulrike May, Claudia Quiring, Jörg Schilling und Wolfgang Voigt als Herausgeber/innen, die den Band am 20. Juni in einer Pressekonferenz vorstellten