Emma Cline: als Roman im E-book von Hanser, als 9 CDS von Hörbuch Hamburg, Teil 1/2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wenn man so viele gute  Kritiken über das Buch der amerikanischen 27jährigen hört, die mit ihrem Debüt einen Siegeszug durch  die Vereinigten Staaten begann und in der von ihr dominierten westlichen Welt fortsetzt, da will man gleich dabei sein und dieses erstaunliche Werk selber lesen.


So weit, so gut. Aber, uns hat's nicht gefallen und es ist schwer auszumachen, ob das an den Vorschußlorbeeren lag oder daran, daß wir für die Icherzählerin, eine heute Vierzigjährige, die parallel abwechselnd ihr gegenwärtiges und ihr pubertäres Leben als Vierzehnjährige erzählt, daß wir also für diese Figur, diese Frau, dieses Mädchen einfach keine Empathie gewinnen konnten, die man auf Dauer braucht, um den Erzählfluß nicht erst ermüdend und dann langweilig zu finden. Diese Evie Boyd zeigt sich als Erwachsene ähnlich larmoyant, unsicher, sich ständig anpassend, Falsches gewährenlassend wie das junge Ding, dem man das ja eher verzeihen könnte.

Wieso wir darauf kommen? Weil Evie Boyd es nicht mal als Erwachsene schafft, ihre Meinung, die sie eigentlich hat, gegenüber einer Jugendlichen – das ist die Rahmenhandlung, weil das Strandhaus, das die derzeit arbeitslose Boyd bewohnt, von dem Sohn des Besitzers mit Freundin aufgesucht wird, die dieser dann Evie zurückläßt - auszudrücken, die gerade erzählt, wie ihr dummer Freund einen Hund vergiftet hat. Das ist ein Detail, aber eines, das das ganze Buch durchzieht, das seine Sensation dadurch erhalten hat, daß es – kaum verbrämt – die berüchtigten Mansonmorde zum Thema hat. Wobei mit dem Stichwort Girls die Mädchen über viele hundert Seiten vorgeführt werden, die als Groupies um den wahnsinnigen Bürgerschreck Charles Manson herumflatterten und von ihm jeweils als Bettgefährtinnen ausgewählt und gekonnt gegeneinander ausgespielt wurden.

Dabei ist der Beginn der Rückerinnerung für uns noch das Spannendste, wenn es genau um diese Girls geht, die Evie  zum ersten Mal im Park  sieht und deren lange Haare und das FlowerPower uns allen sagt: Wir  befinden uns Ende der 60er Jahre, als die bürgerliche Welt mit den Werten von gesellschaftlichem Aufstieg durch emsiges Arbeiten als Lebensinhalt wenigstens für einige Jahre aus dem Tritt geriet und das Leben selbst in den Mittelpunkt rückte, das hieß: Liebemachen, Musikmachen, gemeinsam kochen, eventuell Mariuana rauchen und halt einfach lustvoll leben als Hippie.

Das Hörbuch zitiert im zugehörigen Flyper genau diesen Moment des Sehens, was interessant ist, denn es gibt dort keine Inhaltsangabe des Romans, nur diesen Text: „Dass ich aufsah, lag an dem Gelächter, dass ich weiter hinsah an den Mädchen. Sie bewegten sich in einem unbehaglichen Grenzbereich zwischen Schönheit und Häßlichkeit, und ein Schauer gesteigerter Aufmerksamkeit folgte ihnen durch den Park. Mütter schauten sich nach ihren Kindern um, bewogen von einem Gefühl, das sie nicht bennennen konnten. Frauen griffen nach der Hand ihres Freundes. Die Sonne stach durch die Bäume wie immer – verschlafene Weiden, der über die Picknickdecken fahrende, heiße Wind -, aber die Vertrautheit des Tages wurde gestört von der Bahn, die die Mädchen durch die normale Welt zogen. Geschmeidig und gedankenlos wie durch das Wasser gleitende Haie.“

Damit greift die Autorin schon vor, denn das Hippieleben und die bunten jungen Frauen hatten überhaupt nichts mit Verbrechen zu tun, sondern waren das Lebensgefühl einer Jugend, die damit auf die strengen Vorgaben der Nachkriegszeit und überhaupt auf Kriege reagierten, die insbesondere in Amerika durch Vietnam eine Verschärfung erfahren hatten, die die Jugend mit dessen Gegenteil beantwortete. Wenn wir „die Jugend“ formulieren, ist damit immer nur eine Minderheit gemeint, aber eben diejenige, die sich lautstark öffentlich einbrachte. Woodstock ist dafür ein Ausdruck und auch hier sind es die Mädchen mit den langen Haaren, tief ausgeschnittenen T-Shirts, Blumengirlanden und langen bunten Röcken, die dies sinnlich verkörpern.

Damit sind wir grundsätzlich bei den Girls, noch lange aber nicht bei denen, die in diesem Roman die Hauptrolle spielen, weil die so junge Evie in ihnen ein Vorbild sieht, das sie von  ihrer, durch das Auseinanderbrechen der Ehe ihrer Eltern verstärkten emotionalen Heimatlosigkeit erlösen kann. Insbesondere die ältere, wenngleich erst 19jährige Suzanne, auch Hauptgespielin des die Farm, auf der alle leben, dominierenden Machos Russell.  Es ist schlicht das Verliebtsein eines jungen Mädchens in eine erwachsene Frau, die Gefühle von Sehnsucht und Angezogensein, mit denen sich Evie herumschlägt und die sie zwingen, alles mitzumachen, was Suzanne tut und wovon Evie glaubt, daß diese dies von ihr erwarte. Fortsetzung folgt


P.S.I: Wir haben den Roman hauptsächlich als Hörbuch gehört, manches nachgelesen, manches doppelt gehört und gelesen. Wenn man die Stimme von Suzanne von Borsody im Ohr hatte, liest man mit ihr auch dann, wenn die eigenen Augen den Text verfolgen, so stark hat sie sich als diejenige, die als Erwachsene über ihre Jugend erzählt, eingeprägt. Mehr Lob kann man nicht aussprechen.


P.S.II: Was der Romantitel THE GIRLS mit dem Album von Elvis Presley GIRLS! GIRLS! GIRLS! zu tun hat, das als sein sechzehntes 1962 herauskam, wissen wir nicht. Auf jeden Fall begleitete uns der Song als Ohrwurm das Buch hindurch. Im Buch ist vom Musikmachen die Rede, allerdings nur von Männern, von Russell und vom dann ermordeten Musikproduzenten, die Mädchen singen. Auch Charles Manson machte Musik, schrieb Texte, komponierte, allerdings mit mäßigem Erfolg. Er haßte Jazz als Negermusik und liebte die Beatles.


Info:
Emma Cline, THE GIRLS, aus dem Englischen von Nikolaus Stingl, E-Book Hanser

Emma Cline, THE GIRLS, ungekürzte Lesung von Suzanne von Borsody, 9 CDs, ca. 680 Minuten