Dreißig Geschichten für Kinder und Erwachsene aus dem Niemeyer Verlag
Hanswerner Kruse
Schlüchtern (Weltexpresso) - Walburga die „Teufelsbraut“, so die gleichnamige Erzählung aus Landau, schützte sich nur dadurch vor dem Satan, indem sie ihre Brüste mit Kreuzen aus dem Blut einer von ihr getöteten Taube bemalte. Deshalb konnte sich der Unhold Walburga nicht nähern, so sehr er sie auch bedrängte, sich zu waschen. „Entfernst Du die Kreuze, so gewinnt der Böse Gewalt über dich“, hatte ihr einst eine alte Frau geraten. Solche barmherzigen bejahrten Frauen und ebenso hilfsbereite ergraute Männer, gab es wohl früher reichlich im Waldecker Land.
Zumindest in den überlieferten Märchen halfen sie unermüdlich Armen, Bedrängten und Geprüften in den Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hatte. Etwa dem Helden, der einhundert Hasen hüten musste, um seine Prinzessin zu bekommen. Oder dem Burschen, der seine ferne geliebte Prinzessin bei der Verfolgung eines grünen Kaninchens vergaß. Aber es gab auch böse adlige Weiber, die manche Helden betrunken machten, um an ihre Schätze zu kommen. Einer wuchs dafür sogar - aufgrund der Intervention eines betagten Männleins - die Nase so lang, dass sie darüber ständig stolperte und schließlich um Vergebung bitten musste.
Manche surreale Erzählungen in diesem kleinen Buch erinnern eher an Kunstmärchen der deutschen Romantiker oder Filme von Tim Burton („Alice im Wunderland“). Es ist nicht nur erstaunlich, was die Waldecker sich einst erzählten, sondern auch wie sie es taten. Die Sprache ist zwar herrlich altmodisch, jedoch klar und nicht verkitscht. Nebenbuhlern wird auch schon mal „aufs Maul gehauen“, Böse werden „in heißem Fett versenkt“ und die eingangs erwähnte Teufelsbraut hat ja durchaus erotische Anmutung.
Traumartige Handlungen, wie Hochzeiten unter Wasser, seltsame Prüfungen, wie in die Erlösung von in Katzen verwandelte Prinzessinnen, und weitere magische Erlebnisse passen ja schon lange nicht mehr in unsere entzauberte Welt. Aber das Bedürfnis ist ja da, wie die Renaissance der Fantasy-Filme und Bücher belegt. Deshalb ist diese schöne Sammlung auch für Kinder zum Vorlesen gleichermaßen geeignet wie für Erwachsene.
Ein kleiner Text macht noch deutlich, dass viele dieser Märchen schon zu Zeiten der Grimm-Brüder gesammelt wurden, später kamen bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts noch weitere durch andere Märchensammler dazu. In den Kinder- und Hausmärchen der Grimms sind die Geschichten aus diesem Buch nicht enthalten.
Der Fuchs und die Katze - die kürzeste Geschichte kommt aus Heringhausen:
Auf einem Feld traf der Fuchs die Katze. Er sagte zu ihr, dass sie doch eigentlich nichts könnte. Sie sagte, sie könnte auf Bäume klettern, das könnte er nicht. „Was ist das schon“, meinte da der Fuchs, „ich habe im Kopf einen Sack voll Ideen.“ Plötzlich kam ein Jäger mit zwei Hunden, und flugs war die Katze auf einem Baum. Die zwei Hunde hatten ein, zwei den verdutzten Fuchs gefangen, sodass ihn der Jäger erschießen konnte. Da rief die Katze von oben: „Mach den Sack doch auf!“
Info:
Eberhard Michael Iba (Hrsg.): „Aus dem Märchenschatz des Waldecker Landes“, Niemeyer Verlag, gebunden, 104 Seiten, 12,90 Euro