'Utopien des Neuen Frankfurt' – eine Ausstellung der Ernst May-Gesellschaft
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - In Zeiten, in denen Schwimmbäder geschlossen oder gar für gesellschaftlich passé gehalten werden ('Das Freibad können wir schließen', so eine Kienbaum-Verlautbarung in Dreieich, OP 29.10.2011), bietet der Entwurf eines Schwimmbads der avancierten modernen Architektur der Zwanziger Jahre ein geradezu erregendes Gegenbeispiel. Er erinnert an Möglichkeiten, die abschlägig beschieden wurden oder in der Ablage verstaubten.
Die Ausstellung
Die kleine, aber feine Ausstellung im Ernst May-Haus hat das Phänomen der nicht realisierten Entwürfe des 'Neuen Frankfurt' zum Thema. Der Geist der architektonischen Utopie, Hintergrundthema der Ausstellung, ist in der Siedlung Römerstadt noch immer gegenwärtig mit der für die Ernst May-Gesellschaft als Sitz aus dem normalen Wohngebrauch abgezweigten bzw. auf üblichen Wegen zur Verfügung gestellten Musterwohnung, in die man eintritt, um die Präsentation aus der Position des Nicht-Fachmanns zu begutachten. Schon diese kleine Einheit aus dem umfangreichen Wohnbestand der exponierten Provenienz ist außerordentich exemplarisch für ein verwirklichtes großsoziales Wohnbauprojekt der Zwanziger Jahre, das schon bald 100 Jahre auf ehemals römischem Grund gebaut ist.
Der Entwurf für das um die Mitte der Zwanziger Jahre geplante Schwimmbad mit dazu gehörigem Badehaus, vorgesehen zum Bebau des Pestalozzi-Platzes im Stadtteil Bornheim, zeigt ein Mögliches, das leider im Stadium des Entwurfs blieb. Dieser unmittelbare sinnliche Aufmerksamkeit, wenn nicht Erregung, auslösende Entwurf stammt von Carl-Hermann Rudloff (1890-1949), einem Architekten aus Ernst Mays Architektengruppe, der übrigens am 27. Juli 2015 seinen 125. Geburtstag gefeiert hätte. Der Entwurf, der neben dem ersten Eindruck in aquarellierter Skizzentechnik auch mit technischen Zeichnungen der Geschosse vertreten ist, plante viergeschossig mit Keller, Erdgeschoss, Spiralgeschoss - das den 'Baukörper gen Himmel windet' – und Obergeschoss. Es bietet sich für angehende ArchitektInnen die Möglichkeit eine Mappe mit den technischen Zeichnungen einzusehen. Der Entwurf gehört der 'Zeit des Umbruchs' an, in der kühn und ausgreifend für die Realisierbarkeit von architektonischen und darüber hinaus am gärenden Humanitätsideal orientierten Utopien gewebt wurde, die jegliche Lebensbereiche neu dachten.
Die Beschreibungen und Illustrationen der vorgestellten Baukörper bieten auch den von Fritz Wichert angestoßenen Entwurf für eine städtische Kunstgewerbeschule aus den Jahren 1926/27, für den Martin Elsässer steht, ebenfalls ein Mitglied der Gruppe um Ernst May. Er lässt Parallelen zum Bauhaus in Dessau erkennen und steht im Einklang mit Elementen der Siedlung 'Höhenblick' in Frankfurt.
Ein weiteres Beispiel für entstandene, aber nicht realisierte Entwürfe, ergibt sich mit dem Plan für ein 'Volkshaus' in der Siedlung Praunheim, mit dem dortigen Siedlerverein und den Räumen für die Siedlerverein-Bezirksverwaltung; entwickelt von Max Cetto. Der Baukörper ist 40 m lang, hat eine im Viertelkreis gebogene eigenständige Treppenkonstruktion, einen Bühnenraum mit Orchestergraben und 10 Zuschauerreihen. Der Entwurf vermittelt einen Eindruck von großzügiger Hand.
Ein krönendes Beispiel für mutige Konstruktion, jedoch auch leider Nichtzustandekommen der Ausführung – sie wäre auch im Frankfurt der Wiederaufbauzeit möglich gewesen (wann denn, wenn nicht dann?) - ist ein Rathaus-Hochhaus-Entwurf von Martin Elsässer aus dem Jahr 1930. Die Stadtverwaltung hätte in ein großes Gebäude einziehen können, das die Dienstwege beschleunigen und vereinfachen sollte. Die Zwanziger-Jahre-Architektur dachte in großen, der Größe der Bestimmung angemessenen Dimensionen und hätte in den Folgejahrzehnten als Fundus für Anknüpfungen dienen können.
Die Ära der architektonischen Utopie
Der Rathausentwurf gehört in den Zusammenhang der vielfach ans Licht der Öffentlichkeit gelangten Großstadtutopien der Zwanziger Jahre, steht auch in engerer Beziehung mit dem Projekt 'Hochhausstadt' von Ludwig Hilberseimer aus dem Jahr 1924. Die Hochhauskulissen im Film 'Metropolis' von Fritz Lang aus dem Jahr 1926 sind ein Nebenprodukt jener Konzeption einer in großzügigen Maßstäben weit in die Zukunft planenden Metropolengestaltung (einschließlich Verwaltung).
Diese knüpft, mit Anklang an steiles Social Engineering und einer Note sozialdemokratischer Beimengung, an die Stadtutopien der bürgerlichen Entwürfe des utopischen Staatswesens eines Thomas Morus ('Utopia'), Tommaso Campanella ('Sonnenstaat') und Francis Bacon ('Neuatlantis') an. Selbst wenn diese Entwürfe nicht nach Punkt, Komma und Strich einfach übertragen und umgesetzt werden sollten: sie sind doch vorbildlich für eine Planung, die nicht nur an klammen Haushalten klebt – warum gibt es die eigentlich bei so weit fortgeschrittenem gegenwärtigen Produktivitätsstandard in unseren Tagen noch immer? - und nicht nur an kleinhaushaltlicher Mentalität der schwäbischen Hausfrau hängt, sondern aus einem langfristig vorsorgenden und Gesellschaft gestaltenden Impuls handelt. Die ästhetische Dimension ist nicht nur angezeigt, sie ist zentraler Bestandteil von Architektur die, wenn sie ihren Begriff ausfüllt, auch ihren hoch gesteckten Namen verdient. Denn sie bestimmt das Leben von Menschen über große Zeiträume.
Die Ausstellung gibt – im Übertrag von Vergangenheit in Gegenwart - Anlass zu Überlegungen und Bedenken über den Zustand der heutigen Gemeinwesen, die ihre Chancen – wie immer schon – auch bei weitem nicht genügend wahrnehmen, weil nicht eine demokratische Politik, sondern ein aus der Kontrolle geratenes Finanzsystem die Rhythmen des Auf- und Niedergangs vorschreibt. These: Nicht erst Hitler und die große Depression zerstäubten die architektonische Utopie, eine geduckte Haltung und eine unterwürfige Haltung gegenüber Obrigkeiten und Systemen war die Ursache der Fehlentwicklungen und diese setzen sich bis in unsere Tage fort. Die Anregungen der Zwanziger Jahre wurden nicht nur abgebrochen, sie wurden beendet und nicht wirklich wieder aufgegriffen.
Gegenwärtige Baupolitik in Frankfurt
Bedenkt man, dass Frankfurts Baupolitik sich nicht an großzügig entwickelten Möglichkeiten des sozial gebundenen Wohnungsbaus – wie er in Wien mit 70 Prozent Anteil auf hochwertigem Niveau stattfindet - orientiert, sondern im konkurrierenden Hickhack von 'Lagenzuschlag' und 'Mietpreisbremse' feststeckt – während im Hintergrund gierige Investoreninteressen dräuen - und darüber richtet und rechtet, ob die Ausschüttung der ABG an das Stadtsäckel auch einem Mietendämpfungseffekt oder gar einem Mietenstopp (im ABG-Einflussbereich) dienen dürfte, kann man sich nur an den Kopf fassen, ob solcher Kleinlichkeit und Subalternität. Immerhin geht die Ausschüttung auf Mieteinnahmen zurück. Die Städte darben finanzpolitisch, während der Finanztsunami weiter fortschreitet. Bauplanung und Finanzsystem (privat oder staatlich) als Voraussetzung für anstehendes Bauen – auch für Flüchtlinge - müssen ganz neu gedacht und konstruiert werden. Es braucht eine gesellschaftspolitische Wende hin zu einem demokratisch gegründeten gemeinschaftlichen Willen.
In den Kommunen fehlen unter dem Großen Bruder der Schwarzen Null die Mittel für gesellschaftliche Investitionen, die EZB hingegen stattet mit den wohlfeil geschöpften Mitteln nicht die Gesellschaft der Zukunft aus, sondern flutet mit ungedeckten Wechseln die Börsenspekulation und das System der Wetten, nur um etwas Überlebtes und Bizarres am Laufen zu halten. Wie lange noch? - So werden Chancen, die in der Gesellschaft und in den einzelnen ihrer Entzündung harren, vertan. Oh du kleinliches Gezerre um die paar Kröten auf der einen Seite, endlose Geduld aber mit überforderten Finanzakrobaten auf der anderen. Absurde Welt. Sind wir jeck, dass wir uns so sehr blockieren lassen?
Foto:
Carl-Hermann-Rudlof-Schwimmbad
Info:
utopien des neuen frankfurt, Sonderausstellung der ernst-may-gesellschaft e.V., 27. Juli bis 23. Dezember 2015, ernst-may-haus, Im Burgfeld 136, 60439 Frankfurt, Anfahrt
Tel. +49 (0)69 15 34 38 83
Öffentliche Verkehrsmittel: Linie U1, Haltestelle Römerstadt, Fußweg ca. 7 min., beschildert.. Buslinie 60, Haltestelle Mithrasstraße
Öffnungszeiten: Dienstag bis Donnerstag 11 bis 16 Uhr, Samstag und Sonntag 12 bis 17 Uhr, Führungen nach Programm oder Vereinbarung