John le Carré erzählt in DER TAUBENTUNNEL Geschichten aus seinem Leben, 2
Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) - Er wolle nicht den Eindruck erwecken, seine Zeit als Diplomat in Westdeutschland damit verbracht zu haben, über alte Nazis in hohen Ämtern zu wettern, schreibt John le Carré über die 1960er Jahre. „Falls ich gegen die alten Nazis gewettert habe – die so alt gar nicht waren, denn Anfang der 60er trennte uns gerade einmal eine halbe Generation von Hitler – dann nur, weil ich mich mit den Deutschen meines Alters identifizierte, denn sie mussten sich bei den Leuten, die am Untergang ihres Landes beteiligt waren, anbiedern, wenn sie es im Leben zu etwas bringen wollten.“
Ich gehörte altersmäßig zu den Leuten, von denen le Carré spricht. Hätte er sich auch mit mir identifiziert? Ich bezweifle das. Als erklärter Nazigegner wäre ich nie auf die Idee verfallen, mich bei Leuten anzubiedern, die Hitler bis zum Schluss die Treue gehalten haben. Immerhin interessierte sich David Cornwell alias John le Carré für die Opfer des Naziterrors. 1964 suchte er das Gespräch mit Erwin Schüle, der sich als Leiter der Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen redlich mühte, Schuldige zur Rechenschaft zu ziehen, bis seine NSDAP-Mitgliedschaft bekannt wurde und er sein Amt aufgeben musste. Anderen hat die Zugehörigkeit zur Partei Hitlers nicht geschadet.
Über den hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer und den Frankfurter Auschwitz-Prozess verliert John le Carré seltsamerweise kein Wort. Dabei wäre der von den Nazis verfolgte Jurist eine kompetente Adresse gewesen. Mit seiner Forderung, die Wurzeln faschistischen Handelns bloßzulegen, hatte sich Bauer allerdings nicht nur bei den einstigen Parteigängern Hitlers unbeliebt gemacht, sondern auch bei der so genannten bürgerlichen Mitte, die nicht an ihre Kapitulation vor dem Machtanspruch der Nazis erinnert werden wollte. Dass sich auch der penibel recherchierende deutsche Historiker Hans-Ulrich Wehler über den Initiator des Auschwitz-Prozesses und großen Humanisten Fritz Bauer ausschweigt, muss doch einen Grund haben. Seine „Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1949 – 1990“ enthält jedenfalls keine Zeile über ihn. Auch in der voluminösen „Chronik des 20. Jahrhunderts“, erschienen im Dortmunder Harenberg Lexikon-Verlag, sucht man seinen Namen vergebens. Der nahe liegende Gedanke an ein Komplott von wem auch immer ist so abenteuerlich, dass er sich von selbst verbietet. Andererseits gibt es so viele abenteuerliche Geschichten über die Geheimdienste, dass nichts unmöglich erscheint.
Im Kapitel über den Bundesnachrichtendienst erinnert John le Carré daran, dass eine Kreatur wie der ehemalige Nazi-Gestapochef von Lyon, Klaus Barbie, seit 1965 Informant des BND gewesen ist. Skrupel hielten die Verantwortlichen für unangebracht, schließlich arbeitete Barbie seit vielen Jahren für den amerikanischen Geheimdienst. Der hatte ihn bereits 1947 angeworben, im selben Jahr, in dem ein französisches Gericht den „Schlächter von Lyon“ in Abwesenheit zum Tode verurteilte. Barbie war nach Kriegsende über die so genannte Rattenlinie nach Lateinamerika geflohen. Bundeskanzler Helmut Kohl soll 1983 seine Auslieferung an die Bundesrepublik verhindert haben, weil er angeblich keine neue Debatte über die Nazivergangenheit aufkommen lassen wollte. 1962 hatte Kohl eine solche Debatte gegenüber Fritz Bauer als verfrüht bezeichnet. Der zeitliche Abstand sei noch zu kurz für ein abschließendes Urteil über den Nationalsozialismus argumentierte er damals.
John le Carrés schriftstellerischer Ruhm brachte es mit sich, dass er häufig zu Gast war bei den Mächtigen der Welt, der Himmel weiß, warum nicht auch bei Helmut Kohl. Vielleicht war dem Bundeskanzler der ehemalige Geheimdienstler zu britisch, als dass er ihn nicht an Margret Thatcher erinnert hätte, zu der Kohl ein – wie er sich ausdrückte - „gewissermaßen spezielles“ Verhältnis hatte. Die „eiserne Lady“ wiederum hielt nicht damit hinter dem Berge, dass ihr Deutschlandbild geprägt sei von den Jahren bis 1942, woran sich nichts Wesentliches geändert habe. „Auch von Mrs Thatcher erhielt ich eine Einladung zum Lunch“, erzählt John le Carré. Die Premierministerin habe zu ihm gesagt: Nun, Mr Cornwell, da Sie nun schon mal hier sind, gibt es etwas, das Sie mir mitteilen möchten?“ Da sei ihm eingefallen, dass er gerade aus dem Südlibanon zurückgekehrt war und sich in der Pflicht fühlte, für die staatenlosen Palästinenser zu sprechen. Daraufhin habe die Regierungschefin ihn vehement abgekanzelt: „Kommen Sie mir doch nicht mit diesen rührseligen Geschichten. Tag für Tag appelliert man an meine Gefühle. So kann man doch nicht regieren.“
Fortsetzung folgt
Foto: John le Carré bei einer Lesung in Hamburg 2008 (c) wikipedia
Info:
John le Carré, Der Taubentunnel. Geschichten aus meinem Leben, Ullstein Verlag, Aus dem Englischen von Peter Torberg, Erstveröffentlichung 9. September 2016
John le Carré, Der Taubentunnel. Geschichten aus meinem Leben, gelesen vom Autor und von Walter Kreye, 10 CDs ca. 800 Minuten, September 2016
Bisherige Artikel in WELTEXPRESSO zum TAUBENTUNNEL
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