John le Carrés DER TAUBENTUNNEL bei Ullstein und bei Hörbuch Hamburg, Teil 1

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Zwar haben wir gerademal die beiden ersten von zehn CDs gehört und rund 100 Seiten gelesen, aber schon jetzt wissen wir, daß dies Buch in jeden deutschen Haushalt gehört, der auf Geschichte und Literaturgeschichte Wert legt. Umwerfend die „Geschichten aus meinem Leben“, wie der Untertitel lautet.


Typisch für le Carré, der sich für Memoiren selbst nicht wichtig genug ist, aber in diesen Geschichten eine Vergangenheit mit Zeitgenossen evoziert, die eben nicht vergangen ist, sondern in unseren Köpfen bis heute herumspukt. Typisch auch, daß es in dem ersten Buchviertel zum einen um den britischen Geheimdienst, den so lächerlichen, wie hochgehaltenen, geht und zum anderen um das frische, jugendliche Westdeutschland, in das der junge Geheimdienstler in die Britischen Botschaft nach Bonn gesteckt wird.

Zuerst aber der Hinweis, warum die Hommage an le Carré heute erfolgen muß, wo der Film DER SPION, DER AUS DER KÄLTE KAM gerade sein fünfzigjähriges Jubiläum hat. Der Film hat dem Breiten endgültigden Weltruhm gebracht, den das Buch schon zwei Jahre zuvor ahnen ließe. So beginnt die Einleitung von DER TAUBENTUNNEL, das ab heute, dem 9. September vom Ullstein Verlag und Hörbuch Hamburg ausgeliefert wird, folgerichtig: „Ich sitze an meinem Schreibtisch im Souterrain des kleinen Chalets, das ich mir mit den Erlösen aus meinem Buch DER SPION, DER AUS DER KÄLTE KAM in einem Bergdorf in der Schweiz gebaut habe.“ (8) Und schon auf Seite 16 taucht der Titel erneut auf, wenn er schreibt: „Falls Sie jemals das Glück haben, recht früh in Ihrer Karriere als Schriftsteller einen Erfolg zu landen, wie mir das mit DER SPION, DER AUS DER KÄLTE KAM gelang, dann wird es für den Rest Ihres Lebens ein Vorher und ein Nachher geben.“

Und wir müssen jetzt sehr an uns halten, denn beim Hören und beim Lesen hatten wir uns unaufhörlich Aufzeichnungen gemacht, ganze Passagen mit der Hand niedergeschrieben, denn DER TAUBENTUNNEL ist von der Art von Büchern, die man als Zitatenschatz gerne weitergeben möchte. Das liegt daran, daß bei John le Carré immer schon eine Weitsicht, auch eine politische Weitsicht mit dem ganz Nahen, mit einer Person, mit einem Ereignis eine Verbindung eingeht, so daß man zwei Fliegen mit einer Klappe erlegt. Und ganz schön nachzudenken hat.

Das beginnt schon mit dem Titel. Was soll das denn heißen? Da gibt es wirklich in Hamburg einen Tunnel, in dem Tauben hausen, weshalb die Anwohner diesen so als Taubentunnel bezeichneten. Ob le Carré, der bekennende Hamburgfan daran dachte? Nein, er selbst bringt im Vorwort: „Fast allen meinen Büchern habe ich irgendwann einmal den Arbeitstitel DER TAUBENTUNNEL gegeben“….und erklärt es mit einem schauerlichen Vorgang in Monte Carlo, wo auf dem Dach des Casinos Tauben brüteten, die eingeschlossen waren, und dann in ein langes dunkles Rohr gesteckt wurden, an dessen Ende zum Meer hin die Öffnung war, aus der sie heraus in die Luft flatterten, „als Ziel für die Gentlemen, die zuvor gut gegessen hatten und nun stehend oder liegend mit ihren Schrotflinten warteten.“ Es war ein Schießplatz. Aber nun kommt es. Die überlebenden Tauben „kehrten in den Schlag auf dem Casinodach zurück, wo sie geschlüpft waren, und alles begann von neuem.“

Aber hier ist DER TAUBENTUNNEL kein Arbeitstitel, sondern der Titel seines Lebensbuches. Da kommt man schon ins Sinnieren, wie das mit uns so ist. Stecken wir alle in unserem eigenen Laufrad, gehen freiwillig zurück ins Joch des Berufes, der Ehe, des Romanschreibens, des Rezensierens...Darüber lieber nicht weiter nachdenken und uns in das Leben des Briten vertiefen, der einfach „aus jugendlichem Überschwang“ (stimmt so überhaupt nicht, daß eigentliche Motiv ist sein seltsamer Vater, aber das wird er erst ganz zum Schluß seiner Geschichten verraten) seine vornehme Schule sausen läßt und beschließt: „England auf dem kürzesten Weg zu verlassen und die deutsche Muse als Ersatzmutter anzunehmen.“

Die Faszination, die Deutschland, wozu er auch den Fluchtpunkt Bern zählt, und die deutsche Sprache auf den Autor ausüben, durchzieht das Buch, denn es heißt gleich eine Seite weiter: „Weniger einfach zu erklären ist meine völlige Hingabe an die deutsche Literatur, und das zu einer Zeit, als für viele Menschen schon allein das Wort DEUTSCH ein Synonym für das Böse an sich war. Doch, wie schon die Flucht nach Bern, bestimmte auch diese Hingabe meinen weiteren Lebensweg. Ohne sie hätte ich Deutschland 1949 nicht auf Drängen meines geflohenen jüdischen Deutschlehrers besucht, nicht die dem Erdboden gleichgemachten Städte an der Ruhr besichtigt...ich hätte auch nicht die Konzentrationslager in Dachau und Bergen-Belsen aufgesucht, in denen der Gestank noch immer in den Baracken stand, um dann in die gelassene Beschaulichkeit Berns zurückzukehren, zurück zu meinem Thomas Mann und meinem Hermann Hesse.“ (13)

Warum wir so ins Zitieren kommen. Weil Hörbuch Hamburg eine umwerfende Idee hatte und den Autor sein übersetztes Buch auf Deutsch lesen läßt. Wir haben jedem der Worte noch intensiver gelauscht, als man das eh tut, denn, wenn der Autor selber spricht und doch gar kein Deutscher ist, was man hört, aber nur leicht hört, dann ist eine gesteigerte Aufmerksamkeit im Spiel, wenngleich jetzt erst die eigentlichen Geschichten beginnen. Fortsetzung folgt


P.S. Das Rechtschreibprogramm mag  das Wörtchen TAUBENTUNNEL auch nicht! Es bietet stattdessen an: TRAUBENTUNNEL oder auch TAUERNTUNNEL. Schon lange wollen wir die herrlichsten Verbesserungsvorschläge, regelrechte Verschlimmbesserungen eigentlich unter jedem Artikel verzeichnen. Aber….



Info:


John le Carré, Der Taubentunnel. Geschichten aus meinem Leben, Ullstein Verlag, Aus dem Englischen von Peter Torberg, Erstveröffentlichung 9. September 2016

John le Carré, Der Taubentunnel. Geschichten aus meinem Leben, gelesen vom Autor und von Walter Kreye, 10 CDs ca. 800 Minuten, September 2016