Verlag KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio  für August 2012, Teil 2 



Elisabeth Römer 

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Zum dritten Mal dabei und nun auf dem dritten Platz haben wir Peter Temple mit seinem Mister Niemand schon oft gewürdigt: TAGE DES BÖSEN im Verlag C. Bertelsmann. Auch Michael Robotham ist mit DER INSIDER das dritte Mal plaziert, vorgerutscht auf den 5. Platz. Ebenfalls aufgerückt ist Tana French mit SCHATTENSTILL aus dem Scherz Verlag.

 

Einer der eigenartigsten und auch verstörendsten Romane, die wir je gelesen haben. Weil einem alles so unsinnig erscheint. Es beginnt mit einem kleinen Massenmord. Eine ganze Familie wird ermordet. Aber, so scheint es, vielleicht war der Vater der Totschläger der anderen. Die Kinder auf jeden Fall sind äußerst behutsam getötet worden, sie wurden blutlos erstickt. Aber um beide Eltern gab es eine Blutschlacht – und da geschieht das Ungewöhnliche: in der Frau ist noch Leben, sie kommt ins Krankenhaus und nach langem Koma erwacht sie. Das kann den Fall erst einmal nicht klären, weil sie eine Amnesie hat – oder spielt sie die nur vor?

 

Nein, nein, die hat sie und wie uns Autorin French immer wieder einen Knochen hinwirft, an dem wir herumknabbern, um im Fall weiterzukommen, das hat schon was – und Methode sowieso, denn wir lassen die Autorin mit ihren Informationen uns wie am Nasenring durch die Krimi-Arena treiben. Dem zuständigen Kommissar geht es nicht viel anders. Der allerdings entwickelt ein Eigenleben beim Lesen, das hätten wir ihm nicht zugetraut. In einer Selbsteinführung entsteht vor uns die Charaktermaske eines angepaßten Aufsteigers und den ganzen Roman über wird dann dieser Mike Kennedy zu einer ganz anderen, höchst ehrenwerten Person, der mit vielem geschlagen ist, mit Familie sowieso, darunter eine labile, höchst selbstmordgefährdete und andere gefährdende Schwester, um die er sich liebevoll kümmert, obwohl der Fall seine Kräfte in jeder Hinsicht schon übersteigt.

 

Sehr einfühlsam, wie die Autorin ihm einen jungen Spund zur Seite gibt, der lange unser Sympathieträger bleibt, bis...aber das wollen wir nicht verraten, dafür mehr über den Fall. Es geht um eine Familie aus Irland, die ins eigene Heim zog an einer Stätte, die eine tolle werden soll, aber nur öde vereinzelte Siedlung wurde. Aus der perfekten Familie, mit großer Liebe zwischen den Eltern und gut erzogenen Kindern, wird erst durch die Arbeitslosigkeit des Vaters, dann durch die Suche nach einem Tier, das des Nachts, dann sogar des Tags im Dachboden des Haus herumgeistert, ein einziger Alptraum. Wie Tana French das entwickelt und Personen einführt, die so was von widerlich, aber Volkes Stimme sind, ist meisterlich. Das hat ganz viel mit den irischen Gespenstergeschichten zu tun!

 

Don Winslow mit DIE SPRACHE DES FEUERS aus dem Suhrkamp Verlag ist das vierte Mal dabei und nun vom 4. Platz – Tana French – auf den sechsten Platz gewechselt. Von den vier neuen Krimis von Platz 7 bis 11 können wir erst einmal nur die Inhalte transportieren. Platz 7 nimmt mit HOFFNUN IST GIFT Ian Levison ein, erschienen bei Deuticke. Das ist insgesamt eine satirische Abrechnung mit der amerikanischen Strafjustiz, die nicht lustig ist. Ein Fingerabdruck am fremden Fenster reicht für Lebenslänglich oder Todesstrafe.

 

Den 8. Rang nimmt CRIME MACHINE von Howard Linskey ein, herausgegeben vom Knaur Verlag. Es handelt sich um ein Debüt, das neues Krimipersonal beschert. Ursache des Krimis ist die geplatzte Geldübergabe, die alles ins Rutschen bringt. Am Schluß sind es die Neuen unter den Gangstern die die Macht übernehmen. Auf Platz 9 dann Helon Habila mit ÖL AUF WASSER aus dem Verlag das Wunderhorn. Das freut uns, daß der verdienstvolle Verlag aus Heidelberg, der es gegen die Großen nicht leicht hat, am Krimigeschäft mitstricken kann.Wir hörten, daß hier ein junger Journalist auf der Suche nach einer entführten Engländerin im öl- und gewaltverpesteten Nigerdelta auf erschütternde Weise die Orientierung verliert.

 

So, das waren neun Plätze, bei denen unter jedem Titel verzeichnet ist „Aus dem Englischen“. Das genau monieren wir immer wieder. Nicht nur, daß man auch aus dem Amerikanischen oder kanadischen oder australischen Englisch schreiben müßte, sondern daß wir mit einer solchen Übermacht amerikanischer Krimiliteratur überhäuft werden, daß uns dies eindimensional vorkommt. Kann Frankreich nur dabei sein, wenn der Name Vargas oder Manotti fällt und Italien und Griechenland, Spanien, der ganze durch Krimis gedeutete Norden: Finnland und Skandinavien, der Osten und der Südosten Europas, Rußland und Polen, keine Krimis?, von den anderen Erdteilen ganz abgesehen.

 

Weil wir das immer wieder für eine Fehlstelle in der Erstellung der KrimiBestenListe halten, freut uns besonders, daß auf Platz 19 TRIANGEL von Anne Goldmann, herausgegeben von Ariadne im Argumentverlag, erscheint. Auch diesen Krimi haben wir noch nicht gelesen, werden dies aber als erstes tun und das nächste Mal ausführlich berichten, welch Psychodrama sich im österreichischen Strafvollzug abspielt. Denn Strafjustiz und die daraus resultierenden zusätzlichen Probleme gibt es nicht nur in den USA, vgl. Platz 7.

 

 

KrimiZEIT-Bestenliste für August 2012

Lfd.

Nr.

Rang

Vor-monat

Titel

1

1

(1)

Daniel Woodrell: Der Tod von Sweet Mister

Aus dem Englischen von Peter Torberg

Liebeskind, 192 S., 16,90 €

West Table, Ozarks, Missouri. Shug ist 13, dick und betet seine Mom Glenda an. Shug ist ihr „Sweet Mister“. Stiefvater Red klaut, dealt, prügelt. Proll-Family vor der Implosion. Shug wird älter, klug und härter. Sein Tag kommt. Woodrells Country Noir: Kein Sonnenstrahl gelangt zwischen die Zeilen, pure Sprachgewalt.

2

2

(3)

Sara Gran: Die Stadt der Toten

Aus dem Englischen von Eva Bonné

Droemer, 368 S., 14,99 €

New Orleans, 2007. Staatsanwalt Vic Willing ist im Katrina-Chaos verschwunden. Claire de Witt, beste Privatdetektivin der Welt, klärt auf: mit Scharfblick, Drugs, Träumen und Jacques Silettes mythischer Detektiv-Bibel. Happy End gibt’s nicht, nicht in New Orleans. Rausch + Klarheit = Gran. Unglaublich gut.

3

3

(2)

Peter Temple: Tage des Bösen

Aus dem Englischen von Sigrun Zühlke

C. Bertelsmann, 432 S., 14,99 €

Hamburg/London/Johannesburg. Beim Versuch, ein Video mit einer Massakerszene zu verkaufen, gerät Bodyguard Niemand ins Visier der Täter. Datenhändler Anselm soll ihn schnappen helfen - und stößt auf das Trauma der eigenen Biografie. Rasant, komplex: Meisternarrativ über Verdeckung, geheime Kriege und Spionage vor 9/11.

4

4

(5)

Tana French: Schattenstill

Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann

Scherz, 732 S., 16.99 €

Dublin. Zwei Kinder erstickt, Vater erstochen, Mutter lebensbedrohlich verletzt. Familiendrama, Eifersuchtsmord, soziale Ausweglosigkeit? Detective Kennedy glaubt sich seiner Methoden sicher. Bis die Selbstgewissheit auf schieren Wahnsinn trifft. „Auch ein Guter kann zerbrechen.“

5

5

(6)

Michael Robotham: Der Insider

Aus dem Englischen von Kristian Lutze

Goldmann, 540 S., 14,99 €

Irak/London. Immer dem Geld nach! Im Irak haben Bankräuber Milliarden Dollar Aufbauhilfe beiseite geschafft. Zu wem? Wer deckt sie? Ein Journalist im Irak bohrt nach. Derweil rettet Ex-DI Ruiz Trickbetrügerin Holly Knight vor MI6/CIA. Exzellent. Böse Realität nur leicht fiktionalisiert. Robotham: Weltklasse!

6

6

(4)

Don Winslow: Die Sprache des Feuers

Aus dem Englischen von Chris Hirte

Suhrkamp, 419 S., 14,99 €

Dana Point 1997. Brandschadenregulierer Jack Wade weiß, dass Immobilienhai Nick Vale seine Frau Pamela verbrannt hat. Er muss es nur beweisen. Auf dem Spiel steht der letzte unberührte Strand im Süden. Harter Fight zwischen dem alten Kalifornien und der Gier-und-Gang-Moderne. Bravourös.

7

7

(-)

Ian Levison: Hoffnung ist Gift

Aus dem Englischen von Walter Goidinger

Deuticke, 256 S., 17,90 €

Dallas. Im Zweifel gegen den Angeklagten. Taxifahrer Jeffrey Sutton muss pinkeln. Im Haus eines Fahrgastes fasst er einen Fensterrahmen an. Das bringt, ohne Prozess, fast ein Jahr Einzelhaft wegen Mord und Kindesentführung. Grotesk-Satire auf die US-Strafjustiz. Geschätzt knapp unterhalb der Realität.

8

8

(-)

Howard Linskey: Crime Machine

Aus dem Englischen von Conny Lösch

Knaur, 380 S., 9,99 €

Newcastle/Glasgow. Alles okay. Alle kassieren: die Bullen, die Politiker in London, Boss Mahoney. Als eine Geldübergabe platzt, gerät David Blake, Mahoneys brain man, in die Bredouille. Jetzt muss er sich die Finger schmutzig machen. Generationenwechsel bei britischen Gangstern. Erfrischendes Debüt.

9

9

(-)

Helon Habila: Öl auf Wasser

Aus dem Englischen von Thomas Brückner

Das Wunderhorn, 240 S., 24,80 €

Port Harcourt/Nigerdelta. Alltag im Delta: Ingenieursfrau entführt, Lösegeld gezahlt, „Rebellen“ erschossen, Öl fließt weiter. Die Journalisten Rufus und Zaq hilflos, ahnungslos, am Sterben teilnehmende Betrachter. Reise – nicht ins Herz der Finsternis, zu Shells Gewinnquellen. Ohnmacht, Wut. Unerbittlich traurig.

10

10

(-)

Anne Goldmann: Triangel

Ariadne im Argumentverlag, 272 S., 11,00 €

Kleinstadt in Österreich. Kleine Verschwiegenheiten, kleine Erpressungen. Der entlassene Strafgefangene, die Justizbeamtin, der Liebhaber – gefangen in Verdeckungswünschen, Vertuschungsaktionen, Rehabilitationsmanövern. Ein Reigen der Unehrlichen, unfrei, unbefristet auf Bewährung. Enorm.

 

 

 

Rund 1200 neue Kriminalromane erscheinen pro Jahr in Deutschland. Selbst ausgefuchste Leser verlieren angesichts dieser Masse den Überblick. Orientierung bietet aktuell die August-Ausgabe der KrimiZeit-Bestenliste von ZEIT und NordwestRadio. 

Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht. 

Vorgestellt wird sie ab 2. August in den Literatursendungen des NordwestRadio ( mit Tobias Gohlis) in

http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html unter www.zeit.de mit Kurzrezensionen der Juroren, Kommentaren des Jurysprechers („What’s New?“) und weiteren Informationen zu Büchern und Autoren („Krimiautoren A-Z“)

 in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 2. August 2012



Monatlich wählen achtzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 1200 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.

 Die Jury setzt sich zusammen aus: 

Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiWelt

Volker Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, Berg, „Druckfrisch“, Dlf, BRGunter Blank, Sonntagszeitung

Thekla Dannenberg, Perlentaucher
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Thomas Klingenmaier, Stuttgart, Stuttgarter Zeitung
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau

Jochen Vogt, Elder Critic, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Bremen, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, Berlin, Kolumnist, Plärrer , culturmag, DRadioKultur





In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie unter Kultur. Bücher oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Viermal darf inzwischen ein Buch einen Platz bekommen, dann scheidet es aus und hat nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die Ende Dezember herauskommt und die wir für 2011 ebenfalls kommentierten. 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/312-bester-kriminalroman-des-jahres-wird-qroter-glamourq-von-ariadne-im-argument-verlag

Die Einzelbesprechungen zu Fred Vargas:

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/546-wir-sind-suechtig

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/547-mehr-vom-skurrilen-personal

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/590-wer-sie-ist-und-was-die-anderen-ueber-fred-vargas-und-ihre-kriminalromane-sagen



www.zeit.de/krimizeit-bestenliste http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html  

 

 

 







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