Lamya Kaddor, Die Zerreißprobe. Wie die Angst vor dem Fremden unsere Demokratie bedroht, bei Rowohlt Berlin, Teil 6/6
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Im übrigen haben wir – ja, wir, nämlich das Staatsvolk der Deutschen - den Rahmen der Kultur in Deutschland so gesteckt, wo er hingehört. Wir haben ein Grundgesetz, die Landesverfassungen, wir haben Schulgesetze (das von Hessen fordert: „die christlichen und humanistischen Traditionen zu erfahren, nach ethischen Grundsätzen zu handeln und religiöse und kulturelle Werte zu achten),
die Lehrpläne an den Schulen, wie haben so zahlreich wie nirgends ein Verlags- und Buchhändlerwesen, den zweitgrößten Buchmarkt der Welt, Musikhochschulen, Kunsthochschulen, eine florierende Ausbildung für Filmleute, eine Breite an Theatern wie nirgends sonst, in Deutschland gehört sogar der Sport in den Kulturbereich und die Bundesligastadien auch.
Was zur deutschen Kultur aber auch gehört, daß ist die strikte Unterscheidung zwischen Kultur und Religion. Und diese Selbstverständlichkeit hat die in Deutschland geborene Autorin niemals mitbekommen? Sie schreibt auf Seite 203 „Wir Gläubigen – und ihr“ als Kapitelüberschrift und beginnt: „Sicherlich kein eindeutiges deutsches Merkmal ist heutzutage das Christentum. Säkularer Humanismus in Form von Atheismus, Agnostizismus oder Deismus ist auf dem Vormarsch. Nur noch zwei Drittel der Menschen in Deutschland bekennen sich zum Christentum...“
Mal ganz abgesehen davon, daß ich das unglaublich viel finde, wenn zwei Drittel der Bevölkerung sich zu ihrem christlichen Glauben und ihren Kirchen bekennen, ist das doch völlig unerheblich, wie viele und wie und was. Die Religion ist in Deutschland Privatsache. Aber die christliche Kultur ist neben den humanistischen, zu denen sowohl Antike wie Aufklärung zählen, Grundlage der Kultur der Deutschen. Mag ja sein, daß in x Jahren dazu auch die muslimische Kultur zählt, die jüdische tut es schon lange, denn sie ist ein Teil der christlichen Kultur. Vorsicht. Es geht um Kultur. Nicht um Religion. Christliche Kultur bedeutet, daß Kirchen in Gemeinschaften eine bestimmte Funktion haben, daß ich die Riten kennen muß, um Mitmenschen zu verstehen, aber auch um Theaterstücke zu verstehen, Roman lesen zu können, Operninhalte erkennen kann – und vor allem, um in Kirchen und noch stärker in Museen überhaupt die Kunstwerke verstehen zu können.
Ich muß nicht dran glauben, aber ich muß es kennen. Und genau hierin liegt die wesentliche Wurzel deutscher Kultur. Und was schreibt die Autorin: „Das Christentum ist nicht nur ein wichtiger Teil von Deutschland, selbstverständlich hat es große Teile der Kultur geprägt und wird auch in Zukunft immer eine erhebliche Bedeutung für unser Land einnehmen. Jeder, der in Deutschland lebt, sollte das Christentum in irgendeiner Form kennen. Und jeder, der gläubig ist, sich dazu aufgerufen fühlen, für diesen Glauben einzustehen und dafür zu werben – sofern er dabei die anderen nicht marginalisiert. Aber die Existenz von gläubigen Muslimen im Land sollte nicht mit den vermeintlich weniger werdenden gläubigen Christen in Verbindung gebracht werden.“ (205)
Lamya Kaddor kann einfach nicht Religion und Kultur auseinanderhalten. Das muß sie aber, will sie auf dem Boden des Grundgesetzes und deutscher Kultur agieren und agitieren. Denn agitieren tut sie, aber mit untauglichen Mitteln. Und ein Buch wie dieses ist bestimmt besonders untauglich, wobei wir unmöglich alle Hämmer ansprechen können, die die Autorin auf den Kopf, das Gemüt und das Herz des Lesers fallen läßt.
Ehrlich gesagt, täte Bescheidenheit hier not und auch ein besseres Lektorat, verehrter Rowohlt Verlag, von dem ich übrigens viel halte.
Fazit: Natürlich fragt man sich, was wohl eine 1978 geborene Deutsche mit syrischen Wurzeln dazu antreibt, öffentlich eine derartige Rolle spielen zu wollen, wie sie es mit Verlautbarungen, Veranstaltungen, Veröffentlichungen tut, in denen sie immer Opfer und andere immer Täter sind. Daß etwas mit der Selbstwahrnehmung nicht stimmt, das spürt man bei diesem Buch von der ersten Zeile an, wenn das völlig undefinierte „Wir“ die Herrschaft über den Leser übernimmt. Dann auch noch ein Kapitel „Was ist deutsch“ zu verantworten und vom „Das neue Deutschsein“ und erst recht „Vom Kitt für das neue Deutschsein“ zu sprechen, mutet derartig Anbiederisch an, daß man das Problem von Frau Kaddor doch eher in dem ansiedeln darf, was Überkompensation heißt. Nie würde ich einer Person Identifikationsprobleme vorwerfen, auch keine nationalen, solche Identitätsprobleme aber als Rezensentin in einem Buch wie DIE ZERREISSPROBE der Autorin massiv zu konstatieren, das muß erlaubt sein.
Um im schnoddrigen Alltagsjargon der Autorin auf ihr Buch zu antworten: Kaddor setzen! Fünf minus (5-)
P.S. Da ich auf den Islam dezidiert nicht eingehen wollte, weder als 'Islam-feindlichkeit' (Seite 98) noch als islamophil, mußte leider eine Auseinandersetzung mit dem schlecht erfundenen Begriff der Deutsch-o-manie wegfallen. Tatsächlich beginnt das Kapitel so „Der Begriff der 'Deutschomanie' kam mir in den Sinn, als ich zum ersten Mal den Eindruck bekam, in dieser Gesellschaft läuft etwas schief, sie steuere nämlich immer stärker auf ein 'völkisches' Selbstbild zu.“ Mannoman kann man da nur sagen. Wo lebt die Frau?
Info:
Lamya Kaddor, Die Zerreißprobe
Wie die Angst vor dem Fremden unsere Demokratie bedroht
Originalausgabe, 240 Seiten
€ 16,99 (D)/ € 17,50 (AT)
ISBN: 978-3-87134-836-5
Erstverkaufstag 21. September 2016