KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für August 2012, Teil 1
Elisabeth Römer
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das hat es unserer Erinnerung nach auch noch nicht gegeben, daß die ersten sechs Plätze von den Favoriten des Vormonats besetzt blieben und auf die durch länger Dabeisein Ausgeschiedenen nur die vier Restplätze sieben bis zehn auf neue Kriminalromane entfallen. Die gewinnen allein durch ihre Erwähnung in der KrimiZEIT-Bestenliste schon mal an Renommee, was wir ihnen gönnen, denn bei soviel Kriminalromanen, die täglich neu erscheinen, ist das schon etwas Besonderes. Das ist auch der Grund, warum wir die Liste abdrucken, aber auch jedes mal kommentieren, denn uns scheint, daß der Kriminalroman, der hier auf die Liste kommt, immer eher einer ist, der dem amerikanischen Detective-Milieu entstammt, als ein europäischer, gar deutscher.
Weiterhin hält den Platz 1 DER TOD VON SWEET MISTER von Daniel Woodrell aus dem Verlag Droemer. Wir hatten das letzte Mal – bitte auch für diese Liste die vormonatlichen Besprechungen verwenden – schon den Inhalt weitergegeben und inzwischen das Buch gelesen. Tja, was soll man sagen. Uns hat dieser Roman nicht so überzeugt wie im Vorjahr WINTERS KNOCHEN, das wir grandios fanden. Ehrlich gesagt hat dies Buch für uns auf einer KrimiBestenListe gar nichts zu suchen. Es ist ein sprachlich ausgefeilter, psychologisch ausgefuchster Roman, der einen in seiner Konsequenz erschüttert, aber eben doch kein Krimi.
Macht das die Nummer 2, diesmal Sara Gran mit DIE STADT DER TOTEN aus dem Droemer Verlag wett? Uns hat er gefallen, der „Fall für die beste Ermittlerin der Welt“, der nicht nur schräg, sondern absolut abgedreht ist. Dies aber mit Methode. Es geht um Claire DeWitt, Privatdetektivin mit ungewöhnlichen Methoden, die man früher vielleicht Intuition genannt hätte, die aber mehr sind, eher so etwas das Warten unter Zuhilfenahme von viel Drogen auf die automatische Lösung. Ja, der Drogenverbrauch hat etwas Merkwürdiges und paßt für uns gar nicht zu der ansonsten eigenwilligen Detektivin, die eine Bibel hat. Und diese Bibel hat's in sich, aus der wird zitiert, ihre Exemplare an merkwürdigen Stellen aufgefunden. Es handelt sich um DÉTECTION von einem gewissen Jacques Silette aus dem Jahr 1959.
Tatsächlich sind diese Einfügungen literarische Perlen und geben der Geschichte, die sich um einen armen Toten, den Bezirksstaatsanwalt Vic Willing nach dem 28.August 2005 in New Orleans rankt, der nach der Auflösung zum halbwegs bösen Toten wird, geben also dieser Geschichte das gewisse Etwas. So in der Art: „Wer sich am Rätsel festkrallt, wird es niemals lösen. Nur derjenige, dem es durch die Finger rinnt, wird es in seiner Gänze erblicken und sein Geheimnis erfahren“, auch dies aus dem ominösen Buch, das diese Claire in ihrem Kopf trägt, die ansonsten nicht nur trinkfest, sondern auch schlagfest ist und vor allem: nie aufgibt.
Den Platz gewechselt hat diese Claire mit Herrn Niemand aus Peter Temples TAGE DES BÖSEN aus dem Verlag C.Bertelsmann, dessen heroisches Schicksal, seinen Durchblick und mutiges Handeln wir schon in den vergangenen Malen bewundert haben. An diesem Buch gefällt uns auch, daß neben Südafrika und London auch Hamburg eine Rolle spielt und keine kleine. So länderübergreifende Krimis bringen auch länderübergreifende politische und ökonomische Probleme zum Tanzen. Hier ist der Ausdruck global wirklich angebracht.
KrimiZEIT-Bestenliste für August 2012
Lfd. Nr. |
Rang |
Vor-monat |
Titel |
1 |
1 |
(1) |
Daniel Woodrell: Der Tod von Sweet Mister Aus dem Englischen von Peter Torberg Liebeskind, 192 S., 16,90 € West Table, Ozarks, Missouri. Shug ist 13, dick und betet seine Mom Glenda an. Shug ist ihr „Sweet Mister“. Stiefvater Red klaut, dealt, prügelt. Proll-Family vor der Implosion. Shug wird älter, klug und härter. Sein Tag kommt. Woodrells Country Noir: Kein Sonnenstrahl gelangt zwischen die Zeilen, pure Sprachgewalt. |
2 |
2 |
(3) |
Sara Gran: Die Stadt der Toten Aus dem Englischen von Eva Bonné Droemer, 368 S., 14,99 € New Orleans, 2007. Staatsanwalt Vic Willing ist im Katrina-Chaos verschwunden. Claire de Witt, beste Privatdetektivin der Welt, klärt auf: mit Scharfblick, Drugs, Träumen und Jacques Silettes mythischer Detektiv-Bibel. Happy End gibt’s nicht, nicht in New Orleans. Rausch + Klarheit = Gran. Unglaublich gut. |
3 |
3 |
(2) |
Peter Temple: Tage des Bösen Aus dem Englischen von Sigrun Zühlke C. Bertelsmann, 432 S., 14,99 € Hamburg/London/Johannesburg. Beim Versuch, ein Video mit einer Massakerszene zu verkaufen, gerät Bodyguard Niemand ins Visier der Täter. Datenhändler Anselm soll ihn schnappen helfen - und stößt auf das Trauma der eigenen Biografie. Rasant, komplex: Meisternarrativ über Verdeckung, geheime Kriege und Spionage vor 9/11. |
4 |
4 |
(5) |
Tana French: Schattenstill Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann Scherz, 732 S., 16.99 € Dublin. Zwei Kinder erstickt, Vater erstochen, Mutter lebensbedrohlich verletzt. Familiendrama, Eifersuchtsmord, soziale Ausweglosigkeit? Detective Kennedy glaubt sich seiner Methoden sicher. Bis die Selbstgewissheit auf schieren Wahnsinn trifft. „Auch ein Guter kann zerbrechen.“ |
5 |
5 |
(6) |
Michael Robotham: Der Insider Aus dem Englischen von Kristian Lutze Goldmann, 540 S., 14,99 € Irak/London. Immer dem Geld nach! Im Irak haben Bankräuber Milliarden Dollar Aufbauhilfe beiseite geschafft. Zu wem? Wer deckt sie? Ein Journalist im Irak bohrt nach. Derweil rettet Ex-DI Ruiz Trickbetrügerin Holly Knight vor MI6/CIA. Exzellent. Böse Realität nur leicht fiktionalisiert. Robotham: Weltklasse! |
6 |
6 |
(4) |
Don Winslow: Die Sprache des Feuers Aus dem Englischen von Chris Hirte Suhrkamp, 419 S., 14,99 € Dana Point 1997. Brandschadenregulierer Jack Wade weiß, dass Immobilienhai Nick Vale seine Frau Pamela verbrannt hat. Er muss es nur beweisen. Auf dem Spiel steht der letzte unberührte Strand im Süden. Harter Fight zwischen dem alten Kalifornien und der Gier-und-Gang-Moderne. Bravourös. |
7 |
7 |
(-) |
Ian Levison: Hoffnung ist Gift Aus dem Englischen von Walter Goidinger Deuticke, 256 S., 17,90 € Dallas. Im Zweifel gegen den Angeklagten. Taxifahrer Jeffrey Sutton muss pinkeln. Im Haus eines Fahrgastes fasst er einen Fensterrahmen an. Das bringt, ohne Prozess, fast ein Jahr Einzelhaft wegen Mord und Kindesentführung. Grotesk-Satire auf die US-Strafjustiz. Geschätzt knapp unterhalb der Realität. |
8 |
(-) |
Howard Linskey: Crime Machine Aus dem Englischen von Conny Lösch Knaur, 380 S., 9,99 € Newcastle/Glasgow. Alles okay. Alle kassieren: die Bullen, die Politiker in London, Boss Mahoney. Als eine Geldübergabe platzt, gerät David Blake, Mahoneys brain man, in die Bredouille. Jetzt muss er sich die Finger schmutzig machen. Generationenwechsel bei britischen Gangstern. Erfrischendes Debüt. |
|
9 |
9 |
(-) |
Helon Habila: Öl auf Wasser Aus dem Englischen von Thomas Brückner Das Wunderhorn, 240 S., 24,80 € Port Harcourt/Nigerdelta. Alltag im Delta: Ingenieursfrau entführt, Lösegeld gezahlt, „Rebellen“ erschossen, Öl fließt weiter. Die Journalisten Rufus und Zaq hilflos, ahnungslos, am Sterben teilnehmende Betrachter. Reise – nicht ins Herz der Finsternis, zu Shells Gewinnquellen. Ohnmacht, Wut. Unerbittlich traurig. |
10 |
10 |
(-) |
Anne Goldmann: Triangel Ariadne im Argumentverlag, 272 S., 11,00 € Kleinstadt in Österreich. Kleine Verschwiegenheiten, kleine Erpressungen. Der entlassene Strafgefangene, die Justizbeamtin, der Liebhaber – gefangen in Verdeckungswünschen, Vertuschungsaktionen, Rehabilitationsmanövern. Ein Reigen der Unehrlichen, unfrei, unbefristet auf Bewährung. Enorm. |
Rund 1200 neue Kriminalromane erscheinen pro Jahr in Deutschland. Selbst ausgefuchste Leser verlieren angesichts dieser Masse den Überblick. Orientierung bietet aktuell die August-Ausgabe der KrimiZeit-Bestenliste von ZEIT und NordwestRadio.
Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.
Vorgestellt wird sie ab 2. August in den Literatursendungen des NordwestRadio ( mit Tobias Gohlis) in
http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html unter www.zeit.de mit Kurzrezensionen der Juroren, Kommentaren des Jurysprechers („What’s New?“) und weiteren Informationen zu Büchern und Autoren („Krimiautoren A-Z“)
in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 2. August 2012
Monatlich wählen achtzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 1200 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.
Die Jury setzt sich zusammen aus:
Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiWelt
Volker Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, Berg, „Druckfrisch“, Dlf, BRGunter Blank, Sonntagszeitung
Thekla Dannenberg, Perlentaucher
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Thomas Klingenmaier, Stuttgart, Stuttgarter Zeitung
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau
Jochen Vogt, Elder Critic, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Bremen, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, Berlin, Kolumnist, Plärrer , culturmag, DRadioKultur
In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie unter Kultur. Bücher oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Viermal darf inzwischen ein Buch einen Platz bekommen, dann scheidet es aus und hat nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die Ende Dezember herauskommt und die wir für 2011 ebenfalls kommentierten.
Die Einzelbesprechungen zu Fred Vargas:
http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/546-wir-sind-suechtig
http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/547-mehr-vom-skurrilen-personal
http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/590-wer-sie-ist-und-was-die-anderen-ueber-fred-vargas-und-ihre-kriminalromane-sagen
www.zeit.de/krimizeit-bestenliste http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html
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