Christoph Fackelmanns Studie untersucht die Kunst Josef Weinhebers und ihre Leser
Alexander Martin Pfleger
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der heutige Leser muss sich durch einen Wust von willentlichen oder unwillentlichen Fehldeutungen kämpfen, wenn er sich dem Werk Josef Weinhebers anzunähern beabsichtigt. Ein unbefangener Zugriff scheint nur bedingt gewährleistet. Ob als präfaschistisch orakelnder Hölderlinepigone diffamiert oder zum urbanen Heimatdichter des Wiener Schmähs verniedlicht, ob als leerer Formvirtuose abgetan oder aufgrund seines sattsam kolportierten Bonmots "In Ruah lossn!" auf Goebbels? Frage nach Möglichkeiten staatlicher Einflussnahme zum Wohle der Dichtkunst zum Widerstandskämpfer uminterpretiert - an unterschiedlichen Lesarten der Dichtungen Weinhebers und an ebenso zahlreichen unterschiedlichen Einschätzungen seiner Person zur Deckung des jeweiligen Meinungsbedarfs im Kulturbetrieb herrschte (und herrscht) wahrlich kein Mangel, und Selbstbedienung dürfte als erwünscht vorausgesetzt werden.
Wiewohl mit Beginn seines plötzlichen Erfolges nach dem Erscheinen von "Adel und Untergang" 1934 lange Jahre Gegenstand einer kaum zu überschauenden Forschungsliteratur, war Weinheber auch unter Philologen mehr Projektionsfläche weltanschaulicher Wunschvorstellungen seiner Interpreten denn tatsächlich beim Wort genommener Sprachkünstler. Und auch hier wurde mehr in ihn hinein und aus ihm heraus gelesen, anstatt ihn - im Wortsinne - zu lesen, und mehr legte man ihm mephistophelischerweise etwas unter denn ihn aus. Die sich über Jahrzehnte erstreckenden Forschungen Friedrich Jenaczeks, der sich sowohl auf editorischem als auch auf interpretatorischem Gebiet um eine adäquate Aufnahme des Weinheberschen Œuvres verdient machte, blieben lange Zeit eine Ausnahmeleistung.
Mit Christoph Fackelmanns zweibändigem Buch "Die Sprachkunst Josef Weinhebers und ihre Leser. Annäherungen an die Werkgestalt in wirkungsgeschichtlicher Perspektive", einer bearbeiteten Fassung der gleichnamigen, 2004 mit dem Anerkennungspreis des Landes Niederösterreich prämierten Dissertationsschrift des Verfassers, liegt nun seit Jahrzehnten wieder eine umfangreiche Studie vor, die das Werk Weinhebers in einer neuen und umfassenden Perspektive zeigt. Der Autor entschied sich für ein morphohistorisches Verfahren; ihm war es darum zu tun, Weinhebers Dichtungen sowohl in ihrer konkreten Werkgestalt (ihrer formalen Beschaffenheit, ihrem sprachlichen Material und in den verifizierbaren Intentionen des Autors) zu analysieren und sie in ihrem Wechselspiel mit den ästhetischen und politischen Debatten ihrer Zeit darzustellen.
Im Gegensatz zu älteren werkimmanenten Ansätzen wird das ästhetische Gebilde auf diese Weise weder vollständig isoliert von äußeren Faktoren gedacht, noch - wie bei späteren sozialgeschichtlichen Deutungen - auf einen bloßen, mehr oder minder stark reflektierten Ausdruck der entsprechenden Zeitströmungen reduziert.
Vielmehr geht es hierbei darum, die Dichtung Weinhebers als bewusst gestaltetes Kunstgebilde in ihrer nachvollziehbaren Interaktion mit den Erwartungen seiner Leser und den Bedingtheiten des literarischen Lebens seiner Zeit aufzuzeigen.
Fackelmanns Buch bietet somit neben Deutungen der Gedichte Weinhebers als unabhängige - aber gleichwohl im Zusammenhang mit ihren zeitlichen Nachbarn, in ihrer Beeinflussung durch sowie in ihrer Einflussnahme auf diese zu begreifende - Kunstäußerungen auch mehrere biografische Darstellungen von Weinhebers mittelbarem und unmittelbarem geistigem Umfeld und seiner Situation in seinen letzten elf Lebensjahren, die auf erstmalig bearbeiteten Originaldokumenten basieren.
Weinheber erweist sich in dieser Perspektive als Dichter, auf dessen gesamte Rezeptionsgeschichte die in anderen Zusammenhängen zur Phrase degradierte Feststellung zutrifft, sie sei eine einzige Verkettung von Missverständnissen - nicht zuletzt die Geschichte seines Erfolges. Weinheber war kein Hermetiker, kein artistisch verspielter Solipsist und kein resignativer Ästhetizist. Im platten Sinne volkstümlich und eingängig war sein Werk allerdings auch nicht - nicht einmal in "Wien wörtlich" aus dem Jahr 1935. Von seinem Gestus her war es indes stets um Mitteilung, Verständigung, sogar Erziehung - freilich nicht im schulmeisterlichen Sinne - bestrebt, gerade in seinem oftmals als schwierig und unzugänglich abgetanen Hauptwerk "Zwischen Göttern und Dämonen" aus dem Jahr 1938.
Weinhebers Mitgliedschaft in der österreichischen NSDAP seit 1931 und sein späteres kulturpolitisches Engagement für den NS-Staat dürfen nicht vergessen machen, dass seine Auffassung vom Wesen des Dichterischen und sein Verständnis von der Rolle des Dichters in der Moderne kaum mit den konkreten parteipolitischen Forderungen der braunen Machthaber übereinstimmen konnten, wenngleich ihn gerade in den 1930er-Jahren eine nationalkonservative Leserschaft auf ihre Schilde hob.
Wie bereits Jenaczek betont auch Fackelmann die Unabdingbarkeit der Sprachkritik von Karl Kraus und seiner "Fackel" für das Denken Weinhebers. Nur hinsichtlich dieser lässt sich das Werk des Dichters ungetrübt durch seine Präsentation in seiner Präsenz erfassen. Weinheber wie Kraus sahen im allgemeinen Verfall der deutschen Sprache sowohl Symptom als auch treibende Kraft einer Zeitkrise, welcher nur durch stetes Bemühen um die Reinheit der Sprache von journalistischen Floskeln und tagespolitischem Jargon beizukommen sei.
Dass Weinheber, der dem Juden Kraus in vielen Aspekten zutiefst verpflichtet war, dem Antisemitismus der meisten seiner völkisch gesonnenen Bundesgenossen in vielen Punkten verfallen blieb, ohne sich freilich mit den "Lösungsvorschlägen" der Nationalsozialisten für die sogenannte "Judenfrage" zu identifizieren, da er in nicht wenigen ihrer Machenschaften Anlässe zu - freilich nur privat geäußerter - Kritik fand, sowie seine teils unumgängliche, teils nur zu bereitwillig erfolgte Partizipation an der literarischen Mobilmachung des Großdeutschen Reiches, hat einer fatalen Missdeutung weiter Teile seiner Dichtung als zwar hochartifiziell gestalteter, aber letztlich nur hinlänglich abendländisch verbrämter "brauner" Kampflyrik Vorschub geleistet und ist als eine der tragischsten Diskrepanzen zwischen Autorintention und Rezeption bis zur Gegenwart zu werten.
Eine den spezifischen Bedingtheiten seiner Entstehung und Aufnahme angemessene Lektüre, wie sie Fackelmann vornimmt, verdeutlicht hingegen, dass Weinhebers Werk nicht im propagandistischen Sinne als politisch zu werten ist; vielmehr wurde für ihn das Hölderlinsche "Was aber bleibet, stiften die Dichter" im Kraus'schen Sinne in seinem Schaffen zum ästhetischen wie ethischen Imperativ, dem Niedergang der Kultur durch das sprachliche Kunstwerk entgegenzutreten und in seiner Bewahrung vor der allgegenwärtigen Phrasenhaftigkeit die Ideale des Humanismus auch in dürftigster Zeit aufrecht zu erhalten.
Christoph Fackelmann: Die Sprachkunst Josef Weinhebers und ihre Leser. Annäherungen an die Werkgestalt in wirkungsgeschichtlicher Perspektive. 2 Bände. Band 1: Darstellung, Band 2: Anhang.
LIT Verlag, Münster 2006
1154 Seiten, 59,90 EUR
ISBN 3825886204
ISBN-13 9783825886202
Anmerkung der Redaktion: Dieser Text erschien zuerst im Jahrbuch der Österreichischen Goethe-Gesellschaft, Band 108-109-110 (2004-2006), S. 397 – 400. Wir danken dem Autor für die Publikationsgenehmigung.