Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 17. November 2016, Teil 7
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Interessant, den Originaltitel sich auf der Zunge zergehen zu lassen: American Pastoral. Sicher, die selbe Wurzel wie die Beethovensche PASTORALE (6. Smphonie), aber mit Idyll nicht schlecht übersetzt, denn dem Ländlichen wohnen ja beide Seite inne: das behagliche, wo man sich wohlfühlt und die Provinz, in der man versauert.
Philip Roth ist seit jeher ein Autor, der die US-amerikanische Wirklichkeit mit der Feder verfolgt, sie beschreibt, sie verständlich macht – und zwar aus je unterschiedlicher Perspektive. Dann aber konsequent. Hier geht es um die Darstellung einer Familie, deren Existenz absolut idyllisch anmutet, so auch von außen, also von anderen gesehen wird, aber im Inneren einen Zerreißprozeß erlebt, den sie nicht übersteht. Hintergrund sind die gesellschaftlichen Verwerfungen, die seit der guten alten Zeit, die bis in die 50er Jahre währt, eingetreten sind, seit in den 60ern sowohl außenpolitisch mit dem Vietnamkrieg und innenpolitisch mit den Rassenunruhen ein erschüttertes Amerika bloß liegt. Den Roman über diese Zeit hat viele Jahrzehnte danach Philip Roth 1997 veröffentlicht und dafür im Jahr darauf den Pulitzerpreis erhalten.
Der Pulitzerpreis entspricht unserem Deutschen Buchpreis, mit dem Unterschied, das er schon 1948 geschaffen wurde, was unrichtig ist, denn als Pulitzer Price for the Novel, also Romanpreis, hatte es ihn schon seit 1917 gegeben. Er ist auch bekannt dafür, daß er immer wieder einmal nicht vergeben wird. Überblickt man die Preisträger, wundert man sich, wie viele man nicht kennt und daß einem richtig gut bekannte amerikanische Schriftsteller nicht vorkommen, z.B. hat wohl Truman Capote ihn nie erhalten. Und ist das wirklich so, daß Philip Roth ihn alleine für diesen Roman bekam, der doch ein äußerst produktiver Schriftsteller war und viele hervorragende Romane schrieb. Denn ausgewählt wird ja – wie in Deutschland, Frankreich und England – ein Roman, sein Autor erhält dann halt die Ehre und das Geld.
Übrigens ist der Roman auf dem heutigen Hintergrund, daß wohlanständige Söhne in der arabischen Welt ihren Eltern durch Terrorismus Kummer machen und deren Leben durch ihre Taten zerstören, sehr zeitgenössisch, wie er auch für die Endsechziger und Siebziger Jahre der RAF in Deutschland ähnliche Idyllen zerstörte, sowohl durch die Morde auf Seiten dieser Familien, aber auch auf Seiten der Täter, die ja meist aus sehr bürgerlichen Häusern kamen. Das ist übrigens ein Aspekt, der bei diesem Film und der Besprechung des Films überhaupt nicht Erwähnung fand, weil er Amerika als isoliertes Gebilde in der Welt sieht.
Leider fanden wir kein Presseheft, das ja auf solche Fragen Antworten geben müßte. Die reichlichen Interviews, die mit Regisseur und Hauptdarsteller Ewan McGregor in der deutschen Presse abgedruckt waren, blieben leider, was den politischen Hintergrund angeht, doch blaß. Roths Seymour Levov wächst in jüdischer Nachbarschaft in New Jersey auf (Achtung: auch Paterson, der Film, der ebenfalls heute anläuft, spielt in Paterson/New Jersey), wo er durch seine sportlichen Erfolge eine lokale Berühmtheit wird. Und deshalb eine gute Partie. Er will der perfekte Amerikaner werden, wozu die perfekte Amerikanerin gehört, die er in der schönen Dawn findet.
Allein die liebliche Tochter Merry entwickelt sich entlang dem Aufbrechen der idyllischen, verklemmten, kleinbürgerlichen Strukturen des ländlichen Amerikas der Siebziger Jahre. Das ist schon stark, wie aus dem hübschen kleinen Mädchen ein dickes Trumm wird, ungelenk, stotternd, rebellisch. Sie steigt aus und verwahrlost. Aber da ist auch ein politischer Kern. Auf jeden Fall steigt sie in dem Kampf um das rechte Bild Amerikas in der Welt ein, stößt zu terroristischen Zellen, die eigentlich das Gute wollen, nämlich das Ende des Vietnamkrieges.
Aber das Buch ist auch ein Buch über die Liebe. Die Liebe eines Vaters, der um sein Versagen weiß und seine Tochter retten möchte vor dem Bösen. Das muß er in der Terroristengruppe sehen und nicht in seinen Lebensverhältnissen. Insbesondere die Mutter, eine ehemalige Schönheitskönigin spielt eine dämliche Rolle, weil sie sich nur für Äußerliches interessiert und den Schmerz um die Tochter gar nicht erst aufbringt, weil sie ihn eh nicht aushalten könnte. Die bürgerliche Welt hat eben auch die Möglichkeiten, etwas, was da ist, einfach zum Unsichtbaren zu erklären. Zwangsläufig ist damit diese Ehe schon lange kaputt, bevor sie geschieden wird.
Der Vater sucht weiter, dann gibt es eine merkwürdige Zwischenperson namens Rita, über die wir uns jetzt nicht auslassen wollen, auf jeden Fall findet der Vater seine Tochter am Ende dann als eine JAIN. Der Film zeigt anschaulich, was das ist. In Worten muß man es erst erklären. Der Jainismus ist eine sehr alte Religion aus Indien, aus der Zeit, als in Griechenland die dortige Klassik entstand, also zur Hälfte des ersten Jahrtausends v. Chr.
Diese Gläubigen sind Mittler zwischen der materiellen und spirituellen Welt. Sie vermuten in der Welt zwei Prinzipien: Geist und Ungeist, was eine dualistische Auffassung ist,d ie die Welt durchdringt. Alles auf der Erde ist beseelt: Menschen, Tiere, Pflanzen, auch Wasser. Um uns herum schwirren feinstoffliche Substanzen, die die Reinheit des Menschen gefährden. Im Film trägt deshalb Merry als Anhängerin des Jainismus einen dünnen Schal vor dem Mund, um nichts einzuatmen, was als Gefahr von draußen kommt, aber auch durch Einatmen nicht zu zerstören. Natürlich sind die Anhänger auch Vegetarier, eigentlich sogar Veganer und noch mehr, da auch die Pflanzen so wenig wie möglich Schaden durch den Menschen nehmen sollen.
Den Roman adäquat zu verfilmen, ist kaum möglich, weil sehr viel Gedankenmaterial filmischen Gesichtspunkten zuwiderläuft. Aber die Filmmannschaft hat es gewagt und
Ewan McGregor („Im August in Osage County“, „Lachsfischen im Jemen“) hat sich sehr lange schon dem Projekt verschrieben. Er gibt sein Regiedebüt und spielt zudem Seymour Levov, genannt „der Schwede“, einen einst legendären High-School-Sportler, jetzt erfolgreicher Geschäftsmann und verheiratet mit der ehemaligen Schönheitskönigin Dawn. Über Nacht wird der Familienvater aus dem ersehnten Idyll gerissen, als seine Teenager-Tochter Merry eines Bombenanschlags auf ein Postamt beschuldigt wird und verschwindet. Erschüttert bis ins Mark muss „der Schwede“ unter die Oberfläche schauen und sich dem Chaos seiner Welt um ihn herum stellen.
In weiteren Rollen Oscar-Preisträgerin Jennifer Connelly („A Beautiful Mind“) als Dawn, Dakota Fanning („The Runaways“, Die „Twilight”-Saga) als Merry, Emmy-Gewinnerin Uzo Aduba („Orange Is The New Black“) und der Oscar-nominierte David Strathairn („Lincoln“, „Good Night, and Good Luck“).
Es lohnt, das Buch zu lesen.
Info: Philip Roth, Amerikanisches Idyll, Hanser Verlag 1998