Serie: Vier Autoren braucht's dazu: Gimber, Martin, Schütz, Walter, Teil 2/2
Hans Weißhaar und Helga Faber
Mallorca (Weltexpresso) – Daß sich Deutsche und Spanier unterscheiden, ist eine Binsenweisheit, daß sie mit dem gemeinsamen Nachbarn Frankreich auch gemeinsame Interessen hatten, diesen klein zu halten, wie die Deutschen mit den Russen gut gegen die Polen konnten, ist es auch. Ob für heute aus der Tatsache, daß der Habsburger und deutsche Kaiser Karl als Karl V. Spanischer König war und zwischen beiden Ländern viele Wirtschaftsbeziehungen bestanden, noch Relevantes folgt, kann man bezweifeln, nicht aber daß zwei Wanderbewegungen das Verhältnis beider Länder prägt: zum einen die Migrationsarbeiter hierzulande, zum anderen der deutsche Tourismus in die spanischen Gefilde.
Das Buch SPANIEN VERSTEHEN wäre überlastet, würde man ausführlich auch die Balearen und Kanaren zu Wort kommen lassen. Tatsächlich ist aber die lebendige Wahrnehmung des Spanischen der Deutschen zumindest sehr durch die Urlaubserkenntnisse geprägt, zu denen ja nicht nur die Stranderlebnisse zählen. Und der Städtetourismus Barcelona und Madrid tut ein übriges. Zum SPANIER geht man in Deutschland genauso wie zum ITALIENER oder zum GRIECHEN. Zum FRANZOSEN übrigens nicht, das bleiben die französischen Restaurants. Ach, wenn man erst einmal anfängt sich in den Länderemotionen – und allein der Begriff „verstehen“ hat neben der rationalen genauso gut die irrationale und damit zutiefst emotionale Wurzel – dann kommt man bei dem vorliegenden Buch vom Hundertsten ins Tausendste in den eigenen Gedanken.
Lieblingskapitel nach Strukturartikeln „VI. Soziale Strukturen“ von Walter/Gimber und „VII. Das spanische Bildungswesen“ von Schütz/Gimber ist für unsereinen das Kapitel Acht: „Massenmedien und -spektakel“. Auffällig ist dabei, daß auch hier der historische Blick gewahrt bleibt. So wird „3. Das spanische Kino“ erst einmal mit der Geschichte des Kinos 1896 begonnen, was seit der Anwendung der Apparatur der Gebrüder Lumière eine Erfolgsgeschichte wurde. Daß Luis Bunuel – Guru moderner Filmemacher - seine Erstlingswerke „Un chien andalou“ und „L'áge d'or“ 1929/30 in Paris drehte, weil Spanien auch kulturell viel zu konservativ war, ist genauso spanisch, wie daß nach dem Ende der Zensur 1977 alles möglich wurde, was leider nicht alle so nutzten wie Pedro Almodóvar, der für uns die Tiefen spanischer Seelen auslotet.
Dieser hat in seinen frühen Filmen „provokativ-ekstatische Ausleben des über Jahrzehnte hinweg Unterdrückten“ auf die Leinwand gebracht, wobei auch erneut die Katholische Kirche Thema wurde. Thema werden mußte. Genauso wie keiner wie Almodóvar solche Hommagen auf Frauen drehte, die im Spanien von heute ein gewichtiges Wort mitzureden haben. Nicht nur in den Familien. Uns hat dann beim Lesen gewundert, daß zwei gesellschaftlich-kulturelle Bereiche wie die KUNST und die MUSIK im Buch keine Rolle spielen. Nun ist das WErk mit 328 Seiten gerade noch geeignet, in den Urlaubskoffer in spanische Lande mitgenommen zu werden, umfassend genug ist es also. Dennoch scheint es uns typisch zu sein, daß Kunst und Musik fehlen. Und eben auch typisch, daß sie das Titelbild bestimmen, wo man oben das Guggenheim Museum in Bilbao sieht und unten die Röcke von zwei Flamenco-Tänzerinnen.
Wir behaupten einfach 'mal, daß die Sprache der Kunst und die der Musik universeller ist als die anderer Kulturprodukte. Denn spanische Künstler haben Weltrang, dazu muß man nicht auf den Pariser Picasso verweisen und auch nicht betonen, daß CARMEN vom Franzosen Bizet auf der Grundlage der Novelle des Franzosen Mérimée vertont wurde. Die HABANERA ist einfach spanisch. Und weil uns dabei sofort der Tanzfilm CARMEN von Carlos Saura von 1982 einfällt, der ein Flamenco-Fieber auslöste, fällt uns auf, daß auch der TANZ in SPANIEN VERSTEHEN nicht vorkommt.
Dafür wird zweimal – und das ist für eine spanische Geschichte unabdingbar – Jorge Semprún erwähnt. Er ist nicht nur der erste demokratische Kulturminister Spaniens, sondern hat mit seiner Person für die Verständigung unserer beider Länder Entscheidendes bewirkt. Einmal spielt auf Seite 59 seine kommunistische Untergrundarbeit und die Lösung vom Kommunismus eine Rolle „Mein Leben als Federico Sanchez“, ein wunderbar erhellendes Buch, und dann wird er auf Seite 149 im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung zitiert: „Der vor kurzem verstorbene Jorge Semprun, NS-Häftling in Buchenwald und eine zentrale Gestalt der europäischen Intellektuellen, sprach sich schon vor 1989 für die deutsche Wiedervereinigung als Vorbedingung des europäischen Friedensprozesses aus und wies Deutschland als Schauplatz zweier totalitärer Systeme eine besondere europäische Aufgabe zu.“ Daß sein Buch über das KZ-Buchenwald eben auch von Goethe und der deutschen Kultur, der er viel verdanke, handelt, den Titel trägt: „Was für ein schöner Sonntag!“, ist leider viel zu wenigen bekannt. Nicht nur deutschen Bundespräsidenten.
P.S. Uns fehlte nur eines durchgehend, nämlich Kurzbiographien der vier Autoren Arno Gimber, Josè Manuel Rodrígues Martín, Jutta Schütz und Klaus Peter Walter
Gimber/Rodríguez Martín/Schütz/Walter, Spanien verstehen, Primus Verlag 2012