Die Veranstaltungen des Gastlandes Flandern & die Niederlande auf der Frankfurter Buchmesse, 7/10
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Nur auf einen mußten wir verzichten, der eigentlich Anlaß unserer Aufmerksamkeit für das Kino mit Regisseuren über Schriftsteller im Gastlandpavillon war: Anton Corbijn.
Seit dieser holländische Fotograf und Filmregisseur Philip Seymor Hoffman in seiner letzten Hauptrolle THE MOST WANTED MAN 2014 auf die Leinwand gebracht hatte, seit dieser Zeit zählt er für mich – und nicht nur mich! - zu den ganz Großen. Dieser hauptsächlich in Hamburg spielende Film ist übrigens die Verfilmung des gleichnamigen Romans von John le Carré, der auf Deutsch MARIONETTEN heißt und dessen 85ster Geburtstag am Mittwoch auch auf der Buchmesse gefeiert wurde.
Aber der ist kein Flame oder Holländer und hat hier nichts zu suchen, aber – wie gesagt – leider auch nicht der wichtigste niederländische Fotograf und Regisseur Anton Corbijn. Das haben wir aber schnell vergessen, denn im gleichen Kabinett, wo auf der einen Seite öffentlich sichtbar die Filme abliefen, gab es auf der anderen Seite nur einen Stuhl und eine Brille. Sie kennen das schon? Dies Dinge, das irgendwie an eine riesige starre Taucherbrille erinnert? Hier im Foto sehen Sie, wie die Leute automatisch den Kopf nach oben drehen, weil im Inneren der Brille ein Film abläuft...dazu gleich mehr.
Dieses Medium, nennt man VR-Brille, hier Typ HTC Vive. Das erste Mal erlebte ich das bei einer Pressekonferenz des Filmfestivals B3 in diesem Jahr, wo ein ganzer gedeckter Tisch mit sechs Personen mit solchen Brillen besetzt war, die die aberwitzigsten Sachen machten, weil die normale Sicht und Größenordnung so gestört war, daß sie daneben griffen oder...Aber nein, darum geht es hier gar nicht. Hier müssen Sie nichts tun, sondern dürfen genießen...Wenn Sie denn wir wir Opernmusik mögen und auch die Barockoper.
Das Ganze nennt man VIRTUAL REALITY und hier wird als DIORAMA Nr. 4: Die Fernweh Oper geboten. Hier das, was Sie sehen und hören. Da erscheint Ihnen in einem schönen alten Opernhaus, das überall nach Gold strahlt, eine körpergroße tja, da fängt es schon an, ich würde sagen: Marionette, die allerliebst wie eine Puppe gekleidet und geschminkt ist, wie eine Operndivapuppe. Der Busen ist hochgeschnürrt, das Gold hat gleichsam etwas Gepanzertes, vor allem das unterhalb der Brust verlaufende Dreieck, das die Hüften dann so schön gebauscht zeigt, dramatisch wie im Reifrock aufgebläht. Diese singende Maid füllt fast das ganze Bild aus und man folgt jeder Bewegung und jedem Ton.
Natürlich hören wir zuerst der Sängerin Schöngesang, und die hier folgenden Beobachtungen kamen erst nach und nach. Daß sie nämlich in den Farben Schwarz und Gold gleich etwas von der Biene Maja bekommt, auch wenn sie natürlich eindeutig einen Menschen, eine Frau darstellt. Das hübsche Gesichtchen unter ihrem Hütchen ist bühnengemäß geschminkt, vor allem der blaue Lidschatten fällt auf, weil ihre Kulleraugen unentwegt nach Liebe suchen. Sie ruckelt immer wieder – das ist wohl der Technik geschuldet – und der Bewegungsablauf läßt uns deshalb wohl auch an eine Marionette denken, die ihre Ärmchen in die Luft schleudert, dann wieder nach unten führt, erneut, wenn die Stimme ganz hoch geht, auch die Arme wieder nach oben bewegt – und da ist es. Keiner hat es außer uns gesehen. Aber es war. Auf einmal waren die Ärmchen in Stücken, sie waren durchgebrochen, Leerstellen, aber sofort fügen sich die Stücke wieder aneinander und alles läuft weiter im normalen Ablauf.
Daß wir das Eigentliche die ganze Zeit verschweigen, den Gesang nämlich, hat nur damit zu tun, daß der so schnell verweht. Wir strengen uns an, forschen in unserem Musikhirn, denn diese Musik kennt man als Genre, aber welche ist es? Es ist ein Musikteppich als Endlosschleife, in der wir übrigens Stunden hätten verharren können, hätten da nicht andere Besucher die Fernweh Oper auch ansehen und hören wollen.
Da wir zuvor gesehen hatten, wie die VR-Brillenträger immer den Hals so reckten, haben wir das Kinn unten gelassen, dann aber immer über die Augenbrauen nach oben gestarrt, weil unsere Opernpuppe – ja, das kommt einem dann auch noch, solche Puppe sieht man auch als OLYMPIA des Physikers Spalanzani in Hoffmanns Erzählungen von Jacques Offenbach - nicht auf der Bühne steht, sondern weit oben im Opernhaus, was durch die vielen Logen rechts und links eindeutig als solches zu erkennen ist. Als Nebensache, denn es geht einzig um sie und der Sängerin Sehnsucht, die den Brillenraum füllen. Die Sicht auf die Sängerin war zwar gut, aber rechts unten behinderte ein schwarzer Block das Gesamtbild.
Wir dachten, das käme von außen oder sei halt eine störende Kamera im Inneren. Aber, kaum bewegt man seinen Kopf nach links, weitet sich der obere Bildraum und man kann den Zuschauerraum auf einmal nach rechts einsehen. Wir haben uns selbst also im Bild bewegt, das ist schon irre. Das Entscheidende bleibt die virtuelle Opernsängerin, die wohl ohne Essen und Trinken so lange weitersingt, bis sie erschöpft zu Boden fällt. Tot. Denn wir sind ja in der Oper. Also noch rasch hin und sie ansehen, ehe es so weit ist.
Was das Ganze soll? Uns hat es Spaß gemacht. Man ist mit sich und der Musik, der Sängerin ganz alleine. Das hat schon einen intimen Charakter. Sicher stellten sich Männer vor, daß diese dralle Schönheit nur für sie singt.
Natürlich wollten wir dann alles genau wissen, was wir hier weitergeben. Die VR-Umgebung heißt es, ist handgemalt und die Musik drücke im ewigen Zyklus von Leben und Tod die Sehnsucht der Sängerin und ihre Liebe zur Menschheit aus. Sie glauben gar nicht, wieviele Künstler daran beteiligt waren, die Idee zur Wirklichkeit werden zu lassen. Eine Wirklichkeit, die eben virtuell ist. Schon doll.
Regie und Entwurf ist von Daniel Ernst, der sich als Interaktivedesigner und Regisseur bezeichnet. Maud Vanhauwaert hat das Libretto geschrieben, das wir ja leider inhaltlich nicht verfolgen konnten, aber die Musik drückte das sicherlich genau aus. Diese beiden haben auch die künstlerische Vision gehabt und umgesetzt. Es singt die Sopranistin Annina Gieré das, was Misha Velthuis und Naren Chandavarkar komponiert und arrangiert haben.
Foto: Katarina Ivanisevic
Info:
Diorama Nr. 4: DIE FERNWEH OPER kann man nicht nur- wie wir - im Gastland Pavillion bestaunen, sondern auch in Halle 4.1 Q66 und der Halle 5.0 C89